Psychologie des MenschenWarum wir neidisch sind
Die Neigung zu Neidgefühlen ist im Laufe des Lebens wohl weitgehend stabil und Teil der Persönlichkeit.

Menschen neigen dazu, sich allzu häufig nach oben zu vergleichen. Deshalb ist es egal, wie gut es einem geht, irgendjemandem geht es immer besser, irgendjemand ist stets schöner, reicher, gesünder, grösser, kompetenter, stärker, lustiger, schlauer und grundsätzlich irgendwie toller. Auch deswegen gelingt es selbst ohne ernsten Anlass, Klagelieder auf höchstem Niveau anzustimmen.
Dahinter steckt ein übel beleumundetes Gefühl: Neid. Wie nun Elina Erz und Katrin Rentzsch von der Psychologischen Hochschule Berlin in einer Studie auf dem Preprint-Server PsyArXiv berichten, scheint die individuelle Neigung zum Neid im Laufe der Jahre weitgehend stabil zu bleiben.
Die Psychologinnen werteten für ihre Studie Daten von 1229 Probandinnen und Probanden aus Deutschland aus, die sie binnen sechs Jahren dreimal befragten. Grundsätzlich ist bekannt, dass manche Menschen stärker dazu neigen als andere, mit Missgunst auf das Glück anderer zu reagieren. Auch Erz und Rentzsch fanden in ihrer Studie Hinweise, die sich in diese Richtung interpretieren lassen. Frauen und junge Menschen neigten demnach etwas stärker dazu, Neid zu empfinden. Die Unterschiede sind im Durchschnitt nicht besonders gross, aber statistisch signifikant. Zentrale Frage der Arbeit der Psychologinnen war jedoch, wie stabil die Neigung zum Neid sich im Laufe der Zeit zeigt.
Es geht um Attraktivität, Intelligenz und Materielles
Neid hat drei grosse Dimensionen. Einmal geht es um Missgunst im Reich der Attraktivität, wenn andere also schöner und populärer sind als man selbst. Die zweite Dimension betrifft Kompetenz. Hier geht es um das Gefühl, dass andere intelligenter oder kreativer sein könnten und damit entsprechenden Erfolg erzielen. Schliesslich geht es um Materielles: Wie viel Missgunst provoziert es, wenn andere über mehr Geld, mehr Besitz, mehr Wohlstand verfügen.
Nicht jeder Mensch reagiert in gleichem Ausmass auf alle drei Dimensionen. Der Bereich des Vergleiches müsse für den Einzelnen bedeutsam sein, um Neid zu erzeugen, schreiben Erz und Rentzsch. Die beobachteten Geschlechterunterschiede resultieren zum Beispiel daraus, dass Vergleiche im Bereich Attraktivität und Kompetenz in Frauen stärkere Gefühle auslösen als in Männern. Für Neid auf materiellen Wohlstand sind beide Geschlechter in gleichem Ausmass anfällig.
Dass junge Menschen tendenziell etwas mehr Neid empfinden, könnte damit zu tun haben, dass sie ihre sozialen Rollen erst finden und auskleiden, so argumentieren die Psychologinnen sinngemäss. Auf der Suche nach einem Partner, einer Karriere und einem Lebensziel müssen sich die Menschen dann schärferem Wettbewerb aussetzen und vergleichen sich stärker. Da meldet sich schnell der Neid, wenn es die Konkurrenz leichter hat und erste Erfolge feiert. In den mittleren Lebensjahren haben sich die meisten Menschen hingegen in ihre Rollen eingefügt und sind auch oft so eingespannt, dass vielleicht etwas weniger Zeit für soziale Vergleiche bleibt.
So oder so: Die Studie legt nahe, dass sich die Neigung zu Neidgefühlen im Laufe der Jahre nur wenig verändert, auch wenn es mit dem Alter tendenziell etwas besser wird. Wem die Missgunst ständig im Genick sitzt, der wird diese also vermutlich niemals ganz loswerden. Und wer seinen Mitmenschen all ihr Glück, ob verdient oder unverdient, von Herzen gönnt, wird diesen Wesenszug wohl auch nie ganz ablegen. Mit anderen Worten: Die Neigung zum Neid scheint eine weitgehend stabile Facette der Persönlichkeit zu sein.
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