Was genau ist Gentrifizierung?
Der Heimatschutz kämpft gegen zwei Neubauten, weil diese das Quartier aufwerten würden. Widerspruch kommt ausgerechnet von Gentrifizierungskritikern.

«Jetzt ist der Gemeinderat am Zug», titelte der Zürcher Heimatschutz in seiner Medienmitteilung von Anfang Woche. Es ging um den Abbruch der Genossenschaftssiedlungen Seebahn und Kanzlei. Beide sollen Ersatzneubauten weichen (TA von gestern). Der Abbruch ist wahrscheinlicher geworden, nachdem ein Rekurs des Heimatschutzes vor Verwaltungsgericht abgeblitzt ist und die Organisation darauf verzichtet, ans Bundesgericht zu gelangen.
Die einzige Möglichkeit, den Abbruch dieses «zusammenhängenden Gebiets von einzigartiger Wohnlichkeit» noch zu verhindern, sieht der Heimatschutz in der Ablehnung des Gestaltungsplanes durch das Zürcher Parlament. Das Argument, mit dem der Heimatschutz den Gemeinderat überzeugen will: Es sei der Gentrifizierung Einhalt zu gebieten.
Neubauten als Vorbild?
Das ist insofern erstaunlich, als es sich bei den Ersatzneubauten um Genossenschaftssiedlungen handelt. In diesem Fall um solche der Allgemeinen Baugenossenschaft Zürich (ABZ) und der Baugenossenschaft des eidgenössischen Personals (BEP). 90 gemeinnützige Wohnungen mehr als heute sollen auf dem Areal entstehen. Das Preisniveau der Wohnungen läge laut den Genossenschaften gleich hoch wie bei einer Sanierung der Altbauten – oder sogar tiefer.
«Dass sich das Quartier mit der Realisierung des Bauvorhabens stark verändert, ist unwahrscheinlich», sagt Walter Angst, AL-Gemeinderat und Sprecher des Mieterverbands. Erst kürzlich hat er Genossenschaften dafür kritisiert, mit Ersatzneubauten werde die Mieterschaft ausgewechselt.
Die Wohnungen an der Seebahnstrasse würden jedoch schon heute von jungen Leuten zwischengenutzt, gibt Angst zu bedenken. Die alten Mieter seien längst ausgezogen. Der AL-Gemeinderat ergänzt, dass die Projekte von ABZ und BEP zum Vorbild werden könnten, wenn die Genossenschaften bei der Neuvermietung gezielt Haushalte berücksichtigen würden, die von der Aufwertung des Quartiers bedroht seien.
----------
Bilder: Symbol des roten Zürich
----------
«Gentrifizierung ist ein viel zu harter Begriff für die geplante Siedlung», sagt auch der Gemeinderat und Baukommissionsvorsitzende Patrick Hadi Huber (SP). Zudem bezweifelt er, dass die Aufwertung der Quartiere und nicht die Erhaltung des Stadtbildes das Kernanliegen des Heimatschutzes sein soll. «Nicht selten verhindern der Heimatschutz und die Richtlinien des Eidgenössischen Inventars für geschützte Ortsbilder eine Entwicklung und in diesem Fall sogar mehr preisgünstigen Wohnraum», sagt Huber weiter.
«Schwieriges Abwägen»
Laut Gabriele Kisker (Grüne) muss ein Quartier nicht unbedingt Stein für Stein erhalten bleiben, um seinen Charakter zu wahren. Die Ersatzneubauten für die beiden Genossenschaftssiedlungen Seebahn und Kanzlei erforderten aber ein «besonders schwieriges politisches Abwägen», da es sich um ein Quartier handle, das sich im Wandel befinde. «Wenn die Genossenschaften sensibel handeln, muss es nicht zu einer Gentrifizierung kommen», sagt sie.
Der Heimatschutz argumentiert, dass anstelle der Altbauten fünf- bis siebenstöckige Neubauten voller Mittelstandswohnungen entstehen sollen, die unbezahlbar wären für die heutigen Bewohner. Derzeit bezahlt man für eine 4-Zimmer-Wohnung mit 74 Quadratmetern in der ABZ-Siedlung 966 Franken. Im Neubau würden für 4 ½ Zimmer mit 97 Quadratmetern um die 1500 Franken fällig, Nebenkosten inbegriffen. Dies sagt ein Genossenschaftssprecher. Zudem werde bis zu einem Fünftel aller Wohnungen subventioniert sein für Menschen mit wenig Geld.
Dieser Artikel wurde automatisch aus unserem alten Redaktionssystem auf unsere neue Website importiert. Falls Sie auf Darstellungsfehler stossen, bitten wir um Verständnis und einen Hinweis: community-feedback@tamedia.ch