
Hat die Tabakindustrie ausgehustet? Oder wenigstens an Einsichten gewonnen? Zeit hätte sie gehabt, und auch der Anlass liegt lange zurück. 1998 einigten sich die vier grössten Tabakkonzerne der USA mit den Staatsanwälten von 46 amerikanischen Bundesstaaten auf einen Vergleich. Die Tabakindustrie hatte während Jahrzehnten die Gesundheitsschäden ihrer Produkte systematisch verharmlost. Sie musste eine Busse von 206 Milliarden Dollar zahlen, auf 25 Jahre verteilt. Seither ist die Tabakwerbung eingeschränkt, und das Rauchen ist in öffentlichen Gebäuden in zahlreichen Ländern verboten worden.
Und jetzt, fast 20Jahre nach dem Abkommen, gibt Fred de Wilde, EU-Chef der Firma Philip Morris International, ein überraschendes Bekenntnis ab: Nichtraucher, sagt er dem deutschen «Handelsblatt», sollten «erst gar nicht mit dem Rauchen anfangen». Dasselbe würde er auch seinen eigenen Kindern raten. Der oberste legale Drogendealer Europas warnt also mögliche Neukunden vor der Substanz, mit der sein Arbeitgeber Geld verdient. Philip Morris International erzielte im letzten Jahr einen weltweiten Umsatz von 75 Milliarden Dollar.
Die Absicht dahinter
Warum gibt Fred de Wilde einen Rat, der direkt gegen die finanziellen Interessen seines Arbeitgebers verstösst? Und warum kommt er ausgerechnet jetzt? Weil der Manager damit einen Strategiewechsel seines Konzerns popularisieren möchte. Philip Morris stellt auf die E-Zigarette Iqos um, die den Tabak mit 300 statt mit 800 Grad verbrennt, was für die Konsumenten weniger schädlich sein soll. «Wir wollen langfristig alle klassischen Zigaretten durch weniger schädliche Alternativen ersetzen», sagt de Wilde im Interview.
Über ihn selbst ist wenig bekannt. Frederic de Wilde wird demnächst 50 Jahre alt, sieht aber deutlich jünger aus. Der Belgier studierte in seiner Heimatstadt Brüssel Wirtschaft und begann seine Karriere bei Colgate-Palmolive, dem Konsumgüter-Konzern. 1992 wechselte er zu Philip Morris, wo er sich über Zwischenstationen in Spanien, Italien und Japan hocharbeitete. Seit einem Dutzend Jahren leitet er die EU-Sektion des weltgrössten Tabakkonzerns.
Die gefilterte Wahrheit
Wer den Film «Thank You for Smoking» (2006) gesehen hat, die Satire von Ivan Reitman nach dem Roman des republikanischen Satirikers Christopher Buckley, ist über die Aussage des Tabakmannes nicht erstaunt. Denn wie der fiktive, von Robert Duvall gespielte Konzernleiter im Film klarstellt, hat es seine Branche immer wieder verstanden, auf Kritik an ihren Produkten mit neuen Produkten zu reagieren. Erst kamen die Filterzigaretten, dann die leichten Zigaretten, dann die dünnen. Jetzt kommen halt die warmen.
Die Tabakindustrie verberge die Wahrheit nicht, heisst es an anderer Stelle im Film: «Sie filtert sie nur.»
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Warnung Ihres Drogendealers
Fred de Wilde, Manager beim Tabakkonzern Philip Morris, rät Nichtrauchern, es zu bleiben.