Vincenz verbrachte eine Nacht in Justizgewahrsam
Die Fahnder tauchten am Dienstagmorgen im Appenzellerland beim früheren Raiffeisen-Chef auf. Ob er sogar in U-Haft muss, wird bald bekannt.

Die Polizisten folgten dem Verlauf des Strässchens bis ganz ans Ende zu einem Wendeplatz, wo sich ein Anwesen erhebt, das dem Eigentümer einen prächtigen Ausblick aufs Appenzellerland bietet. Dort, ausserhalb der Ausserrhoder Gemeinde Teufen, wohnt Pierin Vincenz, Chef der Raiffeisen-Gruppe von 1999 bis 2015, langjährige Lichtfigur des Schweizer Bankensektors.
Am Dienstagmorgen nahmen ihn die Fahnder mit. Auf Vincenz warteten die Spezialisten der Zürcher Wirtschaftsstrafverfolgung. Vier Geschäftspartnern von ihm ging es ebenso. «Diverse Hausdurchsuchungen» habe man durchgeführt, «umfangreiches Beweismaterial» habe man sichergestellt, teilte die Zürcher Justiz mit. Die Aduno-Gruppe, an der Raiffeisen beteiligt ist, hatte am 21. Dezember 2017 Strafanzeige erstattet. Der Vorwurf lautet: ungetreue Geschäftsbesorgung. Vincenz sass bei Aduno jahrelang im Verwaltungsrat. Er soll dem Unternehmen Schaden zugefügt und seine Pflichten verletzt haben.
Die Nacht von Dienstag auf Mittwoch verbrachte Vincenz in Gewahrsam. Die ersten Befragungen dauerten am Mittwoch den ganzen Tag über an. Bis Redaktionsschluss am Abend war noch nicht entschieden, ob es für Vincenz bei einer Nacht unter Festnahme bleiben würde – oder ob die Staatsanwälte Untersuchungshaft beantragen würden.
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Und was bedeutet das nun alles?
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Noch während die Einvernahmen liefen, veröffentlichte Vincenz' Sprecher bereits eine Zurückweisung: «Als gestern Morgen früh die Polizei vor der Tür stand, war das für mich ein Schock. Ich bin von dieser Strafuntersuchung total überrascht und erstaunt. Ich bestreite die gegen mich erhobenen Vorwürfe vehement und werde mich mit allen mir zur Verfügung stehenden Mitteln dagegen wehren. Ich habe die Interessen der Firmen, für die ich gearbeitet habe, stets gewahrt und bin nach wie vor überzeugt, dass ich mir nichts habe zuschulden kommen lassen.»

Für Vincenz und die Mitbeschuldigten gilt die Unschuldsvermutung. Die Frage ist: Wie konnte es so weit kommen? Kurz: Vincenz soll bei mehreren Deals sowohl auf Käufer- als auch auf Verkäuferseite involviert gewesen sein und so privat viel Geld verdient haben.
Aduno gibt für die Raiffeisenbank, die Zürcher Kantonalbank und andere Banken Bezahlkarten heraus und ist im Kreditwesen tätig. Mit diesem Geschäft gerät die Firma nur selten in die Schlagzeilen. Seit gestern ist das anders; die Firma machte öffentlich, dass sie ein Verfahren gegen ihren einstigen Mitgründer Vincenz anstrebt.
Fragwürdige Übernahmen
Prompt doppelte Raiffeisen nach. Auch seine ehemalige Bank reichte eine Strafanzeige gegen Vincenz ein. Der Vorwurf lautet auf ungetreue Geschäftsbesorgung im Aduno- und Investnet-Umfeld. Bei Investnet handelt es sich um eine Beteiligungsgesellschaft, die von Raiffeisen kontrolliert wurde und bei der Vincenz im Verwaltungsrat sass. Erst vor wenigen Tagen hat Raiffeisen die Beteiligungsverhältnisse bei Investnet neu aufgestellt und Vincenz' Abschied aus dem Gremium verkündet. Doch offenbar gibt es nun neue Hinweise, die auf ein Fehlverhalten von Vincenz und seinen vier Geschäftspartnern deuten. Nämlich, dass Vincenz privat an dieser Firma beteiligt war, schon bevor diese durch Raiffeisen, mit Vincenz als Chef, aufgekauft wurde.
Das ruft nun die Staatsanwaltschaft auf den Plan. Zu den fünf Beschuldigten gehören neben Vincenz der ehemalige Aduno-Chef Beat Stocker, zwei Investnet-Aktionäre sowie ein Zürcher Wirtschaftsanwalt, der bei diversen Vincenz-Transaktionen involviert war.
Die Vorwürfe gegen Vincenzund seine Geschäftspartner

Ein ähnlicher Fall betrifft Aduno. Die Bezahlkartenfirma hat in den letzten Jahren zwei Firmen gekauft, bei denen es zu Unregelmässigkeiten gekommen sein soll. Aufgearbeitet wurden die fraglichen Vorgänge lange nicht. Dies dürfte auch daran gelegen haben, dass Vincenz bei Aduno der starke Mann war. Er war seit der Firmengründung 1999 Verwaltungsratspräsident des Unternehmens. Erst im Sommer 2017 gab er das Amt ab. Dabei war er intern schon lange umstritten. Er vertrat im Aufsichtsgremium Hauptaktionärin Raiffeisen, obwohl er seit Herbst 2015 nicht mehr deren Chef war. Sein Nachfolger wurde Pascal Niquille, Chef der Zuger Kantonalbank. Eine Zürcher Kanzlei erhielt den Auftrag, die Übernahmen zu untersuchen.
Die Experten wurden fündig. Wichtig scheint der Kauf von Commtrain Card Solutions zu sein. 2007 wurde der Bezahldienstleister von Aduno übernommen. Vincenz soll aber nicht nur Aduno vertreten haben, sondern auch am Verkauf beteiligt gewesen sein.
Gutachter wussten nichts
Drei von Raiffeisen aufgegebene Gutachten sollten schon vor Jahren klären, ob bei den Aduno-Käufen alles mit rechten Dingen ablief. Damals gab es Gerüchte, dass Vincenz vom Deal profitierte. Der Finanzprofessor Claudio Loderer untersuchte aber nur, ob die Unternehmensbewertung richtig erfolgt sei. Das Beratungsunternehmen Helbling nahm lediglich unter die Lupe, ob die Buchprüfung vor dem Kauf korrekt war. Peter Forstmoser, Professor und Wirtschaftsanwalt, hatte den Auftrag, die Rolle von Vincenz zu untersuchen. Vor zwei Monaten stritt er das noch ab, heute erinnert er sich wieder. Alle Gutachter sagten, alles sei unbedenklich abgelaufen. Bei Loderer und Helbling erstaunt das nicht, denn sie wussten nichts von Vincenz' Doppelrolle. Mehr wusste Forstmoser und gab doch einen Persilschein.
Sieben Jahre nach Commtrain kaufte Aduno die Firma Eurokaution – auch diese Transaktion steht unter Verdacht. Die Firma bietet Mietkautionen ohne Bankdepot an. Viele Aduno-Mitarbeiter verstanden nicht, was sie dem Konzern bringen soll. Denn Eurokaution steckte tief in den roten Zahlen. Von der Unternehmensleitung hiess es, dass die Marke von Eurokaution wertvoll sei und sich der Aufwand lohne. Später wurde die Firma in Adunokaution umfirmiert – vom alten Namen ist heute nichts mehr zu sehen, vom Gewinn auch nicht.
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Bildstrecke: Strafuntersuchung gegen Pierin Vincenz
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