Verkehrspolitiker tritt abVom Betonkopf zum Mediator
Nach 34 Jahren im Dienst des Touringclubs der Schweiz geht Reto Cavegn neue Wege. Der Verkehrspolitiker wird Fachmann für Konfliktlösungen.

Das Schlimmste, was ihm als Geschäftsführer des TCS Zürich widerfahren ist? Das war, als Reto Cavegn bei sich zu Hause im Briefkasten Drohungen gegen seine Familie fand.
Das war im Herbst 1989. Cavegn kämpfte für die Volksinitiative «pro Tempo 100/130». Damit wollten die Initianten um den Touringclub der Schweiz tiefere Tempolimiten verhindern. Sie verlangte, dass in der Bundesverfassung Höchsttempo 100 ausserorts und 130 auf Autobahnen festgeschrieben wird statt der heute gültigen 80 und 120. Gegner und Befürworter kämpften erbittert. Im November ging die Abstimmung schliesslich mit fast zwei Dritteln Nein-Stimmen verloren.

Cavegn war erst zwei Jahre vorher Geschäftsführer der Zürcher TCS-Sektion geworden. Und bereits galt der 33-Jährige als «Betonkopf der Autolobby».
Dann kam der Kampf gegen höhere Parkgebühren in der Stadt Zürich. Cavegn führte ihn gegen den damaligen Stadtrat Ruedi Aeschacher. Dieser hatte sich seinerseits den Übernamen «Schwellen-Ruedi» eingehandelt, weil er die Automobilisten per Hindernisparcours zu langsamerem Fahren zwingen wollte. Der Parkgebührenstreit ging für Cavegn dann erst vor Bundesgericht verloren.
«Die Konflikte waren härter damals»
«Die Konflikte waren härter damals», sagt Reto Cavegn heute. «Man entscheidet immer in der Zeit, in der man ist.» Er habe sich immer als «Lobbyist für mobile Menschen» gesehen, nicht als Autolobbyist. «Es geht darum, dass man vorwärtskommt, gleich, auf welche Art.» Mit dem TCS machte sich Cavegn später für den Bau der S-Bahn stark und für andere Bahnprojekte wie die Durchmesserlinie, die Glattal- und die Limmattalbahn.
Als junger Mann hatte Cavegn die Stelle in der Zürcher TCS-Zentrale angetreten, als sie sechs Mitarbeiter zählte. Für die Anschaffung einer Fax-Maschine zu 450 Franken brauchte es drei Sitzungen mit dem Clubvorstand im verrauchten Büro des Geschäftsführers – bis der Kauf dann eher widerwillig genehmigt wurde.

Heute ist der TCS Zürich ein mittelgrosses Unternehmen. 40 Personen arbeiten für den Club, die meisten in den vier über den Kanton verteilten Mobilitätszentren. Dort führen sie Motorfahrzeugkontrollen durch und beraten Mitglieder (aber auch Nichtmitglieder) bei technischen Problemen und Versicherungsfragen. Über Informatik-Anschaffungen für mehrere Zehntausend Franken entscheidet die TCS-Geschäftsleitung jetzt selbstständig.
«Dienstleistung ist die DNA des TCS», sagt Cavegn. Der Club wirbt heute damit, dass sein Pannendienst auch Radfahrerinnen und Radfahrern aus der Patsche hilft, wenn das E-Bike mal schlappmacht. Das ist eigentlich eine Rückbesinnung auf die Anfänge des Clubs: Er war 1896 von Velofahrern gegründet worden.

Als der Touringclub den KV-Absolventen in die Zürcher Geschäftsführung holte, sah er nicht nur seine organisatorischen Qualitäten. Cavegn hatte die Jungfreisinnigen der Stadt Zürich mitgegründet. Er wurde Gemeinderat und Gemeindepräsident an seinem Wohnort Oberengstringen. Von 1995 bis 2006 war er FDP-Kantonsrat.
«Cavegn gehörte für mich immer zur alten Garde, die jede Intervention für Velos, Umwelt und Klima eher gering wertete.»
Dort lieferte er sich legendäre Redeschlachten mit der Grünen Gabi Petri, der Co-Geschäftsführerin des ökologisch ausgerichteten Verkehrsclubs Zürich. «Er gehörte für mich immer zur alten Garde, die jede Intervention für Velos, Umwelt und Klima eher gering wertete», sagt Petri heute. «Doch seit ein paar Jahren zeigt Reto vermehrt Einsicht bei ökologischen Anliegen, was mich natürlich freut.»
«Man wird ruhiger»
«Man wird ruhiger», sagt Cavegn heute, «man passt sich an.» Als er vor ein paar Jahren nach einer Routineoperation im Spital lag, begann er sich gedanklich mit der Zeit nach der Pensionierung zu beschäftigen. Sollte er die Matura nachholen? Cavegn hatte seinerzeit das Gymnasium abgebrochen, um einem Scheitern an der Prüfung zuvorzukommen.
Aber um nur eine alte Scharte auszuwetzen, war Cavegn die Zeit zu schade. An der Universität Freiburg machte er die Ausbildung zum Mediator. «Ich lernte, dass es beim Vermitteln zwischen Streithähnen darauf ankommt, zuerst herauszufinden, was die eigentlichen Probleme sind und die wahren Interessen hinter dem Konflikt.»
Jetzt ist es so weit: Andreas Häuptli, bisher Geschäftsführer beim Verband Schweizer Presse, übernimmt von Cavegn den TCS Zürich. Und dieser bietet nun zusammen mit neuen Freunden, die er in der Ausbildung kennen gelernt hat, seine Dienste für Konfliktlösungen an. Aus dem Betonkopf ist ein Schlichter geworden.
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