«Wer genauer hinschaut, sieht die Schönheit der Kreisel»
Kennen Sie hässliche Kreisel? Umfrage und ein Gespräch mit Kreiselkenner Kevin Beresford, der sehr gern Runden dreht.
Wir drosseln das Tempo, blicken zur Seite, tuckern hinein. Der Verkehrskreisel ist ein bewährtes Objekt des Alltags. Zugleich sorgt er für heftige Ästhetikdebatten. So wählte die Leserschaft von «24 Heures», «Le Matin Dimanche» und «Tribune de Genève» letzte Woche den hässlichsten Kreisel der Romandie. Auch die Deutschschweiz hat schreckliche Kreisel zu bieten. Kennen Sie einen? Wir freuen uns über Fotos von solchen. Bitte per E-Mail einschicken an: some@tamedia.ch. Oder auf Instagram unter den Hashtags #tagikreisel, #bzkreisel, #bundkreisel oder #bazkreisel.
Zur Vertiefung des Themas haben wir mit Kevin Beresford gesprochen, dem Präsidenten der UK Roundabout Appreciation Society, die auf der ganzen Welt Kreisel begutachtet. Beresfords Kreiselkalender verkauften sich über 100'000-mal, auch seine Kreiselbücher sind beliebt. Der 66-Jährige ist regelmässig Gast in britischen Medien, von der BBC bis zum «Guardian». Das Gespräch mit ihm gestaltete sich schrullig und heiter. «Very british» eben.
Die Westschweiz hat gerade ihren hässlichsten Kreisel gewählt ...
… hässliche Kreisel? Entschuldigen Sie, aber so was gibt es nicht. Kreisel sind eine geniale Erfindung, und sie sind wunderschön. Ich habe auf der ganzen Welt viele gesehen, und ich habe keinen einzigen hässlichen gefunden. Und was kann man nicht alles hineinplatzieren: Blumen und Boote, selbst ganze Züge, Flugzeuge, Kirchen und Windmühlen. Alles passt in einen Kreisel hinein. Kreisel erfrischen unsere Sinne auf langen, ermüdenden Reisen. Den hässlichsten Kreisel der Romandie zu suchen, ist – offen gesagt – eine gehörige Beleidigung. Das ist, als würde man die hässlichste Frau der Romandie suchen.
Ihr Verhältnis zu Kreiseln scheint nachgerade erotischer Natur zu sein.
Kann man so sagen, ja. Wir von der Society haben jüngst den internationalen Kreisel des Jahres bestimmt. Er liegt in Schweden, in einem Kartoffelfeld. Viele sagten, er sei ein hässlicher Kreisel. Wir von der Society sehen das komplett anders: Der schwedische Kartoffelkreisel ist sonderbar, herrlich, humorvoll.
Aber was sagen Sie jetzt zum hässlichsten Verkehrskreisel der Romandie?
Nun, er ist herrlich. Riesenameise auf nacktem Stein, darauf muss man erst mal kommen. Je genauer man hinschaut, desto klarer wird: Das ist ein perfekt designter, zugleich schrulliger, also ziemlich cleverer Kreisel.
Welches ist Ihr persönliches Lieblingsexemplar?
Ich liebe den Magic Roundabout in Swindon. Hier geht der Verkehr in beide Richtungen, ein Heidenspass für Kreiselliebhaber. Der grossartige Arc de Triomphe ist ja letztlich auch nur ein Kreisel mit zwölf Ausgängen. Solche Riesenkreisel nennen wir «Gyratory Galacticos». Ein anderer Kreisel, der mir sehr gefällt, ist der «Duckingham Palace» in Otford, Kent. Hat einen echten Ententeich drin. Ja, schrullige Kreisel gefallen mir eigentlich am besten.
Der Magic Roundabout in Swindon.
Kreisel sind für Tiere heikel.
Die Insel ist oft ein Refugium. Ich habe Verkehrskreisel gesehen, in denen Hasen lebten, sogar Hühner. Wir dürfen nicht vergessen, wie gut der Kreisel zu Lebewesen aller Art ist. Eine jüngst veröffentlichte Studie in den USA zeigt, dass ein Kreisel im Vergleich mit einer mit Ampeln bestückten Kreuzung 90 Prozent weniger schwere Unfälle aufweist. Wenn ich sage, dass mein Werben für die Wertschätzung des Kreisels die Mission meines Lebens ist, dann sage ich das nicht nur zum Spass. Mehr Kreisel bedeuten weniger Tote und Verletzte im Verkehr.
