
Wie Ernst Stocker (63) tickt, zeigt sich beim Fototermin in seinem Büro. Was Fotograf und Journalist nicht recht schaffen, erledigt der gelernte Bauer mit links. Stocker montiert die grosse Zürcher Fahne selber mit Klebband an die Wand. «Blau ist unten, wie der Zürichsee», weiss der Seebub aus Wädenswil. Diese Episode sagt über den Zürcher Finanzdirektor, Herr über ein 15-Milliarden-Budget, mehr aus als alle Umfragen. Der Ernst, wie ihn alle nennen, ist unzimperlich, zupackend und ohne jeden Dünkel.
Dem Bauern und Wädenswiler Gemeindepräsidenten war sein heutiger Job als Regierungsrat nicht in die Wiege gelegt. Er redet langsam und sucht immer wieder händeringend nach bodenständigen Sprachbildern. Als die SVP 2009 für Rita Fuhrer Ersatz suchte, stand Stocker nicht zuvorderst. Konkurrent war der Strafrechtsprofessor Daniel Jositsch von der SP, eine Wahlkampfmaschine. Zuerst musste Christoph Blocher ein Machtwort sprechen: «Der Ernst denkt länger als er redet – und das ist gut so.» Stocker wurde nominiert, und er schlug Jositsch.
Vom Bauernhof nach China
Und so wurde «de Stocker», wie er sich selbst nennt, quasi vom Kuhstall in die Zürcher Volkswirtschaftsdirektion und von dort in chinesische Millionenmetropolen katapultiert. Er musste für Zürcher Firmen Türöffner spielen. Und machte das so gut, dass ihn der Regierungsrat 2015 in die Finanzdirektion versetzte. Nun macht er seine «Kuhhändel», wie er selber sagt, auf dem schweizerischen Finanzparkett. Und ist damit weit erfolgreicher als der grosse Dealmaker von ennet dem Teich.

Einen Bauern zum Finanzdirektor zu machen, hatte mehrere Vorteile: Bauern können rechnen, sie sind sparsam – und sie sind gut im Jammern. Die Basler Finanzdirektorin Eva Herzog (SP), mit Ernst Stocker im Vorstand der Finanzdirektorenkonferenz, sagt das so: «Wenn Zürcher jammern, dass sie niemand möge, weil der Kanton so gross und mächtig sei, dann stösst das in der Restschweiz etwa auf gleich viel Wohlwollen, wie wenn wir Basler sagen, wir würden immer zu kurz kommen. Wenn hingegen Bauer Stocker jammert, dann hat das einen anderen Klang, dann hören alle zu und sind bereit, die Zürcher Interessen zu berücksichtigen.»
Stocker könnte einen Tick sensibler sein gegenüber den realen Sorgen KMU und den Menschen schlechthin.
Konkret: Nach dem Aus für die Unternehmenssteuerreform III gelang es Stocker, nachdem er mit dem grünen Stadtzürcher Kassenwart Daniel Leupi eine Lösung erzielt hatte, in Bern für eine Zürcher Lösung in der Steuervorlage 17 (SV 17) zu lobbyieren. Stichwort: Abzug für Eigenfinanzierung. Daniel Leupi lobt seinen Amtskollegen im Kanton: «Wo andere für einen kurzfristigen, billigen Applaus Slalomkurs fahren, ist Ernst Stocker total verlässlich und dem Allgemeininteresse verpflichtet.» Leupis Urteil: Allen politischen Parteien würden mehr Exekutivmitglieder von der Art Stockers gut anstehen.
Und wie macht es Stocker in Zürich? Es gelang ihm – auch dank guter Konjunktur und Sondereffekten – die Rechnungen 2016 und 2017 mit gegen 400 Millionen Franken im Plus abzuschliessen. 2018 bahnt sich ein Überschuss von rund 250 Millionen an. Bei den nächsten Budgets bietet Stocker beiden Seiten Zückerchen an: den Bürgerlichen eine Steuerfusssenkung um 2 Prozent für 2020 und den Linken Verbesserungen beim Personal bereits fürs laufende Jahr.

Pragmatiker Stocker weiss: Wenn Linke und Rechte gleich laut protestieren, hat er den goldenen Mittelweg gefunden. Von diesem lässt er sich auch nicht abbringen, wenn seine SVP die Steuern noch viel weiter senken will. SP-Nationalrätin Jacqueline Badran sagt: «Stocker hat eine steile Lernkurve hingelegt, ist nett und zugänglich. Aber er könnte einen Tick sensibler sein gegenüber den Gemeinden und den realen Sorgen von KMU und den Menschen schlechthin.»
Lob vom Personal
Ernst Stocker hat sich mit dem Personal weit besser arrangiert als seine freisinnige Vorgängerin Ursula Gut. Peter Reinhard, Präsident der Zürcher Personalverbände, sagt: «Gegenüber dem Personal ist er ein offener Gesprächspartner. Im bürgerlichen Umfeld jedoch kann er nicht immer frei entscheiden.»

Der grüne Finanzpolitiker Robert Brunner weiss: «Im Moment steht Stocker spürbar unter Druck, weil ihm der Staatshaushalt um die Ohren zu fliegen droht. SVP, FDP und CVP beissen zu viel Steuersubstrat weg.» So patent Stocker sei: «Gegen die Verantwortungslosigkeiten der bürgerliche Mehrheit kann er sich nicht durchsetzen.» Auch SP-Finanzfachmann Tobias Langenegger lobt die umgängliche Art von Stocker, kritisiert jedoch: «Er vertritt eine stramm bürgerliche Politik und will mit den Konzernsteuern weiter runter; das bezahlen dann alle mit höheren Abgaben und weniger Prämienverbilligungen.»
Beliebter als die Kollegen
Stockers Gegenspielerin im Kantonsrat ist Beatrix Frey-Eigenmann (FDP), Präsidentin der Finanzkommission. «Stocker kann mit seiner unakademischen Art die Finanzen sehr gut erklären», sagt sie. Er sei zudem «mit reichlich Bauernschläue gesegnet», lasse sich nicht über den Tisch ziehen und sei äusserst geschickt darin, unangenehme Sparübungen von anderen erledigen zu lassen. «Er macht dann einfach mich zur Sparhexe», sagt sie. Stocker verhandle ohne Finanzgurus an seiner Seite. Er sei dossierfest, aber auch ehrlich genug, um zuzugeben, wenn er etwas nicht genau wisse.
Ernst Stocker ist heute der einzige Zürcher SVP-Vertreter, dessen Chancen auf eine Wahl in den Ständerat gut ständen, weil er bei den anderen Parteien besser gelitten ist als seine Kollegen Ueli Maurer, Christoph Blocher oder Roger Köppel. Doch er will nicht. AL-Kantonsrat Markus Bischoff geht noch weiter und sagt: «Was Bundesrat Ueli Maurer heute kann, macht Stocker seit langer Zeit: Er sucht geschickt breite Allianzen für seine Anliegen.»
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Vom Kuhhändler zum Dealmaker
Ernst Stocker erhält von rundum Lob für seine Art. Nur seine Sparpolitik erntet Kritik: Neue TA-Serie zu den Regierungsratswahlen, Teil 1.