Sprichwörter und Redewendungen können faszinierend wie bizarr sein und bieten Einblicke in die Art und Weise, wie man in einer bestimmten Sprache und dem jeweiligen Kulturkreis denkt. Um ein Beispiel zu nennen: Wer scheinbar nicht ganz richtig im Kopf ist, der hat nicht alle Tassen im Schrank – gibt es eine freundlichere Art, jemanden zu beleidigen?
Sprichwörter und Redewendungen sind keine blossen Floskeln, sondern Erfahrungswerte, die etwas aussagen über das, was in einer bestimmten Sprachkultur zählt. Sie sind Zitate, deren Urheber wir meist nicht kennen. Das unterscheidet sie von ausgefeilten Aphorismen. Eher sind sie mit Lebensweisheiten verwandt.
Wer gerne Sprichwörter zitiert, bedient sich einer bestimmten Art des Redens, will allgemein verständlich sein, verankert sich mit dem, was er oder sie sagt, in längst Gesagtem, nutzt es aber so, als stamme es von ihm oder ihr.
Wie es wohl wäre, nur sprichwörtlich zu sprechen?
Wenn man einem Engländer auf Denglisch sagt: «Snow from yesterday», so wird er etwas irritiert reagieren: «I beg your pardon?» Bei den Briten ist dieser gestrige Schnee nämlich das Wasser unter der Brücke («water under the bridge»). Bei den Franzosen hingegen, auffallend poetisch, sinds die alten, also vergangenen Monde («ce sont de vieilles lunes»).
Im italienischen und französischen Kulturkreis befürchtet man, den ganzen Arm zu verlieren, obschon man doch nur den kleinen Finger hingehalten hat («se gli si dà un dito, si prende il braccio» / «on lui donne le petit doigt, il prend le bras»), während im deutschen Sprachraum der «parasitäre Schmarotzer» offenbar seine Grenzen kennt. Wenn man ihm den kleinen Finger hinhält, nimmt er sich bloss die Hand, lässt aber den Arm in Ruhe.
Das Kosovo-Albanische übrigens kennt das etwas makabre, aber für diese Kreise wohl nicht minder wahre Sprichwort: Die Frau ist des Teufels Abendessen («gruaja është darka e dreqit»). Heisst das, sie wird ihm (wie Wölfen) zum Frass vorgeworfen?
Was immer eine Frau tut, wie sehr sie sich auch bemüht, zuletzt wird sie doch zu Hackfleisch gemacht, sie kommt eben unter die Räder, was man nicht verwechseln darf mit dem englischen Sprichwort «to throw someone under the bus» (jemanden unter den Bus werfen), das sich zwar mit Unter-die-Räder-Kommen überschneidet, aber im Kern doch etwas anderes meint, nämlich eine Person wie eine heisse Kartoffel fallen lassen; sie verraten, also ans Messer liefern.
Als Kontrast kann man der albanischen Frau, die auf dem Teller des Teufels landet, das deutsche Wort «Teufelsweib» gegenüberstellen, bei den Engländern auch «she-devil» genannt. Eine solche Frau hat im guten wie im schlechten Sinne diabolische Eigenschaften, sie ist verführerisch, promiskuös, unkonventionell, unberechenbar, rücksichtslos. Aber Achtung, sie ist deswegen noch lange nicht des Teufels, denn einen Sprung in der Schüssel hat sie nicht! Was für ein schönes Sprachbild, um einer Person zu sagen, sie sei nicht ganz bei Sinnen.
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Betreff: Redewendungen
Kaltërina Latifi ist Essayistin und Literaturwissenschaftlerin.
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Latifi über Tassen im Schrank – Was Sprichwörter über eine Kultur aussagen
Im deutschen Sprachraum will eine Schmarotzerin nur die ganze Hand (wenn man ihr den kleinen Finger hinhält) – in Frankreich und Italien den ganzen Arm.