Weinstein bei den Toten? Frauen unter die Burka?
Noch nie war es so schwierig, Oscars zu verleihen, wie in den Zeiten von #MeToo – ein fiktives Vorbereitungsgespräch.

In der Nacht auf morgen werden die Oscars verliehen, aber alles ist anders als sonst. Wie kann die Filmbranche sich selber feiern in Zeiten von #MeToo und Diskussionen über die angemessene Vertretung von Frauen und Farbigen in der Akademie? Noch dazu nach dem Schock der verwechselten Couverts und des falsch ausgerufenen Siegers vom letzten Jahr? Gibt es da überhaupt noch etwas zu zelebrieren? Wir haben einem Vorbereitungsgespräch zugehört zwischen drei Hauptprotagonisten: dem Präsentator Jimmy Kimmel, der zum 21. Mal nominierten Meryl Streep und dem Oscarpräsidenten John Bailey. Vielleicht hat es sich nicht genau so zugetragen. Aber es könnte.
John Bailey: First things first: Wie stellen wir sicher, dass alle Laudatoren das richtige Couvert öffnen?
Jimmy Kimmel: Vielleicht indem man den Laudatoren die richtigen Couverts in die Hand drückt?
Bailey: Sehr witzig, Jimmy. Im Ernst: Eine solche Panne wie letztes Jahr darf nie mehr passieren. Nie mehr!
Meryl Streep: Wieso, war doch super? Die ganze Welt sprach über die Veranstaltung und den Siegerfilm. So viel Werbung für das schwarze Schwulendrama «Moonlight» hätte es sonst nie gegeben.
Kimmel: Und wer hätte gedacht, dass es möglich ist, ein noch verhaueneres Finale als jenes der TV-Serie «Lost» hinzukriegen!
Bailey: Ein weiteres Problem: Bei den Golden Globes sind die Frauen in schwarzen Kleidern aufmarschiert. In Schwarz! Wie an einer Beerdigung. Ob sie das bei uns auch machen?
Streep: Meinetwegen! Jede so, wie sie sich am besten fühlt. Von mir aus kann eine auch in einer schwarzen Burka kommen. Das wäre mal ein ironisches Statement.
Kimmel: Genau, Mary J. Blige zum Beispiel, die ja gleich zweimal nominiert ist – als beste Nebendarstellerin und für den besten Song. Stellt euch vor: Niemand würde sie erkennen, alle würden rätseln, wer unter der Burka steckt. Fantastisch.
Bailey: Also, so weit wird es hoffentlich nicht kommen. Aber natürlich müssen wir das Thema #MeToo aufgreifen. Wie wäre es, wenn wir allen weiblichen Gästen etwas übergeben, als Anerkennung für die wichtige Diskussion und das berechtigte Anliegen? Einen Blumenstrauss zum Beispiel?
Streep: Gehts noch? Wieso nicht gleich ein Kuchenblech?
Bailey: Also meine Frau hat gern Blumen. Aber wenn du meinst, Meryl. Trotzdem finde ich, dass die Academy zeigen sollte, dass wir #MeToo ernst nehmen. Hast du eine Idee, Jimmy?
Kimmel: Wir könnten Harvey Weinstein in den Block mit dem Totenmemoriam montieren.
Streep: Super!
Kimmel: Ausserdem Kevin Spacey seine beiden Oscars absprechen und Oliver Stone öffentlich als übergriffig outen und George Clooney . . .
Bailey: Jetzt hör schon auf.
Streep: Was ist mit Clooney?
Kimmel: Der hat . . .
Bailey: Klappe jetzt.
Kimmel: Na gut, belassen wir es auf der Bühne bei Witzen. Den hier könnte ich doch an der Verleihung bringen: Sagt eine Frau im Bett zu ihrem Mann: «Schatz, sag mir was Schmutziges!» Antwortet der Mann: «Küche!»
Bailey: Haha, der ist gut!
(Kimmel und Streep schweigen betreten)
«Greta Gerwig dieses Jahr ist erst die fünfte Regisseurin, die überhaupt nominiert wurde.»
Streep: Habt ihr gewusst, dass Clint Eastwood und das gesamte weibliche Geschlecht bis letztes Jahr gleich viele Nominationen in der Kategorie Beste Regie hatten? Nämlich genau vier. Greta Gerwig dieses Jahr ist erst die fünfte Regisseurin, die überhaupt nominiert wurde.
Kimmel: Aber Eastwood hat öfters gewonnen als die Frauen . . .
Streep: Genau. Traurig. Gewonnen hat bis jetzt nur Kathryn Bigelow. Und erst noch für einen Kriegsfilm.
Kimmel: Wenn wir schon beim Thema sind, Meryl. Du bist ja zum hundertsten Mal für den Oscar nominiert, für Steven Spielbergs «The Post», und dein Co-Star Tom Hanks ist im gleichen Film nicht nominiert. Aber sag mal, dafür hat er bei den Dreharbeiten bestimmt viel mehr verdient als du, nicht wahr?
Streep: Nein, da habe ich gute Nachrichten. Wir bekamen beide das gleiche Honorar. Wobei ich mir das nicht ausbedungen hatte. Aber als dann das Thema durch die Medien ging, haben Tom und ich verglichen. Und tatsächlich, es war gleich viel.
Kimmel: Wie viel?
Streep: Du sagst ja auch nicht, wie viel du für die Oscarmoderation verdienst!
Kimmel: Doch, das habe ich schon letztes Jahr getan. Es sind 15 000 Dollar. Noch weniger zu zahlen, wäre wohl illegal, nicht wahr, Mister President?
Bailey: Niemand vorher, ob Mann oder Frau, hat mehr bekommen. Wir sind nicht auf Rosen gebettet.
Kimmel: Na ja, dafür verteilt ihr aber Warengeschenke an die Nominierten im Wert von 230'000 Dollar. Aber das läuft wohl unter Werbung.
