
Es geschah im vergangenen Mai. Beim Staatsbesuch in Peking traf der tschechische Präsident Milos Zeman seinen russischen Amtskollegen Wladimir Putin. Zeman wunderte sich über die vielen Kameras und flüsterte Putin zu: «Es gibt zu viele Journalisten. Man müsste sie liquidieren.» Der Russe antwortete: «Liquidieren ist nicht notwendig, es genügt, sie zu reduzieren.»
Wenn der Kopf eines totalitären Regimes gemässigter klingt als das Oberhaupt eines EU-Staates, dann sollten die Alarmglocken läuten. Doch Brüssel hat mit Zeman kein Problem, genauso wenig wie mit Robert Fico, dem sozialdemokratischen Regierungschef des Nachbarlands Slowakei. Fico bezeichnete Journalisten als «schmutzige, antislowakische Prostituierte», ein anderes Mal als «Hyänen» oder «Toilettenspinnen».
Gibt es einen Zusammenhang zwischen Ficos Hass und dem Mord am slowakischen Journalisten Jan Kuciak und seiner Verlobten? Die Polizei bringt die Tat in Zusammenhang mit Kuciaks Arbeit als Enthüllungsjournalist, mehr ist bisher jedoch nicht bekannt. Kuciak recherchierte, ebenso wie die maltesische Journalistin Daphne Caruna Galizia, über die Verbindungen der Regierungsspitzen zu mafiösen Geschäftsleuten. Wer sich in diese Grauzone begibt, ist offenbar gefährdet. «Die Gauner sind überall, die Lage ist verzweifelt», war Galizias letzter Blog-Eintrag, kurz bevor sie durch eine Autobombe starb.
Der Mord soll Angst unter Journalisten schüren.
In beiden Fällen gibt es keinen Hinweis, dass die Regierungschefs von den Mordplänen an Journalisten wussten oder sogar daran beteiligt waren. Doch stets sind es Politiker, die mit ihren verbalen Attacken eine Stimmung des Hasses schaffen, in der Morde möglich werden.
«Will no one rid me of this meddlesome priest?» – Will mich denn niemand von diesem lästigen Priester befreien?, soll der englische König Heinrich II. ausgerufen haben, als sein Bischof zu eigenständig wurde. Mehr brauchte er nicht zu sagen. Seine Ritter verstanden und erschlugen den «lästigen» Thomas Becket. Wer die Macht hat, kann mit Worten töten.
Bilder: Mord an Jan Kuciak
Hat sich in fast 900 Jahren Zivilisation nichts geändert? Machte Wladimir Putin eine ähnliche Bemerkung über Anna Politkowskaja? Reichte eine knappe Frage des Präsidenten als Signal für die Schergen, dem Leben der prominenten investigativen Journalistin ein Ende zu setzen? Wir werden es wohl nie erfahren. Verhaftet werden nach solchen Anschlägen höchstens die üblichen Verdächtigen, so wie im Dezember in Malta. Vielleicht werden sie sogar verurteilt. Die Drahtzieher aber bleiben verborgen.
Putin macht keine harmlosen Scherze
Als Putin beim G-20-Treffen in Hamburg auf Journalisten zeigte und den neben ihm sitzenden Donald Trump fragte: «Sind das diejenigen, die Ihnen wehtun?», dann war das kein harmloser Scherz. Putin macht keine harmlosen Scherze. Er sendet Signale aus, wie jeder Mächtige mit seinen Worten auch Signale aussendet. Man kann die Frage auch als Aufforderung verstehen: Wer sich verletzt fühlt, der darf sich wehren. Einem Machtmenschen ist die Macht seiner Worte sehr wohl bewusst.
Keine gedungenen Mörder braucht der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan. Er lässt Journalisten lebendig begraben, hinter den Gittern türkischer Gefängnisse. Ein Wort genügt, eine kleine Andeutung, und die Justiz erledigt den Rest. Erdogan, Putin oder der Slowake Fico haben eines gemeinsam: Sie erklärten sich zum personifizierten Staat. L'état c'est moi.
Wenn Journalisten gegen sie recherchieren, tun sie das also gegen den Staat. Die Ausschaltung dieser Staatsfeinde erscheint dann nicht mehr gesetzeswidriger Gewaltakt – sondern als patriotische Pflicht.
Strache bezichtigte ORF als Hort der Lüge
Tödliche Angriffe auf Journalisten kannte Europa in den vergangenen Jahrzehnten kaum. Journalisten starben, aber meistens auf Kriegsschauplätzen. Wenn jetzt Staats- und Regierungschefs jedoch Reporter liquidieren wollen oder sie als Nutten beschimpfen, dann ist das nicht nur eine Eskalation der Wortwahl, dann schafft das auch jene Atmosphäre, in der tätliche Übergriffe möglich werden.
In Österreich stellte der Chef der rechtspopulistischen FPÖ, Heinz-Christian Strache, das Foto des bekannten Fernsehjournalisten Armin Wolf auf Facebook und bezichtigte den öffentlich-rechtlichen ORF als Hort der Lüge. Auch das hat eine neue Qualität. Verbale Angriffe auf Journalisten standen auch bisher auf der Tagesordnung der Rechtspopulisten, aber Strache ist heute nicht mehr ein wildgewordener Oppositionspolitiker, sondern Vizekanzler der Republik Österreich. Seine Hetze bekommt jetzt also gleichsam staatliche Autorität.
Jetzt erst recht
Der Mord an Jan Kuciak hat die Leben eines talentierten und engagierten jungen Journalisten und seiner Verlobten ausgelöscht. Aber diese eiskalt ausgeführte Tat wollte noch mehr: Angst unter Journalisten schüren, sie von weiteren Recherchen abhalten, ihr Vertrauen in die staatlichen Institutionen erschüttern, die keinen Schutz vor Gewalt bieten können oder bieten wollen. Dieses Ziel haben die Täter und ihre Auftraggeber vorerst nicht erreicht. Im Gegenteil. Die erste Reaktion war ein «Jetzt erst recht».
Die meisten Medien in der Slowakei und viele in anderen europäischen Ländern setzten ein gemeinsames Zeichen der Solidarität, indem sie Kuciaks letzte Recherche veröffentlichen. Und indem sie sich zum Ausbau des investigativen Journalismus bekennen. Nun müssen aber auch Exekutive und Justiz ihre Aufgaben erledigen und nicht nur die Täter fangen, sondern die Hintergründe der Taten in der Slowakei und in Malta aufklären.
Die bisherigen Ergebnisse in Malta sind nicht ermutigend: Die Justiz scheint das Verfahren zu verschleppen, politische Konsequenzen gab es nicht. Nun können – nein – müssen die Slowaken zeigen, dass sie besser und schneller sind bei der Aufklärung dieses Kapitalverbrechens. Journalisten haben Einfluss, sie sind die vierte Gewalt im Staat. Aber sie sind machtlos, wenn die anderen Gewalten versagen.
Dieser Artikel wurde automatisch aus unserem alten Redaktionssystem auf unsere neue Website importiert. Falls Sie auf Darstellungsfehler stossen, bitten wir um Verständnis und einen Hinweis: community-feedback@tamedia.ch
Wer die Macht hat, kann mit Worten töten
Wenn Journalisten ermordet werden, geschieht das nie aus heiterem Himmel. Erst werden sie von der Politik für vogelfrei erklärt.