
Ich pendle. Soweit nichts Ungewöhnliches. Neuerdings habe ich aber bei mir eine kleine Hypochondrie diagnostiziert. Jedenfalls mache ich mir sehr lebhaft Gedanken, welchen Gefahren ich im täglichen Zugverkehr ausgesetzt bin und wie ich dabei den Tod finden könnte – angesichts all der schniefenden, stinkenden und rumrammelnden Mitreisenden, denen ich im Pendelverkehr schon begegnet bin. Über Ostern bin ich gar zum Schluss gekommen, dass ich so etwas wie der Jesus des Zugverkehrs sein könnte, der stellvertretend für all die anderen Reisenden den Tod finden muss – irgendwo zwischen Kreuzlingen und La Croix, Rotchrüz und Sils Baselgia.
Hier sieben Todesarten, denen ich im Zugverkehr erliegen könnte:
1. Tod durch den Swiss Pass. Wir Pendler haben es alle: das Plastikkärtchen, das bei fast jeder Fahrt dem Zugpersonal ausgehändigt werden muss. Einige haben schon die Sorge geäussert, dass sich das Kärtchen durch die wiederholte Übergabe in einen bösen Bakterienherd verwandeln könnte. Meine Angst ist eine andere: Ich befürchte, dass ich bei der Übergabe an das Zugpersonal durch eine unbedarfte Bewegung von der scharfen Kante geschnitten und so schwer verletzt werde, dass ich trotz Bluttransfusionen wegen meiner Swiss-Pass-Wunde verende. Nicht zuletzt, weil ich bei den Reanimationsversuchen von einer herrenlosen Minibar überrollt werde und so einen sehr qualvollen Tod sterben muss. In der zweiten Klasse. Irgendwo zwischen Oerlikon und Bülach.
2. Der Axe-Effekt: Kennen Sie diese Männer, die es mit dem Sprüh-Deo so kräftig übertreiben, dass man als Gegenüber kaum mehr Atem schöpfen kann – und irgendwann nur noch japst, hechelt und sich mit der Zeitung oder dem Swiss Pass frische Luft zufächelt? Genau die! In jüngster Zeit bin ich so oft solch versprühten Exemplaren begegnet, dass es sehr wahrscheinlich ist, dass ich mal an einem dieser Männer ersticke. Oder dass ein Teil der Deo-Duftwolke an mir hängen bleibt und sich nach dem Verlassen des Zuges in ein explosives Gemisch verwandelt. Etwa auf der Höhe einer dieser Brezelbuden, die inzwischen fast jede Bahnhofsunterführung mit ihrem Natronlaugen-Geruch in den Würgegriff nehmen. Bumm.
3. Endstation Nahkampfzone: Eine andere männliche Spezies, die ich für todbringend halte, sind die Breitmacher. Dazu gehören die mit den «dicken Hosen», die ihren gigantisch grossen Geschlechtsteilen so viel Raum geben müssen, dass sie ihre Beine im sogenannten Klötensitz über die Sitztrennung hinaus spreizen. Dann gibt es noch die Exemplare, die um jeden Preis mit ihrem Ellenbogen um die Armstütze zwischen den Sitzen kämpfen wollen. Leider gehöre auch ich dazu. Und so sehe ich mich schon als Verlierer eines Faustkampfes mit einem Berufsboxer, der sich gerade auf dem Nachhauseweg befindet und seine müden Glieder auf der Armstütze ausruhen wollte.
4. Das Stockholm-Syndrom: Ich hasse Fussball. Aufrichtig. Einmal, nach einem Freundschaftsspiel zwischen Deutschland und der Schweiz, das die Letztere aus unerfindlichen Gründen gewann, fand ich mich in einem Zug mit lauter euphorisch aufgeputschten Fans zusammengepfercht, die hüpften und johlten. Mehr als eine Stunde lang. Zwischen Basel und Bern. Für mich war das so schlimm, dass ich mir schon überlegte, ein wenig mitzuhüpfen, um die Fahrt erträglicher zu machen. Was wohl nichts anderes als dieses berühmte Stockholm-Syndrom ist, dem man in Geiselhaft erliegen kann. Die Gefahr ist also gross, dass ich das nächste Mal tatsächlich mithüpfe und -johle. Oder mich wie ein Chamäleon allen Reisegruppen angleiche. Etwa diesen lautstarken Wandergruppen im Rentenalter («Hallo Sepp, hallo Vreni!»), die sich schon am Vormittag auf dem Weg in die Berge einen anzwitschern und allen verkünden, wie toll es ist, pensioniert zu sein. Und wie günstig das Senioren-GA. Ich sehe es schon vor mir, wie ich mitten in einem solchen Grüppchen von einem rumfliegenden Trekkingstock erdolcht werde. Weil ein besoffener Werni versehentlich die Notbremse zog.
5. Tod durch Rücksicht: Ich gebe mir – trotz allem – sehr grosse Mühe, ein freundlicher Zugreisender zu sein. Und zwar so sehr, dass ich es für möglich halte, irgendwann aus Rücksicht den Tod zu finden, weil ich all den Dränglern den Vortritt gebe und es so nicht mehr rechtzeitig schaffe, aus dem Zug auszusteigen. Und zwar nicht ein Mal, sondern so oft und lange mein GA gültig ist. Zu oft für meine schwächliche Zugfahrer-Konstitution (Schwäche, Hunger, Durst und zu viel Axe: Sie wissen Bescheid). Und das alles nur, weil ich ein maximal rücksichtsvoller Mitmensch werden wollte!
6. Der russische Geheimdienst: Wie viele Telefongespräche man doch täglich im Zug belauscht. Von albernen Beziehungskrächen über alltäglichen Büroquark bis hin zu all den Bankern, die in voller Lautstärke über ihre Off-Shore-Geschäfte Auskunft geben. Ich sehe den Tag kommen, an dem ich wieder eine solches Gespräch belausche, zwar kein Wort davon verstehe, weil ich kein Russisch kann, aber fortan einem Geheimdienst als Zeuge einer Verschwörung gelte – und deshalb von einem Auftragsmörder vergiftet werde. Mit einem kontaminierten Swiss Pass.
7. Verloren gehen: Vor gut acht Jahren stiess man in einem Stollen im Wallis auf 400 Militärpanzer, die aus völlig unerfindlichen Gründen vergessen gegangen sind. Von Zügen haben wir noch nichts dergleichen gehört. Also ein sicheres Indiz, dass jährlich sehr viele Menschen in SBB-Waggons verschwunden gehen. Irgendwo abgestellt in einem befahrbaren Réduit-Bunker oder in einem der zahlreichen Gotthardtunnel. Was denn?!
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