
Sonntagmorgen, 7 Grad, die Wolken hängen tief über Zürich, die Stadt hat auf Winterzeit umgestellt. Um 11 Uhr biegt ein junger Mann, die Kapuze hochgezogen, um die Ecke des Fanlokals der Grasshoppers an der Heinrichstrasse im Kreis 5 und beginnt, die FCZ-Kleber von der Scheibe zu reissen: «Oises Rayon», steht darauf. Daneben liegt ein schwarzer Haufen verschmortes Plastik. Das übrig gebliebene Rädergestell verrät, worum es sich handelt: In der Nacht auf Sonntag kamen ein paar – mutmasslich FCZler – vorbei, um den Container hier in Brand zu stecken. Ein sichtbares Überbleibsel des Hochrisikospiels FCZ - FCB vom Vorabend.
Samstagabend im Stadion, kurz vor Anpfiff des Klassikers. Die beiden grössten Fankurven der Schweiz, die des FC Zürich und jene des FC Basel, bellen sich über das Spielfeld hinweg an: «Oh, FC Basel mir stön zu dir, stön immer hinter dir, oh, FCB, oh, FCB», singen die einen, «Scheiss-GC-Basel, Scheiss-GC-Basel» die anderen. Der FCZ präsentiert seine Choreo: «Nüt chan», steht in grossen Lettern über der Kurve. «Ois tränne», wird auf dem Transparent darunter ausgerollt. «Hurensohn», tönt es dann bei jedem einzelnen Spieler aus der Basler Ecke, während der Stadionspeaker die Mannschaftsaufstellung des FCZ präsentiert.
Capri-Sonne, wie die Grossen
Die Basler Fans sind gut in Form in Zürich angekommen. Genug Zeit hatten sie. Bereits bei der Hinreise stand der Extrazug im Aargau eine halbe Stunde lang still. Jemand hat die Notbremse gezogen. Am Bahnhof Altstetten warten einige Basel-Fans auf sie. Die Geschäfte rund um den Platz haben die Eisengitter runtergelassen. «Wegen Fussballmatch kurz geschlossen!», steht an der Tür des Coop Pronto. Zwei kaum 12-jährige FCB-Fans tragen wie die Grossen ein Sixpack vor sich her, bei näherem Hinschauen erkennt man: ein Sixpack Capri-Sonne.
Um 18.15 Uhr kommen die Grossen an. Männer um die dreissig, schwarz gekleidet, massig, nehmen in hohem Tempo die Hohlstrasse in Beschlag. «Wenn ihr jetzt irgendwas gefilmt habt, verprügle ich jeden Einzelnen von euch», droht einer von ihnen unbeteiligten Teenies an einer Bushaltestelle. Eine Fanarbeiterin hastet dem Fanmarsch beinahe schon flehend voraus: «Bitte jetzt nicht filmen, es sind schon Flaschen geflogen.» In Minutenschnelle werden Pfosten, Schilder und Scheiben an der ganzen Strasse mit Kleber tapeziert: «Füscht und Bai statt Stange und Stai», steht darauf. Die Muttenzerkurve Basel signalisiert, dass sie lieber mit Fäusten als mit Waffen kämpft.
Wenn eine Zürcher Reporterin den Fanzug an sich vorbeiziehen lässt, klingt das so: Pfiffe, «Salli du», Pfiff, Pfiff, «Hey Mysli!», Pfiff, Pfiff, Pfiff, «Hure!», «He, willsch moll e richtige Bebbi-Sagg?», ruft einer und greift sich dabei demonstrativ in den Schritt. In den hinteren Reihen des Fanmarsches werden die Pfiffe seltener, die Gesichter jünger, weiblicher, irgendwann wackeln auch die Capri-Sonnen vorbei.
«Keine Politik im Stadion»
Während die Basler sich kurz vor Spielbeginn vor dem Stadion mit einem lauten Böller ankündigen, balgen sich drinnen die Medienleute um die besten Plätze. In der VIP-Lounge dahinter ist es ruhiger, sind die Anzüge schicker – und teurer. Von der FCZ-Führung will sich niemand «on the record» äussern, «keine Politik im Stadion». Auch unpolitische Fragen, beispielsweise wie viele Pyros an einem Hochrisikospiel wie diesem aus dem Gepäck der Fans gefischt werden, werden nicht beantwortet. Es scheint, als wäre fast alles, was Fussball betrifft, hochgeheim, bei den Fans ebenso wie bei den Anzugträgern.
Kurz nach der Pause wird in der FCZ-Kurve damit geprahlt, dass nur ein Bruchteil der FCZ-GC-Attacken in der Zeitung stünden. Die Prügeleien werden hier «Kontakte» genannt. Dann werden ein paar Pyros und drei Knallkörper gezündet. Wer dachte, die FCZler würden sich nach der Medienaufmerksamkeit von letzter Woche bei diesem Spiel mit Pyros zurückhalten, hat sich getäuscht. Im Gegensatz zu den Baslern zündete die Südkurve aber einige weniger. Der Match selber ist nach der Pause noch defensiver als davor. Der Fehler wird von einigen beim Schiedsrichter gesucht. Mit einem weitherum bekannten Spruch drohen die Fans ihm dann jeweils mit Geschlechtsverkehr mit seiner Mutter oder auch seiner Tochter. Kopfschütteln ruft das bei keinem hervor.
Was mittlerweile alle hier wissen, ist, dass der 14-Jährige, der letztes Wochenende verprügelt wurde, ein FCZ-Fan war. Er sass mit der falschen Jacke in einer Beiz, als ein paar GC-Fans vorbeikamen. Beruhigen wird das den in den letzten Monaten wieder intensiver gewordenen Streit zwischen den beiden Zürcher Clubs wohl kaum. Darum wohl auch der Brandanschlag auf den Container des GC-Lokals.
FCZler und Basler liessen sich am Samstag dafür weitgehend in Ruhe, zumindest gerieten sie nicht vollständig aneinander. Nebst einem kleinen FCZ-Angriff bei der Ankunft und einem auf den Zug, als die Basler Zürich wieder verliessen und abermals die Notbremse zogen, blieb es ruhig.
Der Fussballtag endete mit einem 0:0 – und für die Basler in einem stockdunklen Zug am Bahnhof Altstetten. Nach ungefähr einer Stunde fuhr er wieder los. «Wenigstens», sagt einer danach am Bahnhof, «wenigstens weiss man dank dem Fussball, wo sich diese Sorte junger Männer an einem Samstagabend aufhält.»
Die Polizei sperrt das Gebiet um den blockierten Zug weiträumig ab. (Video: Stefan Hohler)
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Von Böllern, Bebbi-Segg und Capri-Sonnen
Trifft der FC Zürich auf den FC Basel wie am Samstag, gibt das ein Hochrisikospiel. Wie geht es da im Hoheitsgebiet der Fans zu und her?