Was Europa seit der Finanzkrise nicht mehr erlebt hat
Rein wirtschaftlich steht die EU auf ungewohnt stabilem Fundament: Für die Jahre 2016 bis 2018 können alle 28 Mitgliedsländer durchgehend mit Wachstum rechnen.
Man muss hierfür bis ins Jahr 2007 zurückblättern: Damals, vor dem Ausbruch der globalen Finanzkrise, hatten letztmals alle EU-Staaten ein positives Vorzeichen vor ihrer Wachstumsrate für das Gesamtjahr gehabt. Gleiches soll nun wieder im letzten Jahr geschehen sein, wie die EU-Kommission in ihrer jüngsten Wirtschaftsprognose festgehalten hat. Mehr noch: Auch für 2017 und 2018 geht Brüssel davon aus, dass sämtliche 28 Mitgliedsländer gleichzeitig auf Wachstumskurs sein werden. Erwartet wird EU-weit eine reale Steigerung der Wirtschaftsleistung um jeweils 1,8 Prozent.
Allerdings werden die mit einer Vorhersage stets verbundenen Vorbehalte in diesem Fall besonders stark herausgestrichen. Die EU-Kommission selbst hat von «aussergewöhnlich grossen» Risiken gesprochen, die über ihrer Prognose schweben. Sie lassen sich umschreiben mit den drei Stichworten Trump, Brexit und Wahlen (die in diesem Jahr in den Niederlanden, Frankreich, Deutschland und allenfalls in Italien anstehen).
Womöglich kommt mit Griechenland noch eine weitere tickende Zeitbombe hinzu, an die die Kommission nicht gedacht hatte. Denn die Hoffnungen, dass die internationalen Kreditgeber ihre internen Differenzen und jene mit der griechischen Regierung noch im Februar überwinden würden, scheinen sich zu zerschlagen. Nachher wird eine Lösung mit Blick auf den europäischen Wahlreigen noch schwieriger. Daher regt sich einmal mehr das Gespenst eines griechischen Staatsbankrotts im Laufe dieses Sommers.
Verscheuchte Deflationsängste
Angesichts so vieler Unwägbarkeiten stellt sich die Frage nach dem Wert solcher Prognosen, vor allem wenn sie Zeiträume von mehr als einem Jahr abdecken. Doch immerhin ein wesentlicher Schluss lässt sich daraus ziehen: Europa hat sich in wirtschaftlicher Hinsicht wieder auf tragfähiges Terrain vorgearbeitet. Die vor nicht allzu langer Zeit gehegten Befürchtungen, die Eurozone gerate wie Japan in eine deflationäre Abwärtsspirale – mit einem stetig sinkenden Preisniveau und jahrelanger wirtschaftlicher Flaute – sind weitestgehend verflogen. Bemerkenswert ist darüber hinaus, wie gut die europäische Konjunktur die Schocks aus der jüngeren Vergangenheit – das Brexit-Votum der Briten, den Regierungswechsel in Italien und Terroranschläge – weggesteckt hat. Die Eurozone als Ganzes blickt inzwischen auf 15 Quartale stetigen Wachstums zurück.
Im letzten Jahr bewegte sich der gemeinsame Währungsraum mit seinem knapp 1,7-prozentigen Wachstum im Gleichschritt mit den USA. Dass die Europäer im Wachstumszyklus dennoch hinterherhinken, wird spätestens beim Blick auf den Arbeitsmarkt deutlich: Während die Eurozone Ende 2016 eine Arbeitslosenrate von 9,6 Prozent verzeichnete – das beste Ergebnis seit Mai 2009 und verglichen mit 10,5 Prozent vor Jahresfrist –, hat die US-Wirtschaft schon seit längerem praktisch Vollbeschäftigung erreicht. Im Januar waren 4,8 Prozent der Amerikaner ohne Arbeit.
In der Währungsunion kann lediglich Deutschland (3,9 Prozent im Dezember) von Vollbeschäftigung sprechen, wogegen die Beschäftigungsaussichten in Italien (12 Prozent), Spanien (18,4) und Griechenland (23) unverändert düster sind. In geradezu erschreckendem Ausmass gilt das für Jugendliche unter 25 Jahren, von denen in den drei letztgenannten Ländern zuletzt 40 bis 44 Prozent arbeitslos gewesen sind. Vor diesem Hintergrund müssten europäische Wirtschaftspolitiker ihr Augenmerk prioritär darauf ausrichten, dass die Früchte des kontinuierlichen Wachstums auf wesentlich breitere Bevölkerungskreise verteilt werden. Die besagten Wahlen in Europa dürften einen Vorgeschmack darauf geben, wie soziale Ausgrenzung und Abstiegsängste antieuropäischen und chauvinistischen Parteien in die Hand spielen.
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