Bailey: Ja, und du kannst auch eines haben, wenn es dieses Jahr nicht wieder ein verwechseltes Couvert gibt . . .
Streep:. . . hört auf, das Thema Lohngleichheit ist zu wichtig, um darüber Witze zu reissen. Ich bin in der dankbaren Position, gleiche Forderungen stellen zu können wie die Männer. Aber in vielen Berufen ist es nicht so. Und auch in der Filmindustrie nicht, Schauspielerinnen verdienen ganz oft viel weniger. Da kann die Academy auch etwas tun.
«Untätig waren wir ja nicht. Wir haben Harvey Weinstein ausgeschlossen.»
Bailey: Untätig waren wir ja nicht. Wir haben Harvey Weinstein ausgeschlossen.
Kimmel: Mutig, mutig . . .
Bailey : . . . und wir haben Benimmregeln eingeführt. Ausserdem achten wir auf eine bessere Durchmischung bei den Mitgliedern. In der Academy sind jetzt mehr Frauen und andere Minderheiten.
Streep : Andere Minoritäten?!
Bailey: Sorry, ich meinte Schwarze und Schwule. Aber wir haben echt mehr Frauen. Das wirkt sich bei einigen Nominierungen aus. Rachel Morrison ist als erste Kamerafrau dabei.
Streep: Soll ich jetzt lachen oder weinen? Die erste Kamerafrau, nach über hundert Jahren Kino. Und gewinnen wird sie kaum.
Kimmel: Und falls du gewinnst, Meryl? Hast du eine flammende Rede vorbereitet?
Streep: Ja: «MeToo».
Kimmel: Damit wirst du zumindest nicht vom Orchester wegen Überlänge weggegeigt.
Bailey: Hört mal, wichtig ist, dass wir alle dazu beitragen, dass die Oscars zu einem grossen Fest des Kinos werden. Denn was ist die Verleihung anderes als ein riesiger Werbespot für unseren Beruf? Am Ende geht es um Film, Film, Film.
Kimmel: Ja, und manchmal passiert es tatsächlich, dass einer der besten Filme des Jahres in der Kategorie Bester Film nominiert wird.
Bailey: Was soll das denn wieder bedeuten?
Kimmel: Dass der Horrorfilm «Get Out» nominiert ist. Schwarz wie die Nacht, schwarz wie . . .
Streep: . . . der Regisseur und der Hauptdarsteller? Vorsicht Jimmy.
«Putzfrau liebt Meermonster, und der gesamte Militärapparat kann nichts dagegen tun. der ideale Film für Donald Trump.»
Kimmel: Für mich der beste Film des Jahres. Punkt. Gewinnen wird aber wohl «The Shape of Water»: Putzfrau liebt Meermonster, und der gesamte Militärapparat kann nichts dagegen tun. Der ideale Film für Donald Trump, der darin tausend Gründe finden wird, weiter aufzurüsten.
Streep: Vergiss «Three Billboards Outside Ebbing, Missouri» nicht, starke Frau nimmt es mit der Polizei und dem ganzen Dorf auf. Was mich stört ist, dass «Wonder Woman» nicht nominiert wurde. Es war das Jahr der Frauen bei den Blockbustern.
Bailey: Einverstanden!
Streep: Bist du, John, auch Fan der Superheldinnen?
Bailey: Selbstverständlich. Denn wir brauchen wieder einmal einen Sieger, den die Zuschauer kennen. Wir sind doch keine Arthouse-Veranstaltung. Unsere Zuschauerquote ist im Keller.
Streep: Vielleicht liegt das weniger an den Filmen als an der Veranstaltung?
Bailey: Was würdet ihr denn anders machen?
Streep: Weniger Showblöcke.
Bailey: Okay.
Kimmel: Mehr Einspieler.
Bailey: Okay.
Streep: Weniger Kategorien. Wen interessiert schon das beste adaptierte Drehbuch.
Kimmel: Ich liebe es, auch wenn es adoptiert ist . . .
Streep: Auf ein paar technische Kategorien könnte man vielleicht auch verzichten.
Bailey: Kommt nicht infrage. Film ist mehr als Drehbuch, Regie und Schauspiel. Da arbeiten Menschen, die ihre Auszeichnung ebenso verdienen.
Kimmel: Aber wieso braucht es eine Kategorie für den Besten Tonschnitt und eine für die Beste Tonmischung?
Bailey: Weil . . . ach, lassen wir das.
Streep: Man müsste wohl auch mehr Junge anlocken.
Kimmel: Ich denke, dieses Jahr locken wir eher Alte an. Agnès Varda, die den Oscar für den besten Dokumentarfilm gewinnen kann, ist 89 Jahre alt, die älteste Nominierte je. Und James Ivory aus der Kategorie Bestes Drehbuch ist nur acht Tage jünger.
«Für die Jungen tritt dafür im Showblock Taylor Swift bei uns auf!»
Bailey: Für die Jungen tritt dafür im Showblock Taylor Swift bei uns auf!
Kimmel: Die steht allerdings unter White-Supremacy-Verdacht.
Bailey: Und wenn schon. #OscarsSoWhite ist dieses Jahr kein Thema mehr. Wir haben einige schwarze Nominierte.
Streep: Aber kaum Latinos.
Kimmel: Ich seh schon den Hashtag: #MeLatino.
Bailey: Und was ist der nächste Hashtag? #MeEskimo? Man kanns doch nicht allen recht machen, verdammt!
Streep: Nicht allen, aber vielleicht den 18 Prozent Latino-Bevölkerung?
Bailey: Ach, früher war alles einfacher.
Streep: Früher wurden Frauen . . .
Bailey:. . . können wir bitte mal über etwas anderes reden?
Kimmel: Über was denn?
(alle schweigen)
Bailey: Das wird ja eine tolle Gala.
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Die Prognosen der SonntagsZeitung
Bester Film: «The Shape Of Water»

