Wenn die Freiburger mit grosser Kelle anrichten
Im Herbst ist Hochsaison für die Kilbiprodukte. Viele Einheimische machen sich jedes Jahr auf die Suche nach der perfekten «Moutarde de Bénichon».

Jedes Jahr überlegen sie von neuem, ob und wie sie das Rezept vom Kilbisenf ändern sollten. Mehr Zucker? Mehr Senfpulver? Weniger Weisswein? Jedes Jahr, sagt Corinne Bovet, sind es immer die gleichen Diskussionen.
Der Kilbisenf ist Bestandteil des Bénichon-Menüs, des Kilbimenüs, das im Freiburgischen dieser Tage allenthalben auf den Tisch kommt. Bovet arbeitet Teilzeit für das Tourismusbüro der Region Fribourg. Privat, bei ihr zu Hause in Grolley im Saanebezirk, hat sie vor drei Wochen mit den Vorbereitungen für die Bénichon begonnen. Zusammen mit ihrer Schwester und anderen Familienmitgliedern (die Kilbi, ist ein Familienfest!) hat sie Bretzeli gebacken, Vin cuit hergestellt, dazu kommen wir später, alles für die Cuchaules (siehe «Altbacken») parat gemacht. Dieses Wochenende ist es so weit: Die Bénichon, das Erntedankfest der Freiburger, das seit je begangen wird, findet statt.
Das heisst, eine von vielen, die offizielle, wenn man so will, jene in Ecuvillens. Die Feierlichkeiten in den Bergdörfern, die «vom Berg», wie die Freiburger sagen, finden erst im Oktober statt – in Charmey zum Beispiel Mitte Monat, inklusive Heukarrenrennen.
Es gibt einiges zu verputzen
An der Kilbi wird traditionsgemäss mit der grossen Kelle angerichtet: Das Bénichon-Menü kommt in den Familien am Kilbisonntag auf den Tisch, in vielen Restaurants immer öfter während mehrerer Wochen. Und es dauert in der Regel viele Stunden.
Am Montag darauf muss man sich nie überlegen, was man essen soll – es gibt viele Resten.
Es gilt ja auch, einiges zu verputzen: das Safranbrot Cuchaule, Chämischinken, Lammgigot mit den regionalen Büschelibirnen, Bouillon, Bricelets (Bretzeli), Meringues und Greyerzer Doppelrahm. Dann spielt im Idealfall eine Ländlerkapelle zum Tanz auf. Und am Montag darauf müsse man sich nie überlegen, was man essen soll – es gibt viele Resten, sagt Corinne Bovet.
Auf das Cuchaule schmiert man am besten Kilbisenf, auf Französisch «Moutarde de Bénichon», den es in Bäckereien und Fachgeschäften zu kaufen gibt, aber von vielen noch selbst gemacht wird. Rezepte dafür gibt es – wie bei traditionellen Gerichten üblich – so viele, wie es Haushalte gibt. Hergestellt wird er aus Mehl, Senf, Weisswein und vor allem Vin cuit. Letzterer ist nicht etwa gekochter Wein, wie man meinen könnte, sondern entsteht, wenn man Birnensaft über zwanzig Stunden lang einkocht.
Die Freiburger nehmen dafür ihre Poires à Botzi, die Büschelibirnen, die vom Südufer des Neuenbur-gersees bis zu den Freiburger Voralpen wachsen und die dem sirupähnlichen Birnendicksaft ein besonderes Aroma verleihen. Manche brauchen für Vin cuit auch Äpfel. Doch das ist mancherorts schon fast eine Glaubensfrage, ähnlich der Menge an Zucker oder Wein, die man allenthalben verwenden soll oder nicht.
Ganz wichtig für das Gelingen des Kilbisenfs: Das Senfmehl sollte mindestens einen halben Tag im Weisswein eingeweicht werden. Besser noch über Nacht, das bestätigt auch Corinne Bovet. Die 55-Jährige liebt den Duft des Gewürztees, den sie jeweils am Anfang macht. Dort drin ist Sternanis und Zimt. Letzterer, so Bovet, nehme viel Raum ein. Der Anis sorge erst später für Geschmack. Zimtstangen, Sternanis, Birnen: Schon nur die Vorstellung der Zubereitung dieses Senfs erinnert an Weihnachten. Bis dahin ist es noch eine ganze Weile.
Kilbi ist das ganze Jahr
Doch nicht alle feiern die Bénichon – eigentlich «Kirchweih» – im Spätsommer oder Herbst. Die erste schriftliche Erwähnung ist auf den 23. September 1443 datiert. Notiert wurde sie, weil es Krawalle gegeben hatte, und zwar durch Kilbivagabunden. Der weltliche Teil der Kirchweih – Speis, Trank und Tanz – war den Behörden schon immer ein Dorn im Auge. Die Feierlichkeiten dauerten ja drei Tage, Freitage häuften sich, denn Pfarreiangehörige feierten nicht nur Kilbi in ihrem Dorf, sondern auch jene der Nachbardörfer.
Im 18. Jahrhundert schliesslich wurde verordnet, dass ein Dorf künftig nur noch eine Kilbi im Jahr feiern dürfe. Nicht, dass man sich daran gehalten hätte, doch immerhin kristallisierten sich einheitliche Daten heraus – der zweite Sonntag im September in den Talgebieten und der zweite Sonntag im Oktober in den Bergregionen. Doch auch daran halten sich nicht alle. Die erste Kilbi des Jahres wird in Broc zusammen mit der Fasnacht gefeiert und die letzte am 31. Dezember im Dorf St. Silvester im Sense-Oberland.

Dass seit ein paar Jahren neben den Festen in den Dörfern eine grosse, offizielle Kilbi gefeiert wird, erstaunt in Zeiten, in denen Schwingfeste en vogue sind wie kaum sonst etwas, nicht. Das Fest soll Touristen anlocken und das Kilbimenü, das eine schöne kulinarische Hommage an den Kanton Freiburg ist, die Produkte des Kantons ehren.
In Bäckereien und bei Lebensmittelhändlern sind die Kilbiprodukte jetzt im Herbst vermehrt zu finden. Wer selber Hand anlegen will, ruft Freiburger Freunde an, um nach Rezepten zu fragen, googelt oder besucht einen Kurs von Corinne Bovet: Zusammen mit einer Kollegin bietet sie Workshops an, unter anderem einen, in dem sie zeigt, wie man Kilbisenf und Cuchaule herstellt. Eintragen kann man sich auf der Plattform Dzin.ch, auf der über hundert Angebote zu finden sind – von Einheimischen, die ihre Liebe zur Region teilen wollen. Dzin heisst «Menschen» im Patois, dem alten Freiburger Dialekt.
Aber nicht vergessen: Kilbisenf zu kochen, braucht Zeit und Geduld. Die richtige Konsistenz zu finden, kann Jahre dauern. Corinne Bovet und ihre Familie stecken jeweils einen Löffel in das Senfglas. Hält er, sind sie zufrieden. Und jedes Jahr überlegen sie, ob sie nicht doch ein wenig mehr Zucker verwenden wollen, weniger Wein oder ein paar Löffel mehr Zimt.
Für weitere Informationen siehe: www.benichon.org/de
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