Wem gehört Helmut Kohl?
Zwischen der Kohl-Witwe Maike Richter und der Partei bahnt sich ein Streit an. Worum es dabei konkret geht und warum uns dieser Fall bekannt vorkommt.

«Wem gehört Willy?», «Die Macht der Witwe» oder «Die Erbin auf dem Kriegspfad»: Mit solchen Schlagzeilen hatten deutsche Zeitungen über den Streit um den politischen Nachlass von Willy Brandt (1913–1992) berichtet. Brigitte Seebacher-Brandt, als Universalerbin eingesetzt, wollte ohne die SPD entscheiden, was mit dem politischen Nachlass des grossen Alt-Kanzlers geschehen sollte. Die 33 Jahre jüngere Frau hatte Brandt in seinen letzten Jahren immer mehr von der Öffentlichkeit abgeschirmt. Nach dessen Tod beanspruchte sie die Deutungshoheit über das politische Wirken Brandts. Nach zweijährigem Disput fanden die Brandt-Witwe und die SPD eine Einigung.
Der Streit um den Nachlass eines herausragenden Politikers dürfte sich nun nach dem Tod von Helmut Kohl wiederholen. Maike Kohl-Richter sagte vor drei Jahren in einem ihrer seltenen Interviews der «Welt am Sonntag», ihr Mann habe festgelegt, dass «ich die alleinige Entscheidungsbefugnis über seinen historischen Nachlass haben sollte».
400 Aktenordner aus Privatarchiv
Diesen Willen soll Kohl geäussert haben, bevor er 2008 bei einem Treppensturz schwere Kopfverletzungen erlitten hatte. Während der folgenden Reha heiratete der Alt-Kanzler die 34 Jahre jüngere Frau. Die Heirat erfolgte sieben Jahre nach dem Suizid der ersten Kanzler-Gattin Hannelore. Die zweite Kohl-Ehefrau, die in den 1990er-Jahren als Referentin im Kanzleramt gearbeitet hatte, umsorgte und pflegte den zunehmend schwer kranken Alt-Kanzler. Sie handelte sich allerdings den Vorwurf ein, Kohl von seinen Söhnen Peter und Walter sowie von vielen Freunden isoliert zu haben. Zudem wird der Kohl-Witwe nachgesagt, dass sie den historisch bedeutenden, politischen Nachlass des Wiedervereinigungskanzlers als Privatbesitz betrachtet, den sie nach eigenem Gutdünken verwalten und der Öffentlichkeit zugänglich machen will.
Dabei geht es um 400 Aktenordner, die Kohl nach seiner Abwahl im Jahr 1998 dem Archiv der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung bei Bonn übergeben hatte. Die Dokumente, darunter Strategiepapiere und Briefe internationaler Staatsmänner, liess der Alt-Kanzler im Jahr 2010 allerdings wieder in sein Privathaus nach Oggersheim bringen – angeblich wegen der Abfassung des vierten Bandes seiner Memoiren.
Rechtsstreit um 200 Tonbänder
Der vierte Teil der Kohl-Memoiren erschien aber nicht. Ghostwriter Heribert Schwan begründete dies mit dem im Jahr 2009 erfolgten Zerwürfnis mit Kohls zweiter Ehefrau. Schwan hatte zehn Jahre lang Gespräche mit Kohl geführt und diese auf 200 Tonbändern aufgenommen. Einen Teil der Aufzeichnungen veröffentlichte er – ohne Billigung Kohls – im Buch «Vermächtnis. Die Kohl-Protokolle» (2014). Darin hatte sich Kohl despektierlich über Weggefährten wie Wolfgang Schäuble geäussert. Wegen der unautorisierten Veröffentlichung vertraulicher Informationen mussten auf gerichtliches Geheiss Teile des Buches geschwärzt werden. Zudem musste Schwan dem Alt-Kanzler wegen Persönlichkeitsverletzung eine Million Euro bezahlen.
Das Gerichtsverfahren gegen Schwan zeigt, dass der Kampf um die Deutungshoheit des Wirkens von Kohl notfalls auch mit juristischen Mitteln geführt werden wird. Kohl bleibt in Erinnerung als Kanzler der deutschen Wiedervereinigung und als Wegbereiter der europäischen Integration. Er war aber auch ein Machtpolitiker mit schwarzen Kassen. Die Parteispendenaffäre trübt das Bild des grossen Staatsmanns.
Adenauer-Stiftung oder Bundesstiftung
Die alleinige Entscheidungsbefugnis über den Nachlass, die die Kohl-Witwe für sich beansprucht, richtet sich auch an die CDU, die der verstorbene Kanzler über ein Vierteljahrhundert geführt hatte. Ohne ihre Zustimmung dürfte es schwierig werden, die Dokumente einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen.
«Natürlich ist Helmut Kohl mehr als eine Privatperson», sagte schon vor Jahren Bernhard Vogel, Ehrenvorsitzender der Adenauer-Stiftung und Ex-Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz und Thüringen. Deshalb habe auch die Öffentlichkeit einen Anspruch auf den politischen Nachlass des früheren Kanzlers. «Der Nachlass wäre sicherlich am besten im Archiv der Adenauer-Stiftung aufgehoben.»
Das Bundesarchiv in Koblenz erhebt zumindest Anspruch auf die Unterlagen, die Kohl in seiner Funktion als Kanzler betreffen. Auch in der deutschen Bundesregierung gibt es schon seit einiger Zeit Überlegungen, wie mit dem politischen Erbe von Kohl angemessen umgegangen werden kann, wie der «Spiegel» schreibt. Der Bund unterhält bereits sechs Gedenkstiftungen. Sie erinnern an bedeutende deutsche Staatsmänner, darunter die früheren Bundeskanzler Konrad Adenauer, Willy Brandt und Helmut Schmidt. Die Kulturbeauftragte der Regierung, Monika Grütters (CDU), schlägt jetzt vor, für Kohl ebenfalls eine solche Bundesstiftung zu gründen. Bei solchen Plänen dürfte die Kohl-Witwe Maike Richter ein gewichtiges Wort mitreden.
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