Wenn nur noch Gentrifizierung hilft
Der Stadtzürcher Heimatschutz gibt den juristischen Kampf um zwei alte Siedlungen auf und hofft nun auf die Politik. Er warnt vor den Plänen der Genossenschaften.
Mit Gentrifizierungsängsten ist in Zürich mehr zu gewinnen als mit bauhistorischen Bedenken. Zu diesem Schluss scheint der Stadtzürcher Heimatschutz gekommen zu sein. Er versucht seinen Kampf um zwei alte Genossenschaftssiedlungen an der Seebahnstrasse nach Niederlagen vor Gericht nun auf eine politische Ebene zu heben, wie aus einer Mitteilung vom Dienstag hervorgeht.
Der Heimatschutz verzichtet demnach wegen geringer Erfolgschancen darauf, den Fall ans Bundesgericht weiterzuziehen. Stattdessen schiebt er ihn dem Gemeinderat zu. Diesem obliegt es, mit einem Gestaltungsplan die Sondervorschriften festzulegen, ohne die sich die geplanten Ersatzneubauten nicht realisieren lassen. Der Gemeinderat habe daher den Entscheid in der Hand, ob das «überaus intakte Wohnquartier tatsächlich Gegenstand der Gentrifizierung» werde. Der Heimatschutz argumentiert, dass anstelle der Altbauten fünf- bis siebenstöckige Neubauten voller Mittelstandswohnungen entstehen sollen, die unbezahlbar wären für die heutigen Bewohner. «Und das ausgerechnet auf Initiative zweier Wohnbaugenossenschaften, die traditionellerweise in diesem Quartier Wohnraum für die Arbeiterschaft gebaut haben.»
Hoffen auf die Linke
Der Wink mit dem Zaunpfahl gilt den Linksparteien, die im Gemeinderat in der Mehrheit sind. Als ob das noch nicht klar genug wäre, wird auch noch auf die «einzigartige Erfolgsgeschichte des Roten Zürich der 1920er- bis 1940er-Jahre» verwiesen, um die es gehe. Das gilt namentlich der SP, die gerade das städtische Stadionprojekt im Hardturm zu Fall bringen will, weil sie den damit verbundenen Bau teurer Wohnungen durch die Credit Suisse ablehnt. Allerdings haben die Sozialdemokraten dieses Argument bislang nicht gegen Wohnbaugenossenschaften gewendet, sondern diese stets verteidigt als Mittelstandsprojekt.
Anders AL-Gemeinderat Walter Angst vom Zürcher Mieterverband. Er kritisierte kürzlich den Sprung des Mietzinsniveaus, der bei Ersatzneubauten von Genossenschaften zu beobachten ist (TA vom 23. Juli). Das habe eine «Auswechslung der Bevölkerung» zur Folge. Arme, Alte und Ausländer würden verdrängt von Wohlhabenden und Gebildeten.
Im Fall der Seebahnstrasse geht es um zwei Siedlungen, von denen eine der Allgemeinen Baugenossenschaft Zürich (ABZ) gehört und die andere der Baugenossenschaft des eidgenössischen Personals (BEP). Mediensprecher Mike Weibel betont, ein Quadratmeter Wohnraum koste in den geplanten Neubauten gleich viel oder gar weniger als in den gesamterneurten Altbauten – und dass diese aufwändig erneuert werden müssten, stehe ausser Frage. Aktuell bezahlt man für eine 4-Zimmer-Wohnung mit 74 Quadratmetern in der ABZ-Siedlung 966 Franken. Im Neubau würden für 4½ Zimmer mit 97 Quadratmetern um die 1500 Franken fällig, Nebenkosten inbegriffen. Zudem wird bis zu einem Fünftel aller Wohnungen subventioniert sein für Menschen mit wenig Geld.
Ein schutzwürdiges Ensemble?
Der Stadtzürcher Heimatschutz hat bisher primär bauhistorisch gegen die wuchtigen Ersatzneubauten argumentiert. Denn die zwei bestehenden Siedlungen von 1930 sind um einen begrünten Innenhof gebaut und bilden dadurch ein Ensemble mit dem benachbarten Erismannhof, der der Stadt Zürich gehört. Während dieser aber geschützt ist und als wichtiges Baudenkmal gilt, hat der Stadtrat die Siedlungen von ABZ und BEP aus dem Inventar entlassen. Hauptmotiv: Die innere Verdichtung, die notwendig ist, um das prognostizierte Bevölkerungswachstum aufzufangen. Die bereits weit gediehenen Projekte für die Neubauten würden gegenüber heute rund 90 zusätzliche Wohnungen umfassen, grosszügiger geschnitten und auf den lärmgeschützten Hof ausgerichtet.
Laut dem Heimatschutz wäre das aber zum Schaden des Quartiers, das heute auf einzigartige Weise einheitlich bebaut und gut erhalten sei. Gemäss dem eidgenössischen Inventar schützenswerter Ortsbilder (Isos) findet man dort «eindrückliche Beispiele für die städtischen Massnahmen gegen die Wohnungsnot in der Zwischenkriegszeit», daher geniesst das Gebiet höchsten Schutz. Das bedeutet: Erhalt der ursprünglichen Bausubstanz, keine Neubauten.
Über diese Bestimmungen dürfen sich die Behörden allerdings hinwegsetzen, sofern sie nachweisen können, dass sich andere öffentliche Interessen bei einer sorgfältigen Abwägung als wichtiger erwiesen haben. Baurekurs und Verwaltungsgericht, die diesbezüglich nichts zu beanstanden hatten, sind der Güterabwägung des Stadtrates laut Heimatschutz zu unkritisch gefolgt. Das Quartier an der Seebahnstrasse sei der falsche Ort für eine weitere Verdichtung, denn es sei bereits jetzt deutlich dichter als der städtische Durchschnitt. Der Gemeinderat solle diese Güterabwägung nun noch einmal überprüfen. Und dabei ein Schlagwort im Hinterkopf behalten: Gentrifizierung.
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