Während er mit 70 abtreten will, würde sie gerne noch länger leben
An den Filmtagen in Solothurn geht es in zwei Filmen ums Sterben – unterschiedlicher könnten sie nicht sein.

Manchmal gehen Filme ans Lebendige, ihren Protagonisten und uns auch. Weil das Leben darin konfrontiert wird mit dem Tod. Mindestens zwei davon gab es zu sehen an den 53. Solothurner Filmtagen. In ihnen herrschte der Ernst der Endgültigkeit. Es gab keine feierliche Metaphysik des Todes und Totseins, auch kein Pathos eines ums Sterben menschengemachten Geheimnisses, sondern einfach nur die Ahnung eines dunklen Aus-und-Vorbei.
Zum Beispiel dieser Armin Gloor in «Das Leben vor dem Tod», dem Dokumentarfilm des 1984 geborenen Berners Gregor Frei, der als einer von zehn Regisseuren bei «Heimatland» mitwirkte. Dieser Gloor ist ein Mann von sprühender, aber despotischer Intelligenz, der komfortabel und ziemlich hablich lebte in einem Tessiner Krachen. Früher war er Psychologe in Zürich gewesen, Seidenhändler und Chorleiter dazu, und mit 60 hat es gereicht fürs Privatisieren in seiner Villa im gottverlassenen Cumiasca, wo er den eigenen Schnaps brannte.
Die grosse Einsamkeit
Die Frau hat es allerdings mit ihm nicht ausgehalten im gleichen Haus (oder er es nicht mit ihr), sie zog in ein anderes, und nach dem Gloor griff die grosse Einsamkeit. Er hätte das wahrscheinlich nicht zugegeben, begann aber mit Mitte 60 davon zu reden, dass mit 70 doch genug gelebt sei, vernünftig betrachtet, und dass er gehen werde an diesem Geburtstag.
Es hatte, soweit man das als Zuschauer beurteilen kann, etwas von einer besessenen Rationalität. Von einer gewissen Eitelkeit der Vernunft auch, die alles besser wusste. Und das war nun eben der Punkt, an dem Godi (Goffredo) Frei ins Spiel kam, ein sanfter, kunstsinniger Praktiker des Lebens, der einen Film über Cumiasca machen wollte mit der professionellen Hilfe seines Sohns Gregor: über die Natur dort, über die Vögel, die Alpakas und über Gloor, den Nachbarn, der, kaum war man befreundet, sein Sterben in Aussicht stellte.
Der Film lässt dem einen die Angst vor dem Sterbenwollen und dem anderen die Furcht vor dem Lebenmüssen.
Das hätte gar nicht im Zentrum stehen sollen, aber es liess sich wohl nicht vermeiden, dass es Zentrum wurde. Man konnte ja schwer zu den Vögeln ausweichen, wenn Armins arrogante, egozentrische Selbstbestimmtheit und Godis nebliges Sündenbewusstsein (denn das war dieser Todeswille für ihn am Ende: Sünde und Anmassung) laut zusammenstiessen. Und so, gewissermassen in kreativem Streit, haben drei Männer diesen Film gefertigt – zwei Protagonisten, die sich ins Filmen mischten, ein Filmemacher, der selbst Protagonist wurde. Er erzählt von Freundschaft und Entzweiungen, und seine Stärke ist, wie er die Perspektiven wechselt und die Achsen, um die er sich dreht – und wie er Gloors Gehen und Freis Bleiben ihre Würde und ihr Recht lässt und dem einen die Angst vor dem Sterbenwollen und dem anderen die Furcht vor dem Lebenmüssen.
Armin Gloor hat sich am 22. Dezember 2016 getötet. Die Freis haben ihm vorher noch in aller Heiterkeit geholfen, die Todesanzeige zu verschicken. Godis Frage, warum einer bei guter Gesundheit eine solche Wut aufs Leben hatte, dass er diesem den Stinkefinger zeigte, wurde nicht beantwortet, naturgemäss.
«Das Erste und das Letzte»
Es war Zufall – aber wie es der Zufall wollte, wirkte es absichtsvoll –, dass in Kaspar Kasics' Dokumentarfilm «Das Erste und das Letzte» ein Sterbenmüssen sich dem Sterbenwollen entgegenstellte: wie der kritische Kommentar einer traurigen Unfreiwilligkeit zu einer frivolen Lebensverschwendung. Die Psychologin Jacqueline von Kaenel hat nicht gehen wollen, da war kein Tändeln mit der Unendlichkeit. Sie hätte das Endliche schon noch eine Weile ausgehalten, aber ein Bauchspeicheldrüsenkrebs nimmt keine Rücksicht, und den Film, in dem sie sich nun an sich selbst erinnert, hat sie nicht mehr gesehen.
Er endet vor ihrem Sterben: Es gehörte zur künstlerischen Übereinkunft, dass «Das Erste und das Letzte» von ihrem Leben handle. Vom Leben, das war und, weiss Gott, nicht hätte sein müssen, von dem, das hätte sein sollen, aber nicht war, und dem, das gut war, wie es war in der rechten Balance seiner Gegenwärtigkeit.
Absolutes Schmerzgedächtnis
Es war für Jacqueline von Kaenel nie leicht, ein existenzielles Gleichgewicht herzustellen. Die Gabe eines selbstbewussten Wohlbefindens war ihr nicht gegeben, und vor dem Tod war die Rechnung aufzumachen, warum. Man könnte sagen: für den Seelenfrieden. Die autobiografische Erzählung mäandert also durch Lebensjahrzehnte.
Jacqueline von Kaenel entwickelt dabei, vielleicht dank der Künstlichkeit der filmischen Situation oder der Konzentration, zu der einem die Todesnähe befähigt, eine Art absolutes Schmerzgedächtnis – und die Wege, die ihre Geschichte nimmt, sind verschattet und dunkel und führen zurück zur Jugend in Spanien, wo die Mutter, eine tobsüchtige Furie (sie «monströs» zu nennen, wäre keine Übertreibung), ihre Kinder zu Puppen in ihrer lebensgrossen, grossbürgerlichen Puppenstube machte.
Ein zurückhaltender Film
Es trug eine Psyche Wunden davon, an denen auch die Psychologin von Kaenel immer heftig laborierte. Und man versteht: Dass sie mit sich ins Reine kam und das Glück vom Schmerz trennte, als es ans Sterben ging, darf noch nicht mit einer Erlösung verwechselt werden.
Ein zurückhaltender Film ist das. Stil- und gefühlvoll in seiner Ruhe. Geradezu elegant in seiner visuellen Bescheidenheit. Ein paar Fotos aus der gepützelten Kindheit (unglaublich, wie Kinder ihre Qual wegstrahlen), einige fein animierte Zeichnungen (Anja Kofmel) von Orten und Episoden, mehr ist da nicht. Sie dienen dem Wort, es hat etwas mit Respekt zu tun. Und was mehr könnte einer Traurigkeit, die von sich selbst erzählt, beigefügt werden, ohne die Anstandsgrenze zu verletzen?
«Das Leben vor dem Tod»: 31. 1., 12 Uhr, Landhaus. «Das Erste und das Letzte» läuft ab 15. 2. in den Kinos.
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