Von wegen positiver Effekt der Personenfreizügigkeit
Schaut man die Schweizer BIP-Zahlen der letzten 15 Jahre genau an, fällt die Bilateralen-Bilanz mit der EU ziemlich nüchtern aus.

Die Zuwanderung im Rahmen des Freizügigkeitsabkommens mit der EU seit 2002 hat das Wachstum in der Schweiz gemessen am Bruttoinlandprodukt erhöht. Diese Botschaft ist auch im Bericht «15 Jahre Personenfreizügigkeit» wieder enthalten, der am Dienstag vorgestellt wurde. Von 2002 bis zur Finanzkrise im Jahr 2008 expandierte das Bruttoinlandprodukt in der Schweiz um durchschnittlich hohe 2,3 Prozent pro Jahr. Zum Vergleich: Für das laufende Jahr werden rund 1,5 Prozent Wachstum erwartet. Nach der Krise – von 2009 bis 2016 – sackte das Wachstum auf 1,2 Prozent im Durchschnitt pro Jahr ab. Aber der Einbruch wäre gemäss dem Bericht deutlich stärker gewesen, hätte es keine Personenfreizügigkeit gegeben.
Infografik: Bruttoinlandprodukt pro Kopf

Ob aber die Schweiz tatsächlich von der Personenfreizügigkeit profitiert hat, lässt sich bei einer Betrachtung der Entwicklung des gesamten Bruttoinlandprodukts (BIP) nicht beurteilen. Wenn jemand aus dem Ausland kommt und hier produziert und konsumiert, erhöht er damit automatisch das BIP um diese Produktion bzw. diesen Konsum. Damit ergibt sich aber noch kein positiver Effekt für die Volkswirtschaft insgesamt. Dazu müssten auch andere etwas davon haben, und das ist dann der Fall, wenn das durchschnittliche BIP pro Kopf bzw. dessen Wachstum durch die Personenfreizügigkeit höher ausfällt. Doch eine solche Wirkung der Personenfreizügigkeit lässt sich bisher in Studien nicht nachweisen oder dann ist der Effekt sehr gering. Das bedeutet, von ökonomischer Seite her hat die Personenfreizügigkeit die Erwartungen zumindest bisher nicht erfüllt.
Die nach wie vor führende Studie zu diesem Thema stammt von Michael Siegenthaler und Jan-Egbert Sturm. Siegenthaler ist Mitarbeiter, Sturm Leiter der Konjunkturforschungsstelle (KOF) der ETH Zürich. Ihre Schlussfolgerung ist eindeutig: Die Auswirkungen der Personenfreizügigkeit, gemessen am BIP pro Kopf, «waren wohl eher gering».
Die Produktivität zählt
Damit die Zuwanderung zu einem höheren BIP pro Kopf führt, hätte sie die Produktivität bzw. deren Wachstum anheizen müssen. Die Produktivität ist die Leistungsfähigkeit der Wirtschaft. Gründe dazu hätte es durchaus gegeben. Der wichtigste ist, dass im Zusammenhang mit der Personenfreizügigkeit vor allem Einwanderer mit einem hohen Ausbildungsstand in die Schweiz eingewandert sind. Die Weitergabe von besonderem Wissen hätte zu einer generell höheren Produktivität führen können. Doch ein solcher Effekt lässt sich nicht zeigen. Als ein Grund dafür wurde schon genannt, dass die höhere Ausbildung der Zugewanderten nicht unbedingt auch grösseren Fähigkeiten entspricht. So gibt es eine Reihe von Berufen, die in der Schweiz über den Weg der Berufslehre gelernt werden, aber in Deutschland ein Studium erfordern. Die Leistungsfähigkeit der Studierten ist aber nicht entsprechend grösser.

Das Wachstum der Produktivität blieb in der Schweiz im historischen Vergleich sogar ernüchternd tief, wie Siegenthaler und Sturm schreiben. Das ist allerdings ein weltweites Phänomen. Nur konnte die Personenfreizügigkeit daran nichts ändern. Grossen Einfluss auf die Arbeitsmärkte hatte sie seit 2002 gemäss der KOF-Studie aber dennoch. Die Zuwanderung hat das Angebot an Arbeitskräften deutlich erhöht. In der Folge sank die Kapitalintensität der Schweizer Wirtschaft. Damit ist die Kapitalausstattung pro Beschäftigten gemeint. Wenn die Beschäftigten im Durchschnitt aber mit weniger Kapital (Maschinen, IT, Technologie) ausgestattet sind, wächst ihre Produktivität entsprechend weniger. Die Studienautoren schliessen allerdings nicht aus, dass der höhere Bildungsstandard der Zugewanderten sich künftig doch noch in einem grösseren Produktivitätswachstum niederschlagen dürfte.
Keine eindeutigen Resultate
Im Auftrag des Staatssekretariats für Wirtschaft haben sich auch die Forscher von BAK Basel und des Instituts Ecoplan im Jahr 2015 in einer Studie über die gesamten bilateralen Abkommen I mit den wirtschaftlichen Folgen der Personenfreizügigkeit auseinandergesetzt. Auch hier fallen die Resultate für die Wirkung auf das BIP pro Kopf bescheiden aus, und die Resultate weichen stark voneinander ab: Laut Ecoplan wäre das BIP ohne Personenfreizügigkeit bis im Jahr 2035 gerade mal 1,1 Prozent tiefer. BAK Basel kommt sogar auf ein um 0,3 Prozent höheres Pro-Kopf-BIP bis 2035, betont aber, dass Firmenverlagerungen und geringere Unternehmensinvestitionen bei einem Fehlen des Abkommens das Bild ändern könnten.
Dieser Artikel wurde automatisch aus unserem alten Redaktionssystem auf unsere neue Website importiert. Falls Sie auf Darstellungsfehler stossen, bitten wir um Verständnis und einen Hinweis: community-feedback@tamedia.ch