Wer nicht Nein sagt, ist Organspender
Künftig sollen Organe entnommen werden dürfen, wenn kein Widerspruch vom Verstorbenen oder von Angehörigen vorliegt.

Der Bundesrat will die Organspende erleichtern und damit die Zahl der Spenderorgane deutlich erhöhen. Denn jedes Jahr sterben in der Schweiz Menschen, weil sie nicht rechtzeitig zu einem Organ kommen. Letztes Jahr war dies bei 68 Menschen der Fall. Rund 1400 Patienten standen 2018 auf der Warteliste für eine Transplantation.
Die Transplantationsmediziner und nun auch der Bundesrat sehen den Grund für die im internationalen Vergleich relativ geringe Spenderate in der gesetzlichen Hürde begründet. Heute gilt in der Schweiz die Zustimmungslösung: Ärzte dürfen einem Verstorbenen nur Organe entnehmen, wenn er oder seine Angehörigen ihre Zustimmung gegeben haben. Ein Komitee aus Ärzten und Politikern aller Couleur hat deshalb die Volksinitiative «Organspende fördern – Leben retten» eingereicht. Die Initiative fordert die Widerspruchslösung: Künftig gälte jeder Mensch nach seinem Tod als Organspender – ausser er oder sie hat sich zu Lebzeiten explizit dagegen ausgesprochen.
Berset setzt sich durch
Der Bundesrat stellt sich hinter das Anliegen, will jedoch das Widerspruchsrecht der Angehörigen hinzufügen. Deshalb plant er einen indirekten Gegenvorschlag auf Gesetzesstufe. Bei dieser erweiterten Widerspruchslösung müssen die Angehörigen des Verstorbenen wie heute zwingend einbezogen werden. Sie können eine Organspende ablehnen, wenn dies dem Willen des Verstorbenen entspricht. Offen liess der Bundesrat gestern, ob die Angehörigen die Ablehnung mit einem Dokument belegen müssen. Anzunehmen ist, dass eine Weigerung mit Verweis auf den Willen des Verstorbenen ausreicht.
Mit der Widerspruchslösung hat sich im Bundesrat Gesundheitsminister Alain Berset (SP) durchgesetzt. Gemäss Recherchen von Tamedia war der Entscheid umstritten, wobei die Fronten nicht entlang der Parteigrenzen verliefen. So haben laut zuverlässigen Quellen Simonetta Sommaruga (SP) und Karin Keller-Sutter (FDP) gegen den Systemwechsel opponiert. CVP-Bundesrätin Viola Amherd dürfte hingegen die Widerspruchslösung befürwortet haben. Zumindest hat sie diese vor einigen Jahren im Parlament unterstützt. Erfahrungen in anderen europäischen Ländern zeigten, dass die Spendezahlen mit der Widerspruchslösung anstiegen, begründet der Bundesrat seinen Entscheid. Das vorhandene Spendepotenzial könne mit einem Systemwechsel besser ausgeschöpft werden. Der Bundesrat verweist wie die Organisation Swisstransplant darauf, dass immer mehr Länder in Europa die Widerspruchslösung einführten. Diese Regelung gilt etwa in Österreich, Frankreich, Italien, Spanien, Portugal, Belgien und den Niederlanden.
Der Bundesrat will bis im Herbst den Gesetzestext in die Vernehmlassung geben. Sollte sich das Parlament hinter die Widerspruchslösung stellen, dürften die Initianten ihr Begehren zurückziehen. Swisstransplant-Direktor Franz Immer begrüsst den Bundesratsentscheid. Der Einbezug der Angehörigen sei in der Initiative nicht explizit erwähnt, für das Initiativkomitee sei jedoch klar, dass die Angehörigen befragt werden müssten.
Ohne Volksabstimmung?
Kritik meldet die Ethikerin Ruth Baumann-Hölzle an. «Die Widerspruchslösung nimmt in Kauf, dass Menschen Organe entnommen werden, auch wenn sie dies nicht wollen.» Der Staat habe jedoch die Aufgabe, den Menschen vor Eingriffen zu schützen, sagt Baumann-Hölzle. Künftig müsse sich das Individuum wehren, wenn seine Organe nach seinem Tod nicht genutzt werden sollten. Baumann-Hölzle sieht zudem die Gefahr, dass sich die Angehörigen in einer ohnehin schon schwierigen Situation zur Wehr setzen müssten, falls der Verstorbene seinen Willen nicht dokumentiert habe. Politisch heikel findet die Ethikerin die Absicht des Bundesrats, den Paradigmenwechsel ohne Verfassungsänderung und nur mit einer Gesetzesänderung zu vollziehen. Falls keine grosse Organisation das Referendum ergreife, werde sich das Volk zu einer derart grundlegenden Frage gar nicht äussern können.
Die Widerspruchslösung entlaste sowohl Angehörige wie auch Spitalpersonal, sagt hingegen Franz Immer. Heute müssten sich die Angehörigen in einer schwierigen Situation die schwierige Frage stellen, ob sie Organe zur Spende freigeben sollten, wenn der Verstorbene seinen Willen nicht geäussert habe. Künftig könnten sie in einer solchen Situation davon ausgehen, dass der Verstorbene damit einverstanden gewesen sei. Klar sei aber, dass eine Weigerung der Angehörigen auch künftig akzeptiert werde, ausser es liege eine ausdrückliche Erlaubnis des Verstorbenen vor.
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