Walter Jens ist tot
Der Rhetorikprofessor galt als moralische Instanz und prägte die Streitkultur der Bundesrepublik. Nun ist Walter Jens nach langer Krankheit gestorben.

Der «Redner der Nation» wurde 90 Jahre alt. Jens war seit längerem demenzkrank, konnte seit Jahren nicht mehr reden und schreiben. Der emeritierte Tübinger Rhetorikprofessor und ehemalige Präsident der Berliner Akademie der Künste war in Wort und Schrift als kämpferischer Wächter der Demokratie hervorgetreten und hatte wie kaum ein anderer die tolerante Streitkultur in der Bundesrepublik geprägt.
Viele sahen in Jens (wie Kulturstaatsminister Bernd Neumann zum 85. Geburtstag) eine «moralische Instanz» und einen engagierten Demokraten. Die Berliner Akademie der Künste ehrte ihn als einen Autor, Rhetoriker und Kulturpolitiker, der Geschichte geschrieben habe. Intellektuelle müssten sich einmischen und warnen, lautete sein Credo. Der gläubige Christ galt als die Verkörperung des klassischen «homme de lettres» und war gleichzeitig ein engagierter Radikaldemokrat in Gestalt des ungemein belesenen «gelehrten Dichters».
NSDAP-Mitgliedschaft
Er demonstrierte gegen die Nachrüstung in der Bundesrepublik ebenso wie gegen den Irak-Krieg und meldete sich auch zur Rechtschreibreform und zur deutschen Einheit zu Wort. «Juden und Christen in Deutschland» und «Feldzüge eines Republikaners» heissen Werke von Jens. Sie könnten für sein Leben stehen, das er in den Dienst der Aufklärung stellte. Ein Schatten fiel auf seine Vita, als 2003 seine NSDAP-Mitgliedschaft bekannt wurde, an die er sich nach eigener Aussage nicht mehr erinnern konnte.
Von 1963 bis 1988 hatte Jens den bundesweit ersten Lehrstuhl für Allgemeine Rhetorik an der Eberhard-Karls-Universität in Tübingen inne. Von 1976 bis 1982 war er Präsident des PEN-Zentrums der Bundesrepublik, und von 1989 bis 1997 Präsident der Berliner Akademie der Künste, deren Ehrenpräsident er danach wurde.
Seit 1947 schrieb Jens Romane, Essays, Dramen und Hörspiele und gehörte dem legendären Schriftstellerkreis Gruppe 47 an. Er erzählte die Odyssee nach, übersetzte den Römerbrief des Neuen Testaments, widmete sich dem «Fall Judas». Zuletzt schrieb er zusammen mit seiner Frau Inge Jens, die auch die Tagebücher von Thomas Mann edierte, die Bücher «Frau Thomas Mann» und «Katias Mutter», die Bestseller wurden. Der leidenschaftliche Fussballfan war zeitweise auch als Fernsehkritiker «Momos» in der «Zeit» tätig.
SDA/phz
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