Warum Ehen scheitern
2000 Frauen und Männer hat Psychologieprofessorin Pasqualina Perrig-Chiello befragt. Die Resultate sind erstaunlich wie ernüchternd.

Dass letzte Woche an dieser Stelle die Abschaffung der Ehe gefordert wurde, lag nicht nur, aber auch an der durchzogenen Erfolgsbilanz der Heirat angesichts der schweizerischen Scheidungsquote von 42 Prozent. Optimisten veranlasste das zur messerscharfen Analyse, das komme mitnichten der Kapitulation einer Institution gleich, denn es würde ja die Mehrheit der Ehen Bestand haben. Stimmt. Bloss: Macht die Tatsache, dass die Mehrheit der Paare zusammenbleibt, selbige auch glücklich? Leider nein.
Die emeritierte Psychologieprofessorin Pasqualina Perrig-Chiello hat während sechs Jahren 2000 Personen zu ihrer Partnerschaft befragt: 1000 spät Geschiedene und 1000 Verheiratete, im Schnitt betrug die Ehedauer 21 Jahre. Aus der Studie entstand ein Buch, in das auch Perrigs langjährige Forschung einfloss: «Wenn die Liebe nicht mehr jung ist – Warum viele langjährige Partnerschaften zerbrechen und andere nicht». Es erscheint morgen Montag – und ist ein grossartiges, erfrischendes, verblüffendes Buch über Beziehungen, das sich trotz seiner Wissenschaftlichkeit so süffig und leicht liest wie selten ein Sachbuch. Da steht viel Überraschendes drin und auch viel Ernüchterndes. Wie eben die Tatsache, dass sich 41 Prozent aller Paare, die länger als 30 Jahre verheiratet sind, als unzufrieden bezeichnen. Das ist fast die Hälfte und «hat auch mich in seiner Deutlichkeit erstaunt», sagt Pasqualina Perrig.
«41 Prozent aller Paare, die länger als 30 Jahre verheiratet sind, bezeichnen sich als unzufrieden.»
Die doch recht hohe Zahl jener, die in einer langjährigen, unbefriedigenden Beziehung ausharren, bedeutet zweierlei. Erstens: Die Dauer einer Ehe hat wenig mit ihrer Güte zu tun. Zweitens, an die Adresse der Optimisten: Die Scheidungsquote wäre in Tat und Wahrheit noch höher, wenn die Paare ehrlicher und mutiger wären.
Die Frage stellt sich: Wie bekommt man es denn nun hin, dass eine Liebe ein Leben lang hält? Gibt es das überhaupt? Haben die, die sich zufrieden nennen, weniger hohe Ansprüche? Oder hatten sie womöglich einfach Glück? Kann man ein Scheitern verhindern? Und falls ja: wie?
Auf all diese Fragen gibt Pasqualina Perrig Antworten. Untermauert mit Zahlen, die sie und ihr Team erhoben haben sowie mit solchen aus internationalen Studien. Sie alleine sind schon spannend genug – Perrigs Buch ist aber auch deshalb so lesenswert, weil es durch die Abwesenheit von herkömmlichen psychologischen Ratgeberformeln besticht – und die Erklärungen, Schlüsse und Anregungen so einleuchtend wie pragmatisch sind.
Höchste Scheidungsrate ab 50
Da steht nichts von «Man muss an der Beziehung arbeiten» oder «Planen Sie fixe Rendezvous ein» – da steht eher, dass man seine Ansprüche etwas herunterschrauben und sich vom Gedanken der perfekten Beziehung genauso verabschieden sollte wie von jenem des stets fairen Gebens und Nehmens. Das Buch plädiert für mehr Realitätssinn, mehr Eigenverantwortung und weniger Egozentrik. Angesprochen sind damit beide Geschlechter, auch wenn die Unterschiede zwischen ihnen in den Untersuchungen deutlich ausfallen. Aber der Vorstellung, das Gegenüber sei dafür verantwortlich, einen glücklich zu machen, fallen beide anheim. Und weil gleichzeitig die Meinung herrscht, man habe ein unbedingtes Anrecht auf Glücklichsein, schwindet die Frustrationstoleranz. Gesellschaftlich eher akzeptiert als der Satz «Man muss halt auch mal auf die Zähne beissen» ist heute vielmehr «Wenn es für dich nicht stimmt, musst du dir das nicht länger antun».
