Weder der Anfang noch das Ende
Der «Coole von der Schule», limitiertes Kiffen und gefühlskalte Mütter: In einem SRF-Dok wurden drei Pubertierende während zwei Jahren begleitet.
Drei Jugendliche vom Zentrum Erlenhof in Reinach im Kanton Basel-Land wurden für den Dok «Im Jugendheim – Junge Menschen zwischen Krisen und Hoffnung» während zwei Jahren von SRF-Reporter Hanspeter Bäni begleitet. Zu einigen der jugendlichen Protagonisten konnte der Reporter Nähe aufbauen und dadurch authentische Bilder und Aussagen einfangen. Bei deren Umfeld gelang dies weniger.
Mit dem 16-jährigen Kevin, dessen Eltern von seinen Gewaltausbrüchen und seinem Drogenkonsum überfordert waren, ist die Identifikationsfläche am grössten. Ungespielt und natürlich scheint der junge Erwachsene vor der Kamera. Der gleichaltrige Dominik, der aufgrund von Stress mit den Lehrern und Mitschülern seine Mutter zur Verzweiflung trieb, bleibt undurchschaubar. Der «Coole von der Schule» ist unnahbar – oder gibt sich zumindest so. Nur selten kauft man ihm Handeln und Aussagen ab. Und Andreia, bei der eine Borderline-Persönlichkeitsstörung diagnostiziert wurde, merkt man davon nichts an. Sie spricht zwar über die Tiefpunkte ihres Lebens, man erlebt sie aber als aufgestellte, junge Frau.
Ihre Erfahrungen am Erlenhof könnten unterschiedlicher nicht sein. Die Stimmung schwankt bedrohlich oft zwischen Hoffnung und Resignation. Während Kevin sich dank Ausbildungsplatz zum Landwirt mit Kompetenznachweis wohlfühlt und kurz darauf partout nicht mehr dortbleiben will, blüht Andreia in ihrem Praktikum als Fachfrau Hauswirtschaft förmlich auf und kann sogar in ein eigenes Studio ziehen – unter strengen Auflagen: Das Kiffen muss auf ein Minimum reduziert werden, Urinproben stehen wöchentlich auf dem Plan. Erlaubt wird ihr der Mindestkonsum aus medizinischen Gründen.
Zwischen Abgeklärtheit und Naivität
Die Mütter von Dominik und Kevin scheinen ratlos und wissen nicht mehr weiter. Beide haben eine Scheidung hinter sich, bei Kevin wird diese als der Auslöser für sein Verhalten vermutet. Bei den Einzelgesprächen vor der Kamera wirken beide Mütter gefühlskalt, als hätten sie mit dem Schicksal ihrer Söhne bereits abgeschlossen, als sei die Beziehung bereits unwiderruflich zerrüttet. Sobald sie der Kamera den Rücken zudrehen oder sich diese von ihnen entfernt, zeigen sie Tränen und Emotionen. Nun ist der Zuschauer ratlos. Vermutlich bauen die Frauen die Kälte im Gespräch mit dem Reporter zum eigenen Schutz nur auf. Die Erwachsenen geben sich durchgehend unnahbarer als ihre Söhne. Eine spezielle und interessante Rollenverteilung, die Hanspeter Bäni da einfängt.
Trotzdem sind die Wechsel im Verhalten der Jugendlichen zwischen sehr erwachsen und abgeklärt hin zu jugendlich-naiv oder rebellisch-stolz erstaunlich. Sicher, die Protagonisten befinden sich auf dem Zenit der Pubertät. Dominik sticht besonders heraus. Auf die Frage, warum er sich ritze, meint er verzweifelt, doch abgeklärt: «Körperlicher Schmerz tut weniger weh als psychischer Schmerz.» Kurz darauf soll er seinen Gewaltausbruch rechtfertigen. «Da denke ich nicht darüber nach. Wenn ich über jeden Scheiss, den ich gemacht habe, nachdenken würde, könnte ich den ganzen Tag nichts mehr machen», meint er und grinst provokativ.
Die Nähe scheint nicht immer authentisch
Die Protagonisten, ihre Angehörigen und das Betreuungspersonal werden über 50 Minuten aus nächster Nähe begleitet. Hanspeter Bäni gelingt es sporadisch, die vermeintlich harte Schale der Jugendlichen zum Bröckeln zu bringen. Einige lassen diese Nähe eher zu, öffnen sich den Fragen des Reporters und wirken überaus authentisch. Bei Dominik und Andreia gelingt ihm dies ziemlich gut. Andere bleiben unnahbar – ob trotz oder wegen des Reporters bleibt die Frage – und scheinen zumindest vor der Kamera eine Rolle zu spielen. Wie bei Kevin, bei welchem Hanspeter Bäni fast vollständig scheitert. Auch bei Kevins Eltern und Dominiks Mutter stösst er auf Granit.
Diese Wechsel zwischen Nähe und Abweisung benutzt Hanspeter Bäni geschickt, um die Spannung im gelungenen Dok aufzubauen. Die Stimmung schwankt bedrohlich oft zwischen Hoffnung und Resignation. Nicht nur bei den Protagonisten des Dok-Films – in schwächerer Intensität schliesslich auch beim Zuschauer.
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