«Wäre ich gefahren, hätte Feuz nur Silber geholt»
Daniel Albrecht war eine grosse Schweizer Ski-Hoffnung. 2009 veränderte sich sein Leben komplett, als er in Kitzbühel schwer stürzte.

In seinem Slalomlauf zu Gold in der Kombination erinnerte Luca Aerni an Sie. Wie erging es Ihnen?
Es gibt ohnehin viele Verbindungen von Aerni zu mir und Marc Berthod. Bei uns damals war Didier Cuche die Nummer 1, und wir waren die neue Generation. Nun gewann Feuz die Abfahrt, am nächsten Tag kommt Aerni – die neue Generation.
Und der Fahrstil?
Er fährt ähnlich wie Berthod. Auch wenn ich ihn reden höre, denke ich: Das ist doch Marc! Und ja: Berthod hatte fast den gleichen Stil wie ich.
Welche Parallelen gibt es sonst?
Ich stand noch nie auf dem Weltcuppodest und gewann dann in Åre 2007 WM-Gold in der Kombination – genau wie Aerni. Da kommen Gefühle auf, die ich einst als Athlet hatte. Ich probiere, das für mich möglichst so zu verbinden.
Sie leben Ihre Karriere in Aerni nach?
Ich habe das Verlangen und das Bedürfnis, alles noch einmal so zu fühlen, wie es damals war.
Wären Sie gerne noch Rennfahrer?
Hier an der WM gibt es Tage, an denen ich gerne fahren würde. Aber dann überlege ich, wie viel es an Training und Vorbereitung bräuchte, und muss sagen: Ich fahre lieber als Tourist zügig.
Wie wichtig ist Ihnen der Kontakt zur Skiwelt?
Ich sehe vor allem Dinge, die ich als Trainer gerne machen würde. Nur ist es schwierig, als ehemaliger Skirennfahrer Trainer zu werden. Es gibt viele ehemalige Topathleten, die einen riesigen Erfahrungsschatz haben, den sie den Jungen weitergeben könnten.
Wird die Erfahrung von einstigen Skirennfahrern nicht genutzt?
Nein. Einen Didier Cuche hätte ich nach seiner Karriere doch einfach mitgenommen. Aber in der Schweiz braucht es eine Trainerausbildung – an dieser bin ich schon seit ein paar Jahren dran.
Wie schaut diese aus?
Zu Beginn musste ich zeigen, ob ich Riesenslalom fahren kann, dann, ob ich über 20 Meter springen kann. Stellen Sie sich vor, was sich Cuche denken würde, wenn er das machen müsste.
Ihnen wurde Ihr Leben als Skifahrer genommen. Hadern Sie damit?
Dafür, dass ich nur ein paar Jahre dabei war, ehe der Unfall in Kitzbühel passierte, habe ich sehr viel erlebt. Wir hatten einen tollen Teamgeist, Freude, Spass und Erfolg. Ich hatte gute Erlebnisse an der WM in Åre. Es gibt einige Fahrer, die mit 40 nicht so viel erlebt haben wie ich.
Dachten Sie auch schon daran, was noch alles hätte kommen können?
Dadurch, dass ich eine schöne Zeit hatte, gesund bin und wieder alles machen kann, konnte ich guten Gewissens aufhören. Nun kann ich locker auf den Skisport schauen und sagen: Ich war damals besser als Feuz. Wenn ich in der Abfahrt gefahren wäre, hätte er sich mit Silber begnügen müssen. (lacht)
Sie haben versucht, nochmals zurückzukommen. Wie war der Prozess des Abnabelns für Sie?
Als ich erstmals wieder auf den Ski stand, dachte ich: Also, ich fahre wieder Ski. Ich wusste, dass ich im Weltcup fuhr und gut war, das wollte ich ja auch wieder werden. Aber ich hatte keine Ahnung.
Sie konnten sich nicht erinnern?
Ich konnte nicht sagen: Ich will genau das wieder erleben und spüren, was ich einst hatte. Ich wusste ja gar nicht, was ich früher hatte. Es ist schwierig, etwas zu suchen, wenn man nicht weiss, was man suchen muss. Alle Ärzte und alle Betreuer haben gesagt, dass das nichts mehr wird. Ich dachte: Mir egal. Ich will selber erfahren, was geht und was nicht.
Wie ging es?
Ich schaute das als eine Art Therapie an, habe es locker genommen – und es ging. Erst als ich sah: Wow, ich qualifiziere mich für den 2. Lauf im Riesenslalom von Beaver Creek, da wurde es schwieriger. Ich hätte mir ein Umfeld aufbauen müssen, damit ich es hingekriegt hätte. Aber das war für mich viel zu kompliziert. Der Kopf war noch lange nicht so weit, dass ich normale Gedanken hätte haben können.