Am häufigsten sagen sich das Männer mit 49 und Frauen mit 47, also um die 50 herum; in diesem Alter ist die Scheidungsrate am höchsten. Das hängt mit den Lebensumständen zusammen, damit, dass die Beziehung dann bereits etwas Patina angesetzt hat und sie oft vor lauter Familie und Beruf in den Hintergrund getreten ist. Sie wird zur Selbstverständlichkeit. Paare verfallen in den sogenannten Sicherheitszyklus, und der sei, sagt Perrig, «Gift für jede Beziehung und auf Dauer garantiert tödlich». Denn das geht zunächst ganz gut, der Laden läuft ja – bis ein Problem auftaucht. Dann erträgt das ohnehin schon morsche Gebilde, gepaart mit der sinkenden Bereitschaft, Krisen durchzustehen, nicht mehr die geringste Erschütterung.
«Die fehlende maskuline Kommunikationsfähigkeit ist in 80 Prozent der Fälle für das Ende der Beziehung verantwortlich, zumindest aus Frauensicht.»
Die Frauen sind da kompromissloser. Pasqualina Perrig konnte für die Schweiz erstmals nachweisen, was man auch aus dem Ausland weiss: dass Trennungen häufiger weiblich initiiert sind. Bis anhin gab es bei uns keine entsprechenden Zahlen, da die Gerichte das Einreichen der Scheidungsbegehren nicht nach Geschlecht erfassen. Perrigs Untersuchung zeigt klar: In mehr als der Hälfte der Fälle zieht die Frau den Schlussstrich. Noch deutlicher wird das bei den über 65-Jährigen: Da sind es zu zwei Drittel die Frauen, die den Bettel hinschmeissen. Sie fühlen sich vor allem alleingelassen in der Beziehung und beklagen die fehlende Kommunikation. Die Zahlen dazu sprechen Bände: Nur gerade ein Fünftel aller Männer gab an, Schwierigkeiten in der Beziehung angesprochen zu haben – im Gegensatz zu neun Zehnteln der Frauen. Die fehlende maskuline Kommunikationsfähigkeit ist in 80 Prozent der Fälle für das Ende der Beziehung verantwortlich, zumindest aus Frauensicht. Mit ihrem Schweigen stellen sich die Männer indes selbst ein Bein, denn sie hängen – entgegen dem Klischee vom einsamen Wolf – meist mehr an der Beziehung und vor allem an ihrer Partnerin; sie bezeichnen diese häufig als engste Bezugsperson. Umgekehrt ist das nicht der Fall, weil Frauen sich regelmässig mit anderen austauschen. Emotional und sozial sind Männer vielfach abhängiger, das macht sie verletzlicher – auch nach der Scheidung, wenn es um den Kontakt mit den Kindern geht.
Pasqualina Perrig sagt, sie hätte sich gewünscht, die Geschlechterunterschiede seien hinsichtlich der Kommunikation nicht so signifikant – immerhin lasse sich aber erkennen, dass jüngere Männer sich eher mitteilten oder Hilfe suchten als ihre Väter, die vor allem stumm und hilflos reagierten. «Da lässt hoffen.» Das käme nicht nur den Frauen, sondern vor allem ihnen selbst zugut, denn entgegen einem weiteren Klischee kommen Männer mit Einsamkeit weniger gut zurecht als Frauen – weshalb sie sich nach dem Beziehungsende rasch Ersatz suchen. Ihre Ex-Gattinnen lecken die Wunden länger, bleiben länger allein, und ihr Wunsch nach einer neuen Partnerschaft ist weniger ausgeprägt. Noch augenfälliger werden die Unterschiede, wenn es darum geht, wieder gemeinsam mit jemandem unter einem Dach zu leben: 96 Prozent der Frauen lehnen das entschieden ab. Es spricht nicht unbedingt dafür, dass sie damit gute Erfahrungen gemacht haben.
