Wenn selbst der Schatten alle erdenklichen Farben enthält
Der Ausstellungs-Blockbuster des Schweizer Kunstjahres kommt heuer früh: Die Fondation Beyeler in Riehen zeigt Claude Monet. Berauschend!
Jetzt wird also auch vor Monet meditiert. Im Faltprospekt der Fondation Beyeler steht es, schwarz auf weiss: An ausgewählten Tagen werden maximal 30 Kunstfreunde schon um 7.30 Uhr eingelassen, die dann eine «begleitete Meditation in der Ausstellung» geniessen.
Muss das sein? Absolut! Was – von aussen betrachtet – ein bisschen bekloppt klingt, macht, wenn man vor den Bildern steht, plötzlich Sinn. Nicht nur, weil an dieser Monet-Schau, die sich das meistbesuchte Museum der Schweiz zum Auftakt seines 20-Jahr-Jubiläums leistet, noch mehr Publikum erwartet wird als sonst, und man inmitten einer Menschentraube und mit Audioguide am Ohr für gewöhnlich nicht in meditative Stimmung verfällt. Sondern vor allem, weil man ab dem ersten Bild, das man hier zu Gesicht bekommt, schlichtweg berauscht ist. Was für Farben! Wie das leuchtet! Dieses Hochgefühl nicht für eine spirituelle Übung zu nutzen, wäre wahrlich Verschwendung.
Er versuchte das Unmögliche
Nur schon ganz am Anfang der Ausstellung, wo Kurator Ulf Küster ein Amuse-Bouche in Form eines Bildertrios serviert. Die hauseigene «Kathedrale von Rouen» ist da – neu gefasst in einem schlichten, dunklen Holzrahmen, der die Ränder der Leinwand sichtbar lässt, fantastisch! Monet hätte das geliebt; für ihn stellten Rahmen zeitlebens ein ungelöstes Problem dar, und er präsentierte seine Werke am liebsten ganz ohne. Jedenfalls: Die «Kathedrale» – zart blau und der ersten morgendlichen Sonnenstrahlen harrend – wird flankiert vom «Heuschober» aus dem Kunsthaus Zürich, mit einem Schattenwurf, bei dem nun wirklich jede Farbe von Monets Palette Verwendung fand. Und, zum dritten, von einer noch taunassen «Wiese bei Giverny».
Golden und regenbogenfarben zugleich ist das Licht auf all diesen Gemälden und so warm, dass man sofort die Bise draussen vor der Museumstür vergisst. Und wenn man einen Raum weiter dann an der Wand Monets Zitat aus einem Brief liest, den er seiner Frau Camille einst aus Monte Carlo schrieb – «Ich weiss gar nicht, wohin meinen Kopf wenden, alles ist grossartig hier, blau und rosa» –, würde man am liebsten «Ja, genau!» rufen.
Irgendwann fing Monet an, sich das vorzunehmen, was nicht festzuhalten ist.
Dabei ist, was hier zusammengetragen wurde, keinesfalls der «ganze» Monet. Die frühen, streng impressionistischen Bilder mit den weiss gewandeten Damen in Blumenwiesen hat Kurator Küster fast komplett weggelassen. Ebenso die nahezu abstrakten Seerosenschinken der reifen Jahre (wobei der hauseigene natürlich trotzdem den Schlusspunkt der Schau markiert). Der Fokus liegt auf jenen 25 Jahren ab 1880, als Monet in seinem ureigenen Stil richtig sattelfest geworden war und damit zu experimentieren begann. Sprich: Wo er aufhörte, festzuhalten, was vor ihm lag. Und anfing, sich das vorzunehmen, was im Grunde nicht festzuhalten ist – weil es sich permanent verändert: die Oberfläche der Seine, die Wellen des Meeres, vom Wind durchgeschüttelte Baumkronen, wabernden Nebel. «Ich verfolge einen Traum», schrieb er 1895: «Ich will das Unmögliche.»
Die Resultate dieser Versuchsanordnung hängen nun zu Dutzenden an den beyelerschen Wänden. Schön säuberlich nach Sujet gruppiert: hier die Seine-Bilder, da das Meer, dort die Pappelalleen und so weiter. Langweilig wird das nie, im Gegenteil. Bei Monet ist mehr für einmal tatsächlich mehr. Denn wenn ähnliche Sujets aufeinandertreffen, kommt sein Nuancenreichtum erst richtig zur Geltung.
Plötzlich politisch?
Zum Beispiel in dem langen, schmalen Ausstellungssaal, in dem Mitbringsel von Monets London-Trips zwischen 1899 und 1904 Spalier hängen: links viermal die «Waterloo Bridge», rechts viermal die «Charing Cross Bridge» (inspiriert von Monets Aussicht aus seiner Suite im Hotel Savoy, die er sich in jenen Jahren schon locker leisten konnte). Die Brücken schimmern mal rosa, mal türkis, mal lila – aber immer: durch dicken Nebel hindurch («ohne den», gemäss Monet, «London keine schöne Stadt wäre»). Von Bild zu Bild materialisiert sich im Hintergrund das weltberühmte Parlamentsgebäude ein bisschen mehr, bis es, an der Stirnseite des Ausstellungsraums, erhaben in Abendrot glimmt.
Man stutzt: Will uns der Kurator damit etwas sagen? Oder gar Monet selbst? War er, der Schönmaler Nummer eins, am Ende ... politisch? «Schwer vorstellbar, dass er es nicht war», meint Küster auf einer Tour durch die Ausstellung. Es war eine politische Zeit damals; Émile Zola hatte gerade sein «J'accuse» publiziert, als Monet zu seiner ersten Londonreise aufbrach. Begleitet wurde der Maler von seinem guten Freund Georges Clemenceau, dem künftigen Ministerpräsidenten Frankreichs, und man traf sich mit Henry Asquith, der wiederum Premier in England werden sollte. «Da wird nicht nur übers Wetter gesprochen worden sein», so Küster. Bloss werde Monet, der sich im Gegensatz etwa zu Cézanne oder Picasso kaum je politisch oder theoretisch äusserte, in intellektueller Hinsicht unterschätzt.
Kleines rotes Bällchen
Nicht nur das lässt einen Monet in Riehen ein Stück weit neu entdecken. Sondern auch Bilder, die man sonst kaum zu Gesicht bekommt, weil sie ihre Besitzer ungern ziehen lassen. Kein Wunder: Geradezu erschütternd schön ist die schnappschussartige Ansicht der Kirche von Varengeville (1882, Privatsammlung). Oder jene «Frühlingslandschaft» (1894, ebenfalls privat), die aussieht, als hätte Monet dafür ausschliesslich Leuchtstifte verwendet. Oder der «Sonnenuntergang über der Seine bei Eisgang» (1880) aus dem japanischen Pola-Museum, dessen kleines feuerrotes Sonnenbällchen es locker mit der – natürlich nicht gezeigten – Ikone «Impression, soleil levant» aufnehmen kann. Oder –
Halt. Das muss genügen. Fahren Sie nach Riehen. Monet muss man mit eigenen Augen sehen, um ihn zu glauben. Oder, wahlweise: davor meditieren.
Ab Sonntag, 22. Januar, bis 28. Mai. Katalog: Hatje Cantz, ca. 63 Franken. Die begleitete Meditation findet am 24.1./7./21.2./7./21.3. statt. Anmeldung: www.fondationbeyeler.ch/monetmorgen
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