Vom Knast auf die Kanzel – Pfarrer auf Bewährung
Wie die Kirchgemeinde Melchnau einem Pfarrer eine zweite Chance gibt, der in Drogendelikte verwickelt war.

Es ist wie die Geschichte vom Briefträger, der den Hund beisst. Normalerweise sind es Pfarrerinnen und Pfarrer, die Menschen, die vom rechten Weg abgekommen sind, wieder in die Gemeinschaft aufzunehmen versuchen. Vielleicht denken die Geistlichen dabei an das Gleichnis vom verlorenen Sohn. In der reformierten Kirchgemeinde im oberaargauischen Melchnau läuft es gerade umgekehrt ab. Da ist der neue Pfarrer der verlorene Sohn. Und es sind Mitglieder der Gemeinde, die sich daran stören, dass er wieder zurückkehren darf.
Pfarrer A. W. hat Anfang Jahr in Melchnau eine Stellvertretung übernommen. Sie ist befristet auf ein Jahr. «Niemand ist ohne Fehler», sagt Chantal Lanz, die Präsidentin der Kirchgemeinde. Nach christlichem wie auch demokratischem Verständnis habe jeder nach Verbüssung einer Strafe eine zweite Chance verdient. Die reformierte Landeskirche des Kantons Bern sei schon vorgängig zu diesem Schluss gekommen – «allerdings unter der Voraussetzung einer engen und qualifizierten Supervision».
Als «Koks»-Pfarrer tauchte A. W. vor drei Jahren in den Schlagzeilen auf. Der gebürtige Deutsche war im Dezember 2014 am Flughafen Zürich verhaftet und bis im Februar darauf in Untersuchungshaft gesetzt worden. Der heute 47-Jährige, damals Pfarrer im Solothurnischen Subingen, hatte einer jungen Frau geholfen: Er führte für sie Geldüberweisungen ins Ausland aus. Er besorgte für sie Flugtickets für Leute, die er nicht kannte, und er holte Unbekannte am Flughafen ab. Bei seiner Verhaftung hatte sein Begleiter zweieinhalb Kilogramm Kokain im Gepäck. Vor Gericht sagte er später, er habe einer Frau in Not helfen wollen. «Ich kann mich leider schlecht abgrenzen.»
Die Sache sei ihm schon seltsam vorgekommen, aber er habe wirklich nicht gewusst, dass es um Drogentransporte gegangen sei. Schliesslich kam er glimpflich davon. Das Bezirksgericht hatte ihn noch zu einer Freiheitsstrafe von 27 Monaten verurteilt, wovon er sieben Monate hätte absitzen müssen. Das Zürcher Obergericht gab sich milder: Seine kriminelle Energie sei an einem kleinen Ort, er habe vielmehr naiv und gutgläubig gehandelt. Es verurteilte ihn zu einer Bewährungsstrafe – 24 Monate bedingt. Das hiess, er musste nicht mehr ins Gefängnis.
Als Pfarrer sah sich A. W. aber am Ende. Er arbeitete in einem Callcenter, wo er Spenden für Hilfsorganisationen sammelte. Doch nun hat sich das Blatt für ihn unverhofft gewendet. Herr W., sagt Chantal Lanz, habe den Kirchgemeinderat «mit seiner Offenheit und Ehrlichkeit überzeugt». Er habe sein Fehlverhalten «weder geleugnet noch kleingeredet».
Einige Kirchgänger haben es dem Rat aber doch übel genommen, dass er nicht über die Vergangenheit des «Drogenpfarrers» informierte. Der «Blick» berichtete vor einigen Tagen über Leute, die «wütend» seien, weil diese Information unterschlagen worden sei. Chantal Lanz räumt ein, die Vorgeschichte des Pfarrers sei bei seiner Vorstellung im Infoblatt und an der Kirchgemeindeversammlung kein Thema gewesen. Die meisten Gemeindemitglieder hätten nach den Medienberichten aber sehr unaufgeregt reagiert. Sie spüre jetzt sogar eine grosse Solidarität. «Viele sind bereit, ihm eine zweite Chance zu geben», sagt sie. «Dass er sich bewähren muss, ist klar.»
A. W. wird von Fachleuten begleitet. Die Massnahmen betreffen laut Lanz vorab sein Rollenverständnis und seine Seelsorgetätigkeit. Am Ende des Jahres werde man «mit dem Pfarrer und der Landeskirche» zusammensitzen und das Ergebnis beurteilen. Dass Pfarrer W. über das Bewährungsjahr hinaus in Melchnau arbeiten wird, ist somit möglich. Ob er es auch will und wie es ihm jetzt geht, wo alle wissen, was mit ihm war: Das bleiben offene Fragen. Er selber darf und will sich dazu nicht öffentlich äussern.
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