Wenn Naturschützer die Natur verkaufen
Für ein paar Hunderttausend an Spendengeldern kollaborieren grosse Umweltschutzverbände gerne mit Industriekonzernen. Dies zeigt der Bau der Daimler-Autorennstrecke in Süddeutschland.
Über dem Truppenübungsplatz in Immendingen, östlich des Schwarzwaldes, kreisen heute Wanderfalken, unten nisten seltene Vögel. Doch die nur von gelegentlichen Schiessübungen gestörte Naturzone soll einer Autorennstrecke weichen. Der Automobilkonzern Daimler möchte hier einen Parcours für Testfahrer mit Steilwandkurve und Bodenheizung bauen, und zwar mit tatkräftiger Unterstützung des deutschen Naturschutzverbundes (Nabu) – dies meldet das Magazin «Spiegel» in seiner heutigen Ausgabe (Artikel online nicht erhältlich).
Moore mit Mercedes-Stern
Dass die 500'000 Mitglieder zählende Organisation, die sonst bereit ist, sich für jeden Nistplatz an einen Baum zu ketten, gegen Daimlers Pläne nichts einzuwenden hat, könnte mit einer grosszügigen Spende des Automobilkonzerns zusammenhängen, sagen Umweltlobbyisten. Eine Spende von 920'000 Euro habe Nabu die Entscheidung, ob er gegen die Rennstrecke aktiv werden wolle, erleichtert, schreibt der «Spiegel». Das Geld soll Moorprojekten im Schwarzwald und im Allgäu zugutekommen, wie Nabu bekannt gab. Das Projekt wird denn auch «Moore mit Stern» genannt, in Anspielung auf das berühmte Mercedes-Wahrzeichen des Automobilkonzerns.
Eine Firma spendet grosszügig Geld, dafür verzichtet der begünstigte Umweltschutzverband auf das Engagement gegen bestimmte Projekte – ein solcher Ablasshandel lässt sich bei Umweltschutzverbänden immer öfter beobachten, heisst es im «Spiegel». So habe Nabu jüngst im hessischen Vogelsberg auf das Engagement gegen einen umstrittenen Windpark verzichtet, obschon die Windräder mitten in der Flugroute zahlreicher Wandervögel stehen. Dies, nachdem der Windparkbetreiber eine halbe Million in einen von Nabu verwalteten Naturschutzfonds eingezahlt hatte. Ähnlich ging es mit dem Nordsee-Windpark Nordergründe im Wattenmeer – hier zahlte der Windparkbetreiber eine Spende von 800'000 Euro in eine Stiftung von Mitgliedern des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland, der daraufhin auf weitere Engagements gegen den Park verzichtete.
Verhandeln besser als Totalverweigerung
Die Umweltschutzverbände sehen es pragmatisch. Es gehe nicht darum, sich kaufen zu lassen. Aber dem Naturschutz sei mit einer Stiftung oder einem von der Industrie finanzierten Hilfsprojekt mehr gedient als mit Totalverweigerung. Die Frage bleibt, ob die Zuwendungen der Industrie so freiwillig sind oder nicht viel mehr unter Druck zustande kommen. Denn nichts fürchten Unternehmen mehr als den Imageschaden durch eine öffentliche Kampagne – oder einen langwierigen Gerichtsstreit mit den Umweltschutzverbänden, die das Privileg haben, im Namen bedrohter Klein- und Grosslebewesen gegen Konzerne vor Gericht zu ziehen. Und so zahlen viele Firmen, um sich solche Unannehmlichkeiten möglichst vom Hals zu halten. Zur Belohnung unterstützen die Umweltverbände dann ihre Projekte.
Es ist nicht das erste Mal, dass Umweltschutzverbänden vorgeworfen wird, mit ihrem Gegner gemeinsame Sache zu machen, wenn die Kasse stimmt. So sah sich die Umweltorganisation WWF mit ihren jährlich etwa 500 Millionen Euro an Spenden in den vergangenen Jahren mit dem Vorwurf konfrontiert, dass sich ihre Funktionäre für entsprechende Deals mit Grosskonzernen wie Monsanto in ein Boot setzen, sich an der Abholzung von Regenwald beteiligen oder sich am Handel mit geschützten Arten wie Tigern bereichern sollen. Begründet wird dies meistens mit einer «pragmatischen Haltung» – oder wie es WWF-Funktionärin Dörte Bieler ausdrückt: «Es ist wichtig, als NGO nicht nur belächelt, sondern als kompetenter Gesprächspartner akzeptiert zu werden.»
Einzig die Aktivisten und Kleinspender an der Front haben für diese Perspektive wenig Verständnis. Schliesslich bekunden die Aktivisten mit ihren Spendengeldern auch ihr Vertrauen in Umweltschutzverbände. Sie wünschen keine pragmatischen Kompromisse, sondern konsequenten Aktivismus und wenden sich enttäuscht von ihren NGOs ab. Für diese spielt das allerdings keine Rolle – schliesslich hat man sich nicht umsonst mit der Industrie arrangiert.
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