Übernahme von Bond-StudioWas Amazon mit James Bond vorhat
James Bond gehört jetzt teilweise Amazon. Wird er nun per Streaming verheizt?

Die Entwarnung kam schnell, unzweideutig und von höchster Stelle: «Wir sind entschlossen, weiterhin James-Bond-Filme für das weltweite Filmtheater-Publikum zu machen», erklärten Barbara Broccoli und Michael G. Wilson in einem Statement am Mittwochabend.
In den Stunden zuvor war ein 8,45-Milliarden-Deal verkündet worden, durch den Amazon das komplette Filmstudio MGM übernimmt, einschliesslich der gesamten Filmbibliothek und der Rechte an der Bond-Filmreihe.
Sofort vermuteten Kinofans eine Art ultimativen Plan des Bösen: Sollte Bond, ein unermüdlicher Vorkämpfer für Glamour und Schauwerte auf der grossen Filmleinwand, vom Superschurken Jeff Bezos abgezogen werden, nicht mehr ins Kino kommen und das teuer bezahlte Steaming-Zugpferd von Amazon Prime werden?
Kino-Start weiterhin im September
Nur mit der Ruhe, scheinen Barbara Broccoli und Michael G. Wilson mit ihrem Statement zu sagen: Erstens ändert sich nichts an dem Plan, James Bond mit «No Time to Die» weltweit am 8. Oktober (in der Schweiz sogar schon am 30. September) ins Kino zu bringen. Und zweitens arbeitet der Mann zuallererst für ein Familienunternehmen, dessen Kontrolle nie ganz an einen Grosskonzern verkauft wurde. Über sein Schicksal bestimmt immer noch die Broccoli-Familie.
Dieses Recht stand nie zum Verkauf, und daran ändert auch der Amazon-Deal nichts. Falls irgendwelche Aktionäre an der Wall Street also der Meinung sind, Entertainment-Konzerne sollten ihre wertvollsten Filminhalte sofort auf Streamingplattformen packen, damit sie den Krieg um die Abonnenten gewinnen, muss das den berühmten Geheimagenten interessieren? Nein.

Barbara Broccoli ist die Tochter des legendären Produzenten Albert R. «Cubby» Broccoli, eines Italoamerikaners aus Queens mit Wurzeln in Kalabrien und Cousins in der Mafia, der Anfang der Fünfziger nach London zog. Er machte Bond von 1962 an zum Kino-Weltstar und dann zu seiner Lebensaufgabe. Michael G. Wilson ist sein Stiefsohn, es geht hier also wirklich um Familienbande. Seit Cubbys Tod 1996 bestimmen die Erben über das Schicksal von 007.
Ihr Statement darf so kurz und nüchtern klingen, weil es von wirklicher Verhandlungsmacht beglaubigt ist, und es verschafft der Kinobranche tatsächlich ein Quantum Trost: Die Kinobesitzer können aufatmen, dass es noch mächtige Verteidiger ihrer Tradition gibt. Aber auch alle Zuschauer, die sich bei Bond-Filmen gern in die vorderen Kinoreihen setzen, damit ihnen bei den schwindelerregenden Verfolgungsjagden mal wieder die Augen übergehen. Die wissen sehr wohl, dass dieses Gefühl kein Streamingdienst ersetzen kann.
Ohne die Macht der Broccoli-Erben wäre «No Time to Die» längst für das Kino verloren und auf einer Streamingplattform gelandet. Cubby Broccoli selbst hat den Deal damals eingefädelt, der MGM das Recht gibt, die Bond-Filme zu finanzieren und ins Kino zu bringen, während die Gewinne geteilt werden. Aber er behielt sich vor, alle Entscheidungen in Sachen Vermarktung und Vertrieb selbst abzusegnen, von Schlüsselfragen wie der Besetzung Bonds mal ganz zu schweigen. Diese Rechte haben die Bond-Erben bis heute.
Und dann wächst der Druck, endlos neuen «Content» zu generieren.
Als die Pandemie mehrfach die Verschiebung des Bond-Starts erzwang, sollen bei MGM Verluste zwischen 30 und 50 Millionen US-Dollar angefallen sein, berichten Insider. Das Studio wurde schwach und trat mit Apple, Netflix und anderen Streamingkonzernen in Verhandlungen, wie viel sie für das Recht der ersten Nacht mit Bond bieten würden.
Gerüchteweise war von bis zu 600 Millionen Dollar die Rede. Warum das gescheitert ist, wurde nie bekannt – klar ist aber, das viele andere Deals dieser Art geklappt haben, und dass bei MGM tatsächlich alles zum Verkauf stand. War es am Ende das eiserne Nein der Bond-Erben, das den damaligen Deal verhindert hat? Eine Wette darauf hätte jedenfalls gute Siegchancen.
Ganz altmodisch
Ebenso interessant wird die Frage werden, was mit dem Recht passiert, neue Geschichten aus dem Bond-Universum zu erzählen. In Hollywood nennt man das «Intellectual Property». Wie das Spiel funktioniert, kann man sehr gut an «Star Wars» oder den Comichelden von Marvel oder DC studieren.
Erst wechseln die geistigen Eigentumsrechte für ein paar Milliarden den Besitzer, dann wächst der Druck, endlos neuen «Content» zu generieren: nicht nur ein grosser Film alle paar Jahre, sondern mehrere, dazu Sequels, Prequels, Spin-offs und Fernsehserien, und dann alles noch mal von vorn, nur animiert.
Bisher haben sich die Bond-Produzenten auch diesem Trend widersetzt. Ganz altmodisch waren sie damit zufrieden, alle paar Jahre ein grosses neues Spektakel zu präsentieren und unterschiedlichste Schwierigkeiten wie beim aktuellen Film, der seit Jahren auf sich warten lässt, gelassen auszusitzen. Was ohne Zweifel richtig ist und in diesen Zeiten fast ein nostalgisches Gefühl reifen lässt: Das Geschäft der Kinomacher und Filmvorführer begann als Familiengeschäft – und genauso könnte es am Ende auch bewahrt werden.
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