Warum unsere Welt überhaupt existiert
Symmetriebrechung heisst das Zauberwort, das zwei Japaner und einen US-Amerikaner zu den diesjährigen Physik-Nobelpreisträgern macht.
«Nur weil es die Symmetriebrechung gibt, können wir heute überhaupt hier sitzen», erklärte Gunnar Öquist, Generalsekretär der Königlich Schwedischen Akademie der Wissenschaften, gestern, als er in einer Medienkonferenz in Stockholm bekannt gab, wer dieses Jahr mit dem Physik-Nobelpreis geehrt wird. Wir seien alles Kinder einer Symmetriebrechung, die unmittelbar nach dem Urknall vor 14 Milliarden Jahren auftrat.
Damals muss gleich viel Materie wie Antimaterie erzeugt worden sein. Antiteilchen, die wir aus Sciencefiction-Filmen wie «Star Wars» kennen, haben die gleichen Eigenschaften wie normale Teilchen, aber entgegengesetzte Ladungen. Ein Zusammentreffen endet für beide Materiearten fatal: Sie löschen sich aus. Zurück bleibt einzig Strahlung. Eine winzige Abweichung von der perfekten Symmetrie – ein zusätzliches Teilchen Materie bei jeweils zehn Milliarden Teilchen Materie und Antimaterie habe für das Überleben unserer Welt gereicht, schreibt das Nobelkomitee.
Überraschender Weckruf
Dieser kleine Überschuss war der Samen für das ganze Universum, das sich mit Galaxien, Sternen, Planeten und schliesslich auch mit Leben füllte. In der Grundlagenphysik sei die Symmetrieverletzung heute ein Eckpfeiler, sagte Öquist. Als Erster führte Yoichiro Nambu 1960 dieses Prinzip in der Teilchenphysik ein. Er hatte auf dem Gebiet der Supraleitung gearbeitet, bei der Strom plötzlich ohne Widerstand fliesst. Die spontane Symmetriebrechung, mit der sich die Supraleitung beschreiben liess, übertrug Nambu auf die Welt der Elementarteilchen. Seine mathematischen Werkzeuge würden noch heute im sogenannten Standardmodell angewandt, das erklärt, wie die Materie aufgebaut ist, schreibt das Nobelkomitee.
Für diese Leistung erhält Nambu die Hälfte des mit rund 1,6 Millionen Franken dotierten Nobelpreises. Nambu wurde 1921 in Tokio geboren, wanderte aber 1952 in die USA aus und erhielt 1970 die amerikanische Staatsbürgerschaft. Rund 40 Jahre lang forschte und lehrte er an der University of Chicago. Die Nachricht aus Stockholm habe ihn geweckt, sagte der 87-jährige. «Ich war überrascht.» Nach all der Zeit habe er das nicht mehr erwartet.
Die andere Hälfte des Nobelpreises teilen sich die beiden Japaner Makoto Kobayashi und Toshihide Maskawa. Der 68-jährige Maskawa arbeitet an der Universität Kyoto, sein vier Jahre jüngerer Kollege Kobayashi am KEK-Beschleuniger in Tsukuba. Er wisse nicht, was er sagen solle, meinte Kobayashi, als ihn das Nobelkomitee gestern per Telefon zur Medienkonferenz zuschaltete, die im Internet übertragen wurde. Während er offensichtlich nicht mit der Würdigung gerechnet hatte, schien sein Kollege wenig überrascht, aber nicht besonders glücklich. Der Nobelpreis sei doch eine ziemlich banale Angelegenheit. «Es ist eine laute Veranstaltung für die Gesellschaft», zitierte eine japanische Nachrichtenagentur Maskawa.
Die beiden Japaner bauten auf Nambus Erkenntnissen auf und fanden 1972 eine Erklärung für die Symmetriebrechung, die uns den Überschuss an Materie nach dem Urknall beschert hat. Sie gingen dabei vom Standardmodell aus. Dieses besagt, dass die Materie aus zwei Teilchenarten besteht, den Leptonen und den Quarks. Zu den Leptonen zählt unter anderem das Elektron, das die negativ geladene Hülle der Atome ausmacht, aber auch das Neutrino, das durch uns hindurchfliegt, ohne dass wir etwas davon merken. Die Quarks hingegen sind die Bausteine der Protonen und Neutronen, die in den Atomkernen stecken. Zu jedem Lepton gibt es ein Antilepton und zu jedem Quark ein Antiquark.
Maskawa und Kobayashi interessierten sich für seltsame Teilchen, die aus einem Quark und einem Antiquark aufgebaut sind, sogenannte Kaonen. Diese Teilchen wechseln ihre Identität, indem sich das Quark in ein Antiquark umwandelt und somit das Kaon zum Antikaon wird und umgekehrt. Die beiden Japaner erklärten in einer theoretischen Arbeit, was bei dieser Umwandlung passiert und wie dabei die Symmetrie zwischen Materie und Antimaterie gebrochen wird. Aus ihrer Erklärung folgerten sie, dass es neben den damals bereits bekannten Quarks eine weitere Quark-Familie geben müsse.
«Das war ein gewagtes Konzept», schreibt das Nobelkomitee. Doch es erwies sich als richtig. 1977 konnte das vorausgesagte Bottom-Quark am Beschleuniger des Fermilabors bei Chicago nachgewiesen werden. 1995 fand man dort auch das Top-Quark.
Es gebe auf diesem Gebiet aber durchaus noch offene Fragen, sagte Öquist. So soll eine Symmetriebrechung auch dafür verantwortlich sein, dass die Teilchen und damit auch wir selbst eine Masse haben. Stimmt die Theorie der Physiker, erzeugt dieser Mechanismus das mysteriöse Higgs-Teilchen, das der neue LHC-Beschleuniger am Cern entdecken soll.
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