Wird es ganz zum Schluss der Verleihung, wie letztes Jahr, eine Überraschung geben? Auszugehen ist von einem Zweikampf zwischen dem Meermonster-Märchen «The Shape of Water» und dem Rache-Thriller «Three Billboards Outside Ebbing, Missouri», mit leichten Vorteilen für den Ersteren. Aber der Film von Guillermo del Toro kam kurz vor Abstimmungsschluss in den Gegenwind wegen diverser Plagiatsvorwürfe. Profitieren davon könnte vielleicht ein Dritter: «Get Out», der schwarze Horrorfilm, hat noch mächtig Schub bekommen. Und vergessen sollte man auch «Dunkirk» nicht, von dem vor allem viele Filmtechniker schwärmen, die auch abstimmen.
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Beste Regie: Guillermo del Toro für «The Shape of Water»

Dieser Oscar dagegen scheint Guillermo del Toro praktisch sicher zu sein. Der mexikanische Regisseur ist seit Jahrzehnten erfolgreich tätig, wurde aber bisher stets übergangen, weil seine Filme zuerst zu sehr Nischenprodukte waren und dann zu sehr Genrefilme. Dieses Jahr wird es klappen – ausser Greta Gerwig holt mit «Lady Bird» im Jahr der Frauen noch heftig auf.
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Beste Darstellerin: Frances McDormand in «Three Billboards . . .»

Sorry, Meryl Streep, aber an der scharfzüngigen Rächerin Frances McDormand kommt dieses Jahr niemand vorbei. Es wäre ihr zweiter Oscar nach «Fargo» vor 21 Jahren.
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Bester Darsteller: Gary Oldman in «Darkest Hour»

Tatsächlich, der hochgelobte englische Schauspieler war bis jetzt ein einziges Mal für den Oscar nominiert. Jetzt schlägt seine Stunde in der Rolle als britischer Premierminister Winston Churchill. Aussenseiterchancen hat höchstens der junge Timothée Chalamet aus «Call Me by Your Name» – aber die Zeit des 22-Jährigen wird noch kommen.
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Beste Nebendarstellerin: Allison Janney in «I, Tonya»

Die böse Eiskunstlaufmama ist gesetzt. Bekannt ist Allison Janney als Pressesprecherin aus «West Wing».
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Bester Nebendarsteller: Sam Rockwell in «Three Billboards...»

Die Auszeichnung des Herzens geht an Willem Dafoe in «The Florida Project». Aber Sam Rockwell, der rassistische Polizist aus «Three Billboards . . .» hat ihn im Sogwind von Frances McDormand überholt.
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Bester Animationsfilm: «Coco»

Pixar, Pixar, Pixar – das Studio findet mit dem mexikanischen Totenkultfilm zur alten Form zurück. Und ist nicht zu bezwingen.
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