Warum Thomas N. nicht verwahrt wird – noch nicht
Thomas N. wird für seine monströsen Taten wohl eine lebenslängliche Freiheitsstrafe erhalten. Mit Kuscheljustiz hat das nichts zu tun.
Im Vorfeld des Prozesses gegen Thomas N. war ein Thema allgegenwärtig: Wird der 34-Jährige lebenslänglich verwahrt? Als das Bundesgericht ausgerechnet letzte Woche die lebenslängliche Verwahrung von Claude D., dem Mörder von Marie, aufhob, sagte FDP-Nationalrätin Christa Markwalder dem «Echo der Zeit»: «Man fragt sich dann schon, für welchen Tatbestand wir die lebenslange Verwahrung geschaffen haben, wenn nicht für einen solchen Fall.»
Die gleiche Frage drängt sich noch gebieterischer im Fall von Thomas N. auf, der vor Gericht steht, weil er unter anderem vier Menschen brutal umgebracht hat. Aber die Frage ist genauso falsch gestellt wie bei Claude D., weil sie von falschen Voraussetzungen ausgeht.
Es ist verständlich, dass man einen Menschen, der derart abscheuliche, nicht nachvollziehbare Verbrechen begeht, für den Rest seines Lebens von der Gesellschaft separiert wissen will. Dafür sieht das Strafgesetzbuch die entsprechende Strafe vor. Es darf daran erinnert werden: Lebenslänglich bedeutet nicht automatisch, dass der Verurteilte nach 15 Jahren wieder freikommt.
Reichen vier getötete Menschen nicht?
Die Verwahrung hingegen, egal, ob die lebenslängliche oder die ordentliche, ist keine Strafe – auch wenn es der Betroffene anders empfindet. Sie ist eine reine Sicherungsmassnahme. Deshalb muss sie dann zwingend beendet werden, wenn der Grund für ihre Anordnung – nämlich der Schutz der öffentlichen Sicherheit – weggefallen ist. Was das heisst, ist eigentlich klar, kann aber nicht oft genug wiederholt werden, weil es niemand hören will: Obwohl die Hürden sehr hoch sind, kann ein Verurteilter auch aus einer lebenslänglichen Verwahrung letztlich freikommen.
Was hat das alles mit Thomas N. zu tun? Der 34-Jährige wird noch nicht verwahrt werden können – wenn sich die Protagonisten an Gesetz und Rechtsprechung halten.
Das hat nichts mit Kuscheljustiz zu tun. Das hat auch nichts damit zu tun, dass offenbar vier ermordete Menschen dafür nicht ausreichen. Für seine monströsen Taten wird er eine lebenslängliche Freiheitsstrafe kassieren. Dass er – mindestens zum jetzigen Zeitpunkt – nicht verwahrt werden kann, hat damit zu tun, dass die Voraussetzungen dafür fehlen. Gemäss Gesetz kann eine (ordentliche) Verwahrung nur dann verhängt werden, wenn feststeht, dass eine therapeutische Massnahme keinen Erfolg verspricht, der Betreffende also aktuell (aber nicht bis ans Lebensende, wie bei der lebenslänglichen Verwahrung) als untherapierbar gilt.
Elmar Habermeyer und Josef Sachs, beides ausgewiesene Fachleute, halten Thomas N. nicht für untherapierbar. Zwar darf das Bezirksgericht Lenzburg die beiden Gutachten frei würdigen. Doch in Fachfragen darf es von den Ergebnissen «nicht ohne triftige Gründe» und mit entsprechender Begründung abweichen. Ein triftiger Grund kann ein mangelhaftes Gutachten sein. Davon ist bei den Profis Habermeyer und Sachs nicht auszugehen.
Ob Thomas N. eine Massnahme erhält, hängt von vier Faktoren ab:
- Die Massnahme muss notwendig sein, weil eine Strafe allein nicht ausreichen würde, ihn von weiteren Delikten abzuhalten.
- Der Täter muss eine psychische Störung, zum Beispiel eine narzisstische Persönlichkeitsstörung, aufweisen, und die Tat muss etwas mit dieser Störung zu tun haben.
- Es muss erwartet werden können, dass mit der Massnahme der Gefahr weiterer Straftaten begegnet werden kann.
- Schliesslich muss der Täter selber behandlungsbedürftig, -fähig, und -bereit sein.
Ambulante Therapie wäre naheliegend
Diese Voraussetzungen sind bei Thomas N. im Wesentlichen gegeben. Dass die Behandlung lange dauert und ihr Ausgang ungewiss ist, kann kein Hinderungsgrund sein. Auch der Umstand, dass die beim 34-Jährigen diagnostizierte Pädosexualität nicht heilbar ist, bedeutet nicht, auf eine Therapie zu verzichten. Denn in einer strafrechtlichen Massnahme geht es nicht um Heilung, sondern um Reduzierung von Rückfallgefahr. Und die Volksmeinung «Wer solche Delikte begangen hat, verdient keine Therapie» ist im Schweizer Strafgesetzbuch, Gott sei Dank, nicht vorgesehen.
Offen ist, ob Thomas N. neben einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe eine ambulante oder eine stationäre Therapie verordnet bekommt. Die beiden Psychiater halten beide Massnahmen für möglich. Naheliegend wäre die Anordnung einer ambulanten Massnahme während des Strafvollzugs. Das bedeutet, dass die Behörden erstmals nach 15 Jahren gezwungen wären, zu überprüfen, ob die Therapie den gewünschten Erfolg gebracht hat. Ordnet das Gericht eine stationäre Massnahme an, bei welcher die Freiheitsstrafe zwingend aufgeschoben werden muss, stellte sich die Frage, ob das Gericht nicht gegen das sogenannte Untermassverbot verstösst: Die Dauer der Freiheitsstrafe und die Dauer der erstmalig angeordneten stationären Massnahmen stünden nämlich in einem krassen Missverhältnis.
Die Verwahrung von Thomas N. kommt aber immer noch infrage. Denn sollte die ambulante oder stationäre Massnahme einst scheitern und vom Verurteilten weitere schwere Delikte drohen, kann das Gericht die Verwahrung anordnen.

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