Der Kopf war nicht dabei, trotzdem holten Sie im ersten Rennen wieder Punkte. Das Grundgefühl blieb?
Das Gefühl des Körpers für die Bewegungen, das war noch da. Aber ich musste neu lernen, was es heisst, mental stark zu sein.
Kamen die Erinnerungen zurück?
Ich habe mich bei jedem Gedanken hinterfragt. Wieso ist das jetzt so? Wieso hast du das gesagt? So lernte ich sehr viel über mich. Aber es war für den Kopf sehr anstrengend.
Wenn Sie so klar von früher sprechen: Ist das eine Geschichte, die Sie sich einprägten, oder können Sie sich an die Geschehnisse erinnern?
Indem ich alles immer und immer wieder im Kopf durchging, hatte ich irgendwann das Gefühl: Ich weiss noch, wie es damals war. Ich kann aber nicht sagen, ob auch alles so gewesen ist.
Welche positiven Momente gab es?
Der schönste Moment war, als ich merkte, dass ich nur das machen muss, was ich will, und damit bin ich glücklich.
Seit drei Monaten haben Sie eine Tochter. Wie ist es, Vater zu sein?
Das ist enorm emotional und lustig. Ich sehe ein Mädchen, das die Augenbrauen hochzieht und grinst. Das mache ich auch oft. Ich denke: Hei, das hat sie von mir. Das ist ein sehr schönes Gefühl.
Wenn Sie wieder im Skizirkus unterwegs wären, bliebe kaum Zeit für die Familie. Ein Problem?
Das wäre sehr schwierig. Ich versuche, bei der Erziehung dabei zu sein. Ich will sagen können: Ich bin verantwortlich für den Seich, den sie einmal machen wird, oder ihre guten Eigenschaften. Deshalb sehe ich mich als Berater von aussen.
Sie haben eine Ski-Bekleidungsmarke. Was bedeutet es Ihnen, eine eigene Firma zu haben?
Ich habe diese damals gegründet, weil ich Cuche sah, der in die Jahre kam. Für ihn gab es nur Skifahren. Ich kriegte Angst, dachte, was soll ich machen, wenn es einmal zu Ende ist? Zum Glück habe ich sie gegründet: So konnte ich ohne Druck in ein neues Leben starten.
Apropos Cuche: Der wurde nach Ihrem Sturz zum König der Streif. Haben Sie mit der Strecke Frieden geschlossen?
Ich hatte nie Ärger mit ihr. Ich war nur wütend auf mich, weil ich nie zeigen konnte, dass die Streif eigentlich meine Strecke gewesen wäre. Die schwierigen Kurven lagen mir, ein Jahr vor dem Sturz merkte ich, dass ich auch die Gleiterkurven langsam in den Griff kriegte. Ich bin traurig, dass ich in Kitzbühel nie gegen Cuche fahren konnte. Ich hätte gerne mit ihm auf der Streif gekämpft.
Womit haben Sie in Ihrem Alltag noch zu kämpfen?
Ich tue mich schwer mit Diskussionen.
Der Eindruck ist ein anderer.
Ich kann das ganz gut überspielen. Aber der Kopf wird schnell müde. Ich mache vieles sehr bewusst, was andere unbewusst machen. Und das ist extrem anstrengend. Irgendwann ist der Kopf so müde, dass nichts mehr funktioniert.
Haben Sie ein Beispiel?
Nehmen wir das Geschäft: Ich habe einen klaren Plan, eine klare Idee, ein ganz klares Bild. Ich weiss genau, wie ich die Idee weiterentwickeln will. Ich studiere – und plötzlich ist alles weg. Das Bild wird auf einen Schlag unscharf. Ich versuche, es zurückzuholen, aber es geht nicht. Kommt es wieder? Wenn ja, wann? Morgen? In einer Woche?
Wie ist das für Sie?
Es nervt, wenn ich eine Idee hatte und diese dann verschwindet. Wenn ich nicht einmal mehr sagen kann, was ich gedacht habe. Ich versuche dann, meine Ideen rüberzubringen, das gelingt aber nicht. Das Gegenüber denkt oft: Was ist denn das wieder für eine Scheissidee!
Schmerzt Sie das?
Es tut weh. Mittlerweile kann ich aber besser damit umgehen.
Wie schwer fiel es Ihnen, zu akzeptieren, dass Sie noch Defizite haben?
Das ist ein Bereich, den ich nicht unter Kontrolle bringen kann. Ich habe vor allem gelernt: Wenn ich es unter Druck versuche, funktioniert es sowieso nicht.
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