Vom Camping auf den Gletscher
Mike Schmid ist zurück im Skicross-Zirkus. Der Olympiasieger von Vancouver bringt viel Menschengespür und Renninstinkt ins Schweizer Trainerteam.

Der Anruf von Ralph Pfäffli kam unvermittelt. Mitte Juli war es, Mike Schmid weilte mit seiner Frau und den beiden Kindern in den Campingferien in Italien. Der Schweizer Skicross-Nationaltrainer hatte Schmid während dessen ganzer Karriere betreut, mit dem Olympiasieg 2010 als Höhepunkt. Auch nach dem bitteren Ende – Schmid verletzte sich bei den Spielen in Sotschi zum wiederholten Mal am Knie – blieben die beiden freundschaftlich verbunden.
Dieses Mal kam Pfäffli sofort zum Punkt. Er fragte: «Mike, willst du bei uns als Trainer anfangen?» Auf diese Saison hin hat sich Fanny Smith, die zuvor ihre ganze Karriere mit einem Privattrainer gearbeitet hatte, dem Schweizer Nationalteam angeschlossen. Dafür hatte Pfäffli zusätzliches Trainerbudget zugesprochen erhalten.
Die Anfrage überrumpelte Schmid. «Ich wollte gar nicht weg vom Bau. Zumindest nicht, solange die Kinder noch so klein sind», sagt der Strassenbauer aus Leidenschaft. Zugleich reizte ihn die Chance, als Trainer zu arbeiten. Schmid diskutierte das Angebot mit seiner Frau. Und auch mit Swiss-Ski. Er wollte wissen, ob dem Verband etwas Längerfristiges vorschwebte. Tat es. Und Schmid sagte zu. Mitte August informierte er seinen langjährigen Arbeitgeber, der ebenfalls Hand bot: Zwei Wochen später stand Schmid erstmals in Saas-Fee auf dem Gletscher.
Am Montagmittag schlendert der Hüne durchs Schweizer Teamhotel, als wäre er nie weg gewesen. Nur ein, zwei Falten mehr sind im Gesicht auszumachen, seit er nach Olympia 2014 aus der Öffentlichkeit verschwand. Und eben: Seine Rolle ist nun eine andere. Eine, der er mit grossem Respekt begegnet, nach wie vor. «Aber Ralph, ich habe doch gar keine Trainerausbildung», sagte Schmid zu Pfäffli, als der ihm die Jobofferte unterbreitet hatte.
Meister der Überholmanöver
Der Nationaltrainer war sich dessen natürlich bewusst, aber: «Heute einen Trainer zu finden, der eine Ahnung vom Skicross und vom alpinen Skifahren hat, ist schwierig.» Schmid wird nun die Trainerkurse nach und nach absolvieren. Für Teil 1, den Grundkurs von Jugend + Sport, ist er bereits angemeldet, kommenden Mai in Engelberg.
Doch vor der Theorie kommt noch viel Praxis. Etwa heute beim Nacht-Weltcuprennen in Arosa. Der 33-Jährige wird irgendwo an der Piste stehen, sich die einzelnen Läufe ganz genau anschauen und per Funk seine Eindrücke weitergeben.
Als Skicrosser war Schmid ein Renntier: einer, der Überholmanöver instinktiv ansetzte – oder erfand. Genau diesen Instinkt soll er nun den Athleten vermitteln, sein Gespür für den Parcours, für die Rennsituationen.
Ob alle auf ihn hören? Schmid war selber unsicher, erst Gespräche mit den Routiniers Alex Fiva und Armin Niederer, mit denen er noch zusammen gefahren war, überzeugten ihn vollends.
«Ich dachte keine Sekunde, dass das nicht klappen würde, weil wir Konkurrenten gewesen waren», sagt Fiva. Was vor allem an Schmid liegt. Dieser ist ein Bilderbuch-Teamplayer. «Er spürt sogleich, wenn die Stimmung mal kritisch ist – und löst die Spannung auf», sagt Fiva. «Mike hat viele Fähigkeiten, deren er sich gar nicht bewusst ist», sagt Pfäffli. Er meint dabei weniger die fachlichen Kompetenzen, die er ihm sehr wohl auch attestiert. Sondern das Gefühl fürs Zwischenmenschliche, einen Athleten zu spüren, ihn mit einer Botschaft zu erreichen.
Und schliesslich wäre da noch seine Erfahrung von 2010. Nur zu gerne würden die Schweizer den damaligen Coup in Pyeongchang wiederholen. Da schadet es nicht, einen im Betreuerstab zu haben, der weiss, wie das geht. Etwa, indem man sich nicht zu viele Gedanken darüber macht, sagt Schmid: «Die Form und das Selbstvertrauen holst du dir nicht an den Olympischen Spielen. Sondern davor.» Am liebsten mit Siegen und Podestplätzen. Zum Beispiel heute Abend.
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