Wanders muss im Kopf fitter werden
Der Genfer Julien Wanders hat eine Saison voller Bestzeiten, aber auch Tiefschläge hinter sich. Sein Trainer fordert nun mentale Bereitschaft. Am Sonntag startet er an der Cross-EM mit Medaillenchancen.
Fliegt er durch Genfs Strassen, gewinnt er die Escalade mit Streckenrekord, und zum dritten Mal in Folge wie am vergangenen Sonntag, dann ist das der Julien Wanders, dem noch viel Grosses zugetraut wird. Begeht er über 5000 m einen taktischen Fehler oder gibt über die doppelte Distanz gar auf, wie an der WM in Doha, ist das jener Schweizer Mittel- und Langstreckenläufer, der an sich zweifelt. Und an dem gezweifelt wird, sobald er einen Bahnwettkampf bestreitet.
Wanders hat eine Saison mit zwei Seiten hinter sich, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Die eine mit persönlichen Bestzeiten über 800, 1500, 3000, 5000 und 10'000 m, dort in 27:17 Minuten mit einem hoch stehenden Schweizer Rekord, und: Europarekord im Halbmarathon (59:13). Die andere mit enttäuschenden, gar niederschmetternden Auftritten bei Weltklasse Zürich und eben an der WM.

Werbeaufnahmen und Tests
Für den 23-jährigen Genfer hat bereits die Olympiasaison begonnen. Obwohl er am Sonntag in Lissabon an der Cross-EM das Jahr noch mit einer Medaille krönen will. Er hat den Anfang der Woche neben Werbeaufnahmen für einen Sponsoren auch für medizinische Tests genutzt, wie er das Ende Jahr immer tut. Wie haben sich die Kraftwerte verändert? Welche Übungen sind nötig, um spezifische Muskelgruppen besser auszubilden?
Marco Jäger, sein Trainer, sagt, es seien kleine Dinge, die jeweils angepasst werden müssten. Aber es ist letztlich das, was Wanders versucht, seit er in Iten im Hochland Kenias lebt: Die beiden Welten optimal zu nutzen, in denen er sich bewegt. Laufen wie die Kenianer, (Kraft) trainieren, sich ernähren und pflegen wie die Europäer.
«Er spielt sich selber etwas vor. Dabei verbrauchte er zu viel Energie, die ihm an der WM fehlte.»
An Wanders' Fitness hat seit jeher niemand gezweifelt. An seinem mentalen Rüstzeug jedoch schon. Jäger sagt, die Zeit nach den Ferien des Läufers hätten sie für eine tiefere Analyse dieses Bereichs genutzt. Und sie sind zu aufschlussreichen Erkenntnissen gekommen: Die Saison hat Wanders mental zu viel Energie gekostet, genauer: Er ist zu verschwenderisch mit dieser Energie umgegangen. «Er hat an den Schweizer Meisterschaften beispielsweise vier Rennen bestritten – die 800 und die 1500 Meter waren erklärte Schnelligkeitstests. Für ihn waren es letztlich aber keine Tests mehr, sondern wirkliche Wettkämpfe. Und weil er sie nicht gewann, beschäftigte ihn das zwei Tage lang», sagt Jäger. «Es kamen dabei Zweifel auf, die nicht nötig waren.»
«Er läuft nicht zu viel»
Generell habe Wanders Mühe, sich eine Schwäche einzugestehen. So war er krank, als er von Weltklasse Zürich nach Kenia für die unmittelbare WM-Vorbereitung zurückkehrte. Dem Trainer berichtete er von einer Erkältung, in Wahrheit aber hatte er Fieber, absolvierte seine Trainings jedoch trotzdem. «Er spielt sich selber etwas vor. Dabei verbrauchte er zu viel Energie, die ihm an der WM fehlte», glaubt Jäger. Und nicht nur die Energie fehlte. «Auch die Freude, er hat sich nun in Genf viel mehr auf das Rennen gefreut und war nervöser als damals.»
Gegen einen Vorwurf, den er schon öfter gehört hat, wehrt sich der Trainer vehement: Wanders laufe zu viel. «Er läuft nicht zu viel. Um taktisch besser zu werden, braucht er Rennen, in denen er lernen kann», sagt Jäger. Es seien nur dann zu viele Rennen, wenn es der Athlet nicht schaffe, lockerer an sie heranzugehen.
Aufnahmen vom Lauftraining Wanders' aus Kenia. (Video: Instagram)
Er hat deshalb auch eine klare Forderung an den Athleten. «Ich will im mentalen Bereich neue Inputs sehen. Er muss aktiver werden.» Jäger meint damit, dass Wanders beispielsweise lernt, die Wichtigkeit einzelner Rennen zu unterscheiden, er soll lernen, dass nicht alle Trainings optimal verlaufen, deshalb aber nicht gleich das Ziel in Frage gestellt ist. Zusammengefasst sagt er: «Er muss reifer werden.»
Am Sonntag gehört Wanders zu den Medaillenmitfavoriten – wenn die 10,2-km-Strecke im Bela-Vista-Park trocken, hart und damit schnell bleibt. Unter seinen Gegnern hat es grosse Namen wie jenen von Titelverteidiger Filip Ingebrigtsen (NOR) oder Yemaneberhan Crippa (ITA). Aber in Genf hat er selbst gegen den Schnellsten des Jahres über 5000 m, Telahun Haile Bekele (ETH), überlegen gewonnen. Sein Selbstvertrauen ist also beträchtlich und die Taktik wohl keine neue: Vorne wegfliegen, auch in Lissabon.
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