Was ein Zürcher Clown mit den deutschen Kaisern am Hut hat
In Leipzig könnte er steuerfrei leben, doch Pidi Oelhafen lebt im Glattal. Seine Geschichte ist ein Schelmenroman, der noch zu schreiben wäre.

Peter Oelhafen möchte gerne, dass jemand ein Buch über sein Leben schreibt. Ein Schelmenroman müsste das dann sein, findet er – eine Geschichte also, in welcher der spitzbübische Held von einem wundersamen Abenteuer ins andere stolpert und unversehrt daraus herausfindet. Etwas abenteuerlich wirkt bereits der Eingang zu seinem Haus. Bilder von Tigern mit aufgerissenen Rachen warnen vor dem Hunde. Daneben steht «Engeltreffpunkt».
Drinnen die nahtlose Fortsetzung: Ein Zebrafell liegt am Boden, Massaischmuck hängt an den Wänden, doch überwiegen die Clowns. Clown-Figuren, Clowns in Öl, ein kostbares Clownkostüm aus dem Nachlass von Paul Burkhard («O mein Papa»). Kitsch neben Kunst, und mittendrin strahlt Pidi Peter Oelhafen, ein kleiner, hagerer, zappeliger Mann, der von sich sagt: «Ich bin nicht ganz normal, aber immer glücklich.» Er ist Clown, Magier, Bauchredner, war Dompteur und Seiltänzer. Ein Lausbub mit grauen Haaren – nächste Woche wird er 70 –, der unentwegt eigentümliche Geschichten aus seinem Leben erzählt.
Zum Clown geboren
Handstand könne er noch problemlos, auch Salto vor- und rückwärts. «Soll ich zeigen?» Er könne alles – so unwahrscheinlich es auch klinge – belegen, beteuert er. Und: «Ich ‹trampe› ständig in die eigentümlichsten Geschichten hinein.» Aber auch: «Ich mag es, Leute zu irritieren.» So hätte wohl Till Eulenspiegel gesprochen.

Wir blättern durch den Roman, der noch zu schreiben wäre. In Zürich-Seebach in einfachen Verhältnissen aufgewachsen. Zum Clown geboren, was die Lehrer gar nicht lustig fanden. Militärdienst, den er überwiegend in der «Kiste» absolvierte. Ein Hochseilakt in Dubai, der mit einem Sturz aus zwölfeinhalb Metern endete. Fast alles gebrochen – ausser den Willen. Löwenjagd mit Massai-Kriegern, Gefängnishaft in Ägypten, weil er einem Scheich die Nase gebrochen hat. Dann Las Vegas, wo er, ein Kumpel von Siegfried und Roy, als Zauberer lebendige Tiger in weisse Hündchen verwandelte. «Kaninchen in Tauben kann jeder», sagt er. Fotos von Pidi mit Tiger hängen am Kühlschrank.
Es begann mit Wildsaubraten
Dann vertiefen wir uns ins Kapitel «Was Pidi mit den deutschen Kaisern am Hut hat». Die Geschichte beginnt damit, dass Pidi Oelhafen nach einem Auftritt im Krystallpalast Variété Leipzig spät in der Nacht in der Altstadt an einem Wirtshausschild vorbeikommt, auf dem Wildschweinbraten angepriesen wird. Pidi liebt Wildschweinbraten und kehrt ein. Dass Auerbachs Keller eines der traditionsreichsten Lokale Deutschlands ist, weiss er nicht. Goethe soll dort als Student zu seinem «Faust» inspiriert worden sein.
«Bei der letzten Operation habe er eine elektrische Zigarette mit in den OP-Saal geschmuggelt und fröhlich gepafft.»
Während Pidi auf sein Essen wartet, betrachtet er ein farbenfrohes Tafelbild, das einen knallroten Mephisto zeigt, der acht altertümlich gekleideten noblen Herren hofiert. Wer denn diese Männer seien, fragt der Gast die Serviertochter. «Faust, drei Hofbeamte, der Graf von Lindenau, ein Herold, Kaiser Maximilian und sein Sekretär Sixtus Oelhafen.» Pidi erwidert verblüfft: «Gestatten, mein Name ist Oelhafen.» Sie: «Verarschen kann ich mich selbst.»
Bernd Weinkauf erinnert sich gut, wie ihn die Angestellte aus Auerbachs Keller anrief, um ihm mitzuteilen, dass ein Mann namens Oelhafen in der Gaststube sitze. Weinkauf ist der Haushistoriker des traditionsreichen Lokals, das seit 1525 das Schankrecht hat. Pidi Oelhafen erfuhr von ihm, dass sein Vorfahr Sixtus (1466–1539) Berater dreier deutscher Kaiser – Maximilian I., Friedrich III. und Karl V. – und ein glühender Bewunderer Martin Luthers war. Weiter, dass die aus Nürnberg stammenden Oelhafens den ständig in Geldnöten befindlichen Habsburgern Kriege und Hofhaltung finanzierten und Sixtus 1497 wesentlich am Aufstieg der Stadt Leipzig beteiligt war, indem er dafür sorgte, dass der Kaiser das Privileg der Reichsmesse dorthin vergab. Leipzig habe den Oelhafens viel zu verdanken, sagt Weinkauf, was sich nicht nur darin ausdrückt, dass eine vom Schillerplatz abzweigende Strasse nach ihnen benannt wurde. In einem alten Dokument wird festgehalten, dass alle Oelhafens und deren Nachkommen auf ewig steuerfrei in Leipzig wohnen dürfen.
Die Spur führt nach Zürich
Pidi Oelhafen hat vorläufig nicht im Sinn herauszufinden, ob dieses Steuerprivileg immer noch gilt. Er zeigt einen Ausschnitt des Torgauer Altarbildes «Die Heilige Sippe» von Lucas Cranach, auf dem im Hintergrund sein Vorfahr zusammen mit Kaiser Maximilian abgebildet ist. Sein Vater, der in Zürich Trams geflickt hat, wäre bestimmt stolz auf die noblen Vorfahren gewesen, sagt er. Für ihn sei es einfach eine jener seltsamen Geschichten, die sich in seinem Leben ständig zutragen. Und übrigens: «Der Wildschweinbraten war ausgezeichnet.»
Die Oelhafen-Geschichte hat eine Fortsetzung, auf die Pidi bisher noch nicht gestossen ist: Hans Jacob Leu verzeichnet im 1747 veröffentlichten «Allgemeinen Helvetischen, Eydgenössische Lexicon» eine Familie Oelhafen als «ausgestorbenes Geschlecht in der Stadt Zürich», aus dem im 14. Jahrhundert zwei Zunftmeister stammten und die nach Nürnberg ausgewandert seien. Ihr Wappen zeigt einen in Blau aufsteigenden goldenen Löwen. Pidi würde ihn wohl durch einen Tiger ersetzen.
Pidi Oelhafen muss sich am Freitag einer schweren Operation unterziehen. Der Krebs sei zurückgekommen, sagt er. Bei der letzten Operation habe er eine elektrische Zigarette mit in den OP-Saal geschmuggelt und fröhlich gepafft, als die Ärzte eintraten. «Die waren erst total schockiert, dann mussten sie lachen.» Uns ist das Lachen gerade vergangen. «Schau nicht so besorgt», sagt er. Er packe das bestimmt. «Ich habe keine Angst, du weisst doch: Meine Geschichten enden immer gut.»
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