Was es am Locarno-Filmfestival zu sehen gibt
Die neue Leiterin Lili Hinstin legt strenge Massstäbe an – auch bei Schweizer Filmen.

Manchmal hilft der Blick zurück um zu verstehen, was einen Entscheidungsträger antreibt. Im Fall von Marco Solari war es so, dass er das Locarno Film Festival in seiner grössten Krise übernahm. Man schrieb das Jahr 2000, und Locarno fehlten ein Präsident, ein Direktor und viel Geld. Solari sprang ein und versprach, den Anlass «too big to fail» zu machen.
Diesen Furor versprüht der Festivalpräsident noch heute, mit 74 Jahren, wenn er als Grundvoraussetzungen die Internationalität und die Frische des Festivals beschwört («Wir dürfen nicht alt werden»). Vier künstlerische Leitungen kamen und gingen unter Solari, jetzt liegt die Direktion erstmals bei Lili Hinstin, die an der Pressekonferenz am Mittwoch in Bern ausführlich über das Piazza-Grande-Programm referiert und jeden Film einzeln würdigt, wobei sich in der Summe herauslesen lässt, dass mehr Werke von Regisseurinnen und mehr gehobene Komödien zu erwarten sind als in den Vorjahren.
Von Maradona zu Metallica
Trotzdem sind es dann zunächst männliche Namen, an denen man sich festhält: Quentin Tarantino mit «Once Upon a Time... in Hollywood» zum Beispiel, oder Asif Kapadia, der nach seiner bewegenden Amy-Winehouse-Biografie jetzt einen Dokumentarfilm über Diego Maradona gedreht hat. Hie und da schnappt man auch eine Kuriosität auf, wenn Hinstin erwähnt, dass Nick Caves 19-jähriger Sohn Earl in der britischen Komödie «Days of the Bagnold Summer» einen eingefleischten Metallica-Fan spiele.

Vielleicht ist es ja das, was Solari meinte, wenn er das Festival nicht als Abfolge von möglichst guten Filmen verstanden haben will, sondern als Mosaik. Aber dann wundert man sich doch ein bisschen, dass Hinstin die Retrospektive «Black Light» über die Repräsentation von Schwarzen im Kino mit keinem Wort erwähnt. Und auch Hollywoodstar Hilary Swank, die den Leopard Club Award erhält, ist kein grosses Thema. Jung, weiblich und kraftvoll sei sie, meint Hinstin. Das muss genügen.
«Ich wollte keine Schweizer Filme ins Programm aufnehmen, nur weil es Schweizer Filme sind.»
Einen neuen Film bringt Swank nicht mit. Die beiden Werke, für die sie einen Oscar erhielt («Boys Don't Cry», «Million Dollar Baby») laufen zwar in Locarno, allerdings nicht auf der Piazza. Aber vielleicht hat das ja seine Richtigkeit, wenn Hinstin diesen Ort vor allem Premieren vorbehalten will – jedenfalls, was den jeweils ersten Film des Abends betrifft.
Kaum Schweizer Premieren
Die Spätvorstellungen wurden umbenannt und heissen neu «Crazy Midnight». Hier findet man unter anderem den Erstling der «Deville Late Night»-Autorin Natascha Beller, die Komödie «Die fruchtbaren Jahre sind vorbei», als einzige Schweizer Piazza-Premiere. «Ich wollte keine Schweizer Filme ins Programm aufnehmen, nur weil es Schweizer Filme sind», erklärt Hinstin.

Auch in anderen Sektionen muss man einheimische Produktionen mit der Lupe suchen. Im Wettbewerb läuft «O Film do Mundo» von Basil Da Cunha, dessen frühere (Kurz-)Filme regelmässig den Sprung nach Cannes schafften. Und ausser Konkurrenz findet man Samirs Spielfilm «Baghdad in My Shadow» oder die Dokufiktion «Wir Eltern» von und mit Eric Bergkraut, Ruth Schweikert und deren Kindern.
Das klingt für eine Schweizer Auswahl an einem Schweizer Festival etwas mager, aber dann ist die Mosaik-Präsentation auch schon vorbei. Was bleibt, ist das Festival selbst, wo man Hinstins strenge Kriterien einem Qualitätscheck unterziehen kann. Und sich dabei Solaris Vision vor Augen halten mag: «Locarno muss im Jahr 2025 unter den sechs, sieben, acht, neun erwähnenswertesten Festivals der Welt sein.»
7.-17. August. locarnofestival.ch
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