Warum ist die Erwerbsquote von anerkannten Flüchtlingen so tief?
Migrationsexperte Eduard Gnesa erklärt seine Empfehlungen für eine höhere Arbeitsintegration.

Herr Gnesa, die Erwerbsquote von anerkannten Flüchtlingen beträgt fünf Jahre nach Einreise bloss 32 Prozent. Weshalb ist dieser Wert so tief?
Die Arbeitgeber haben auf mehrere Hürden hingewiesen: Einerseits fehlten den Flüchtlingen und vorläufig Aufgenommenen teilweise noch die notwendigen Sprachkenntnisse und Ausbildungen. Zudem sei es für Unternehmen manchmal schwierig, sich über die genauen Rahmenbedingungen für eine Anstellung dieser Gruppe von Arbeitnehmenden zu informieren. Doch gab es bereits Verbesserungen.
Welche?
Unternehmen, die Flüchtlinge oder vorläufig aufgenommene Personen anstellen wollen, brauchen seit Anfang 2018 keine Bewilligung mehr. Es genügt eine einfache Meldung. Und seit kurzem profitieren auch vorläufig Aufgenommene und Flüchtlinge wie alle anderen inländischen Arbeitslosen von der neu eingeführten Stellenmeldepflicht.
Gab es bei Ihren Interviews mit den Unternehmern auch Überraschungen?
Ja, die sehr positive Grundhaltung. Die Unternehmer sind durchs Band motiviert, Flüchtlinge einzustellen oder auszubilden. Dies, um ihre gesellschaftspolitische Verantwortung wahrzunehmen, aber auch, weil sie Arbeitskräfte und Lehrlinge suchen. So blieben beispielsweise dieses Jahr viele Lehrstellen unbesetzt.
Und die anerkannten Flüchtlinge, wollen sie überhaupt einen Job?
Die Motivation, zu arbeiten und für sich selbst aufzukommen, ist bei den allermeisten sehr gross. Auch deshalb, weil sie beispielsweise Geld an ihre Familien im Heimatland senden wollen. Viele von ihnen haben auch Schulden, weil sie für ihre Flucht Geld bei der Tante oder dem Onkel leihen mussten. Und sie wollen sich hier eine eigene Existenz aufbauen.
Inwiefern unterscheiden sich im Bereich der Arbeitsintegration die Bedürfnisse der KMU von jenen der Grossunternehmen?
Die Grossunternehmen legen Wert auf gute Sprachkenntnisse, die die Flüchtlinge mitbringen sollten. Die KMU sprachen sich eher für ein Job-Coaching aus.
Was hat es damit auf sich?
Wenn jemand aus einer ganz anderen Kultur kommt, gibt es manchmal Missverständnisse oder Probleme. Da geht es um simple Dinge wie beispielsweise die Pünktlichkeit. Ein Job-Coach kann hier vermitteln und Lösungen finden. Zudem haben die Arbeitgeber einen einzigen Ansprechpartner für alle offenen Fragen und Anliegen.
Wer soll für die Finanzierung solcher Coaches aufkommen?
Diese können über die Integrationspauschalen finanziert werden. Die Kantone erhalten ab dem kommendem Jahr vom Bund 18'000 statt wie bisher 6000 Franken pro Flüchtling oder vorläufig aufgenommene Person.
Wenn wir gerade über Geld sprechen: Eine weitere Empfehlung sieht finanzielle Anreize für Arbeitgeber im Sinne von Einarbeitungszuschüssen oder Teillohnmodellen vor, bei welchen der Lohn zu Beginn etwas tiefer gehalten werden kann. Das birgt Zündstoff.
Die Gewerkschaften sind natürlich sehr skeptisch, wenn man vorschlägt, an den Gesamtarbeitsverträgen etwas zu ändern. Das ist durchaus verständlich. Es gibt aber bereits kantonale Modelle, denen auch die Gewerkschaften zugestimmt haben. Es geht ja nicht darum, Lohndumping mit Flüchtlingen zu betreiben, sondern die Integration in den Arbeitsmarkt zu erleichtern.
Wie sieht dieses Modell aus?
Der Lohn für Flüchtlinge und vorläufig Aufgenommene ist in den ersten zwei bis drei Jahren etwas tiefer. Die Flüchtlinge besuchen in dieser Zeit Sprachkurse und andere Aus- und Weiterbildungen, damit sie im Beruf erfolgreich Fuss fassen können.
Wo sehen Sie denn die Vorteile von finanziellen Zuschüssen an die Arbeitgeber?
Unter dem Strich kostet es den Steuerzahler weniger, wenn etwa der Kanton solche Einarbeitungszuschüsse bezahlt.
Weshalb?
Es gibt zwei Möglichkeiten: Ein anerkannter Flüchtling arbeitet und verdient so den Lebensunterhalt oder einen Teil davon selbst. Oder er kann nicht arbeiten und muss deshalb Sozialhilfe beziehen. Die Schweizerische Konferenz für Sozialhilfe hat hierzu eine Berechnung gemacht: Ein Flüchtling, der als 25-Jähriger in der Schweiz Asyl erhält und keine Stelle findet, kostet bis zu seiner Pensionierung eine Million. Wenn wir ihn oder sie aber fit machen für den Arbeitsmarkt und beim Einstieg mithelfen, verursacht dies zwar auch Kosten. Aber er oder sie kann danach den Lebensunterhalt ganz oder teilweise selbst bestreiten, was die Ausgaben zulasten der Steuerzahler drastisch reduziert. Investitionen in die Integration zahlen sich also um ein Vielfaches aus. Da ist es nicht erstaunlich, dass die Kantone Interesse an neuen Lösungen zeigen.
Wie lange sollten die Arbeitgeber denn solche Zuschüsse erhalten?
Ich bin dieser Frage nicht im Detail nachgegangen, aber der Fall Graubünden zeigt, dass die Zuschüsse rund zwei Jahre bezahlt werden. Je nach Berufsgattung kann es jedoch länger oder kürzer dauern.
Eduard Gnesa hat im Auftrag des Staatssekretariats für Migration (SEM) einen Berichtzur Beteiligung von Flüchtlingen und vorläufig Aufgenommenen am Arbeitsmarkt erstellt. Dazu befragte er Arbeitgeber, Sozialpartner, Branchenverbände sowie staatliche und kantonale Stellen. Sein Bericht empfiehlt Verbesserungen bei der Information und Vernetzung, in der Potenzialabklärung und im Coaching. Geprüft werden sollen aber auch finanzielle Anreize an Arbeitgeber.
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