Was wirklich im Globalen Migrationspakt steht
Der UNO-Plan entziehe den Staaten die Kontrolle über die Zuwanderung, sagen die Gegner. Dabei will der Pakt Migration begrenzen.

Das Dokument, das gerade eine Art #MeToo-Effekt auslöst, liegt schon seit Ende Juli vor. Da stimmen 192 von 193 Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen dem «Global Compact for Safe, Orderly and Regular Migration» zu, dem Globalen Migrationspakt. Jetzt verzeichnet der Chor der Kritiker täglich ein neues Mitglied, steht doch am 10. und 11. Dezember in Marrakesch die endgültige Verabschiedung und Unterzeichnung der Vereinbarung an.
In der Schweiz stellt sich die SVP gegen den Migrationspakt, aber auch Vertreter von CVP und FDP äussern sich kritisch. Die FDP will, dass nicht der Bundesrat alleine, sondern das Stimmvolk über den Vertrag abstimmt.
In Europa präsentieren Rechtspopulisten aus der AfD, Identitäre oder in Österreich die FPÖ die Vereinbarung als eine Art Teufelspakt. Er entziehe den Staaten die Kontrolle über die Zuwanderung, gebe sie einem ideologisch geprägten Masterplan preis, Armutsflüchtlinge umzusiedeln und alle Kulturen bis zur Unkenntlichkeit zu vermischen. Dass ein Papier, das schon im Titel sagt, es gehe um «sichere, geordnete und legale» Migration, so viel Raum für Propaganda öffnet, zeigt zumindest, dass zu wenig erklärt worden ist, worum es eigentlich geht.
Bekannt ist, dass die USA der UNO-Vereinbarung nicht beitreten, Österreich sich verabschiedet hat, Ungarn, Kroatien und Australien ebenso, voraussichtlich werden Polen und Tschechien folgen. Länder, die sich profilieren mit einer harten Migrations- und Flüchtlingspolitik.
Fast alle Staaten sind betroffen
Angestossen haben die Vereinten Nationen den Migrationspakt, um für ein globales Phänomen globale Konzepte und Ziele zu entwickeln: Etwa 260 Millionen Menschen auf der Welt geht das an, so viele sind Migranten, Tendenz steigend. Für sie fehlt bisher weitgehend, was für Flüchtlinge im engeren Sinne existiert – ein breiter Rahmen internationaler Vereinbarungen, um Migration für alle sicherer zu machen, mehr gemeinsame Verantwortung, Lastenteilung zu konstruieren. Fast alle Staaten sind betroffen, einige als Herkunfts- und als Zielland, andere mehr als Transitstaat.
Die Idee, sich international gut auf diese Realität einzustellen, floss beim UNO-Gipfel 2016 in die «New Yorker Erklärung für Flüchtlinge und Migranten». Die den UNO angeschlossene Internationale Organisation für Migration (IOM) sollte federführend konkretere Grundlagen und Ziele erarbeiten, mithilfe von Fachleuten aus aller Welt.
Bei der Arbeit wurde angewendet, was der Migrationspakt als Erstes von 23 Zielen festschreibt: Möglichst viele belastbare Daten über Migration zu sammeln und auszuwerten als Grundlagen für Politik und Handeln. In nie dagewesenem Ausmass sei das passiert, sagt IOM.
Eine 360-Grad-Perspektive wolle man haben, so die Präambel, und verweist auf das, was Gegner des Pakts meist ignorieren: «Migration war immer schon Teil der Menschheitsgeschichte, und wir erkennen an, dass sie in der globalisierten Welt eine Quelle des Wohlstands, der Innovation und der nachhaltigen Entwicklung darstellt.» Positive Möglichkeiten stärken, negative bekämpfen – das nimmt sich der Pakt vor, und zwar auf Basis von «Information, Planung und Konsens».
Vereinbarungen sind in Europa rechtlicher Standard
Die Vereinbarung vermische die Begriffe Flüchtlinge und Migranten mutwillig, sagen Kritiker. So betont der Pakt, dass Flüchtlinge und Migranten «Anspruch auf dieselben allgemeinen Menschenrechte und Grundfreiheiten» hätten. Aber er unterscheidet explizit: «Lediglich Flüchtlinge haben einen Anspruch auf besonderen Schutz, den das internationale Flüchtlingsrecht vorsieht.» Überhaupt basieren die Vereinbarungen auf bestehenden Abkommen, die in Europa rechtlicher Standard sind, von der Menschenrechtserklärung über die Flüchtlingskonvention bis zum Pariser Klimaabkommen.
Am heftigsten wettern die Gegner damit: Die Vereinbarung nehme den Nationalstaaten das Recht, ihre Migrationspolitik selbst zu gestalten. Vorsichtigere Kritiker führen an, aus den «weichen» Regelungen des Pakts könnten mit der Zeit einklagbare «harte» Rechte werden, die über das bisherige Völkerrecht hinausgehen.
Dabei steht in dem Dokument ausdrücklich, dass es nicht rechtlich bindend ist. Vielmehr ist es eine Vereinbarung über Absichten ohne Sanktionsmöglichkeit. Zudem heisst es im Text, dass jedes Land frei bleibt, nach seinen Möglichkeiten und Bedürfnissen zu handeln. Mit dem Pakt soll allerdings auch moralischer Druck aufgebaut werden – das darf man den Verfassern unterstellen.
Kampf gegen Menschenhändler
Unmissverständlich ist er, wenn es um illegale Migration geht. Der Kampf gegen Schleuser und Menschenhändler ist umfangreich als Ziel formuliert, samt dem Vorschlag, Nachrichtendienste dafür einzusetzen. Mehr integrierte Zusammenarbeit zur Grenzsicherung gehört zu den Elementen, wie die Pflicht, dass Migranten mit Identitätsdokumenten ausgestattet sein sollen. Als Mittel sehen die Experten auch, zugänglichere und steuerbarere Wege für legale Migration zu schaffen.
Rechte für Migranten wie Schutz vor Ausbeutung und Willkür nehmen in der Vereinbarung viel Raum ein, denn sie sind als Individuen gegenüber Staaten, Behörden, Kriminellen in einer schwächeren Position. Besonders berücksichtigt ist der Schutz von Kindern, die auch ohne Familie gezwungen sein können, als Arbeitskräfte zu migrieren.
Auch die gesellschaftliche Wirkung von Migration fehlt im 360-Grad-Ansatz nicht: Integration, Beseitigung von Diskriminierung und Rassismus sind als Ziele genannt. Und als Mittel: mehr Information, Kommunikation, um Ressentiments abzubauen und Konflikten vorzubeugen.
Diese Passagen stellen einige rechte Populisten als Plan zur kollektiven Gehirnwäsche dar. Dass Migration nicht dauerhaft sein muss, wird nicht vergessen – auch, dass es dafür leichtere Wege zurück in die Ursprungsländer braucht.
Im Fokus hat der Pakt die Gestaltung von Migration, nicht ihre Förderung. Das zweite Ziel heisst: «Minimierung nachteiliger Triebkräfte und struktureller Faktoren, die Menschen dazu bewegen, ihre Herkunftsländer zu verlassen.» Das enthält alles, was auch zur Fluchtvermeidung helfen kann – würdige Wirtschafts- und Lebensbedingungen.
Ein Satz der Präambel fasst das in den Wunsch: «Niemand soll aus Verzweiflung Migrant werden.»
Dieser Artikel wurde automatisch aus unserem alten Redaktionssystem auf unsere neue Website importiert. Falls Sie auf Darstellungsfehler stossen, bitten wir um Verständnis und einen Hinweis: community-feedback@tamedia.ch