Veränderung wird schlecht aufgenommen
Nebst der Kommunikation – deren Beherrschen laut Perrig die halbe Miete ist – spielt die Entfremdung eine grosse Rolle. Und es sind die Männer, die das als häufigsten Grund für das Scheitern der Beziehung verantwortlich machen. Sie erklären etwa, ihre Frauen hätten nicht mehr aus der Mutterrolle herausgefunden, während sie selbst sich weiterentwickelt hätten. Aber allzu sehr verändern soll sich die Gattin auch nicht. Denn, so hält Pasqualina Perrig fest, Veränderungen würden «hüben wie drüben» häufig schlecht aufgenommen. Das ist umso fataler, als sich beide Partner im Lauf der Zeit entwickeln und verändern, und zwar nur schon altersbedingt. Männer werden meist sanfter und zurückhaltender, Frauen hingegen aufmüpfiger und selbstbewusster. Das Problem dabei: Er will seine Frau zwar nicht in der Mutterrolle verharrend, aber eben doch am liebsten so brav und anschmiegsam wie eh und je. Und die Frauen sind nicht etwa grosszügiger: Der Gatte soll bitte so stark und draufgängerisch bleiben wie als junger Mann, Schwäche wird ihm übel genommen. Da fallen beide Geschlechter einem uralten Rollenverständnis zum Opfer, und sie tun sich damit beide keinen Gefallen, erst recht nicht in der zweiten Lebenshälfte. Ganz abgesehen davon, dass die individuelle Entwicklung eigentlich kein Hindernis für die Paarbeziehung darstellen würde – sondern Voraussetzung ist, um gemeinsam vorwärtszukommen.
Trotz ihrer Häufigkeit und der weggefallenen Stigmatisierung sind Scheidungen ein schwerwiegendes Ereignis im Leben der Betroffenen geblieben. Die meisten leiden massiv darunter, rund 20 Prozent erholen sich auch langfristig nicht davon; Geschiedene suchen doppelt so häufig den Arzt auf wie Verheiratete. Kurioserweise wirkt aber ein Beziehungsabbruch deswegen nicht etwa abschreckend, sondern vielmehr ansteckend: Trennt sich ein Paar, ist die Gefahr gross, dass es bald weitere Paare im selben Umfeld trifft. Es werden Vergleiche angestellt, und mit einem Mal brechen die Dämme, werden all die Dinge, die jahrelang unter den Teppich gekehrt wurden, thematisiert. Und gerade die Frauen sagen sich dann: Ich habe zwar Angst vor der Einsamkeit, dem Unbekannten. Aber meine Freundin hat den Schritt gewagt, dann packe ich das auch.
Ungebrochene Sehnsucht nach Geborgenheit
Dabei wünschten sich alle nichts so sehr wie das Gegenteil, nämlich Geborgenheit (so, wie sich auch alle Treue wünschen, es selbst damit aber nicht so genau nehmen; in 40 Prozent aller Scheidungen spielte Untreue eine Rolle). Die Sehnsucht nach einer innigen Partnerschaft, die für immer währt, ist ungebrochen, sie steht bei Jugendbefragungen an erster Stelle.
Hält sich der Glaube ans ewige Glück zu zweit so hartnäckig trotz oder wegen der hohen Scheidungsquote? «Wegen der hohen Scheidungsquote», sagt Perrig. Die zunehmende Unverbindlichkeit und die damit einhergehende Unsicherheit verstärkten den Wunsch nach Sicherheit, man suche Trost im Altbekannten, Vertrauten; Fachleute nennen das Retraditionalisierung. Nur kommt zu diesem Urbedürfnis etwas völlig Neues hinzu: «Für immer» kann bei Paaren, die heute mit 30 heiraten, 60 Jahre bedeuten. Diese Möglichkeit gab es wegen der bis vor kurzem deutlich tieferen Lebenserwartung noch nie. Es macht die Partnerschaft, nebst all den gesellschaftlichen Veränderungen, zu einer noch grösseren Herausforderung.
Pasqualina Perrig selbst ist seit 42 Jahren verheiratet – «kleinere und grössere Krisen inklusive», aber letztlich glücklich. Weiss sie als Expertin besser, wie es geht? «Nicht nur, es braucht auch Glück dazu» sagt sie. Und dieses mittlerweile leider so sinnentleerte, aber entscheidende Wort Achtsamkeit – dabei handle es sich um nichts anderes als die Selbstverständlichkeit, auf etwas Acht zu geben, das einem wichtig sei, weil man es gern habe: sein angetrautes Gegenüber.
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