Aber Ampeln scheinen Sie nicht zu mögen.
Ampeln sind faschistisch. Es ist kein Zufall, dass wir Briten die Kreisel schätzen. Hier lässt man sich gegenseitig den Vortritt, man bleibt freundlich. Es geht um Etikette. Und niemand befiehlt einem, wann man fahren muss und wann nicht. Manchmal verbieten einem diese diktatorischen Geräte – die Ampeln – das Fahren, obwohl sonst weit und breit keiner da ist an der Kreuzung. Ausserdem brauchen Ampeln Strom und müssen gewartet werden. Der Kreisel genügt sich selbst.
Für manche sind Kreisel bloss Platzverschwendung.
Aber bitte. Wie können Sie so etwas sagen? Ist denn ein Garten Platzverschwendung? Oder ein schönes Kunstwerk? Das ist doch keine Platzverschwendung. Wer etwas genauer hinschaut, sieht die Schönheit der Kreisel. Die Leute dazu zu bewegen – darin besteht meine Aufgabe als Präsident der UK Roundabout Appreciation Society. Ich will die Leute für das Karma des Kreisels sensibilisieren. Der Kreisel hat seine Philosophie.
Philosophie?
What goes around comes around. Jeder im Kreisel ist auf seiner eigenen Reise. Jeder bestimmt, wann und wo er eintritt und wieder rausfährt. Nicht so wie bei der Ampel, die uns herumkommandiert.
Ein gefährliches Erlebnis hatten Sie nie in einem Kreisel?
Nie. Kürzlich bin ich mit dem Velo drei Stunden lang im Magic Roundabout von Swindon herumgefahren, für ein Videoteam. Um zu beweisen, dass man sich auch in einem stark befahrenen, komplizierten Kreisel sicher bewegen kann. War recht anstrengend, aber passiert ist mir nichts. Aber klar, für Velofahrer kanns manchmal heikel werden. Dann besser absteigen und laufen. Oder auf die Lösung der Chinesen warten. Die haben Velowege über den Kreiseln.
Das Autoland USA hingegen scheint sich nur langsam mit dem Verkehrskreisel anzufreunden. Woher kommt diese Abneigung?
Seltsam, nicht? Ich habe die Theorie, dass die seltsame Angst der Amerikaner vor dem Kreisel mit dem Film «National Lampoon's Vacation» zusammenhängt. Im Film gibts eine Szene, in der eine amerikanische Familie in London in einen Kreisel hineinfährt – und dann nicht mehr herauskommt. Auch die Simpsons bleiben einmal in einem Kreisel hängen. Das wird sie wohl eingeschüchtert haben, die Amerikaner.
Und Sie? Fahren Sie manchmal auch im Kreis?
Klar, zum Vergnügen. Wenn Sie in einer fremden Stadt sind und nicht wissen, was Sie anfangen sollen: einfach den nächstbesten Kreisel suchen, hineinfahren. An einem Sommertag war ich in einem Kreisel, dessen Insel mit Löwenzahn bepflanzt war. Beim Fahren flogen mir die Schirmflieger der Blumen zu. Ich drehte fünf Runden, sechs Runden. Ich konnte den Kreisel fühlen, herrlich.
Wie hat Ihre Leidenschaft eigentlich angefangen?
2003 veröffentlichte ich meinen ersten Kalender mit Kreiseln: «Roundabouts of Redditch». In Redditch habe ich ja meine Papeterie. Es war als Witz gedacht, aber die Rückmeldungen waren überwältigend. Und so vertiefte ich mich allmählich in die Finessen und die Schönheit dieser Objekte. Es folgten Kalender über die schönsten Kreisel in England, der Welt ...
Was ist mit der Kreiselkunst? Die wirkt ja nun oft etwas unbeholfen.
Wenn Andy Warhol noch leben würde, würde er eine riesige Suppendose auf einer Kreiselinsel platzieren. Grossartige Künstler veredelten immer schon eher banale Objekte wie eben den Kreisel.
Sie selber sehen die Welt wie ein Lyriker der deutschen Romantik: Überall entdecken Sie Schönheit.
Klar. Was könnte ein gut befahrener Kreisel anderes sein als pure Poesie in Bewegung?
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