Werbefreie Städte – ein Trend erreicht die Schweiz
In São Paulo oder Grenoble wurde Aussenwerbung bereits verboten. Wo es nun auch hierzulande solche Vorstösse gibt.

Seit geraumer Zeit gibt es politische Bestrebungen, die Aussenwerbung in den Städten einzuschränken oder gar zu verbieten. Ihren Ursprung hat die Bewegung in der brasilianischen Grossstadt São Paulo, wo 2007 der damalige bürgerliche Bürgermeister Gilberto das «Gesetz der sauberen Stadt» umsetzte und damit Aussenwerbung vollständig verbot. Darauf verschwanden innert Jahresfrist 15'000 Werbeplakatwände und 300'000 grosse Ladenfront-Beschriftungen. In den USA sind seit Jahrzehnten Bundesstaaten wie Alaska, Hawaii, Maine oder Vermont frei von Aussenraumwerbung. In Europa entschloss sich 2014 Grenoble in Frankreich als erste Stadt zu diesem Schritt. In der französischen Alpenstadt wurden 326 Anzeigetafeln entfernt, weil «unsere Bewohner den öffentlichen Raum selber gestalten möchten», sagte damals der grüne Stadtpräsident.
Mittlerweile ist der Trend auch in der Schweiz angekommen. In der Stadt Luzern reichte die SP/Juso-Fraktion Ende November die Interpellation «Wie viel Werbung erträgt Luzern?»ein. Insbesondere im Stadtraum komme die nahezu allgegenwärtige Werbung oft «laut, also gross und bunt» daher, heisst es im Vorstoss. Die Interpellanten verlangen deshalb, dass gerade «in einer stark auf den Tourismus ausgerichteten Stadt wie Luzern mit dem Erscheinungsbild sorgfältig umzugehen» sei. Unter anderem wollen die Genossen wissen, wie die Stadtregierung zu Schutzzonen nach dem Vorbild Hamburgs stehe und welche positiven respektive negativen Auswirkungen der Stadtrat bei einem kompletten Werbeverbot sehe. Der Stadtrat hat bis nächsten Mai Zeit, darauf zu antworten.
Luzerner SP stört sich am «Wildwuchs»
Simon Roth, Grossstadtrat und Vizepräsident SP Stadt Luzern, hat die Interpellation als Erstunterzeichner eingereicht. Ihn stört vor allem der Wildwuchs auf privatem Grund, auf welchem ein Grossteil der Plakatflächen steht. «Im Unterschied zur Werbung auf öffentlichem Grund erhält die Stadt hier keine Entschädigung, obwohl diese ebenfalls primär den öffentlichen Raum bespielt.» Zukünftig würden wohl vermehrt digitale Werbeflächen zum Einsatz kommen, die das städtische Erscheinungsbild noch stärker als die bisherige Plakatwerbung beeinflussen. «Wir wollen deshalb, dass Luzern zumindest nach dem Vorbild Zürichs die Aussenwerbung klar regelt und womöglich einschränkt», sagt Roth. Ein komplettes Verbot komme aber für ihn nicht infrage.
Seit 2016 darf die Clear Channel Schweiz AG in Luzern Werbung auf öffentlichem Grund bewirtschaften, vorher war es die Allgemeine Plakatgesellschaft APG/SGA, die nun nur noch Plakate auf privatem Grund schaltet – und deshalb von einer Neuregelung direkt betroffen wäre. Dazu sagt Sprecherin Nadja Mühlemann: «Werbeverbote widersprechen dem verfassungsmässigen Recht auf Wirtschaftsfreiheit.» Sie verweist zudem auf eine Studie im Auftrag der APG/SGA, wonach die Deutsch- und Westschweizer Werbung am liebsten auf Plakaten mögen würden. «Von den 1028 befragten Personen fanden 81 Prozent Plakate sympathisch oder sehr sympathisch», so Mühlemann. Schliesslich habe die APG/SGA bereits als Folge eines von der Stadt Luzern im Jahre 2012 eingeführten Plakatierungskonzepts die Fläche der Plakatträger auf rund 1300 Quadratmeter reduziert. Dabei wurde auf bedeutende bauhistorische Plätze und Gebäude Rücksicht genommen. Von «Wildwuchs» könne also keine Rede sein.
Genfer Initiative für Werbeverbot
In Genf ist Anfang November die kommunale Initiative «Genève zéro pub» mit den benötigten 4000 Unterschriften zustande gekommen. Sie will wiederum im Stadtzentrum kommerzielle Werbung auf öffentlichem Grund vollständig verbieten. Zudem müssten Plakatwände von den Trottoirs entfernt werden, was vor allem Menschen mit Behinderung das Leben erleichtern soll. Obwohl die Plakatwerbung für Städte eine wichtige Einnahmequelle ist, betrachten die Initianten sie als «visuelle Verschmutzung».
Gegenüber Swissinfo.ch erklärte Lucas Luisoni vom Verein Réseau Objection de Croissance Genève, dass man Fernsehen oder Radio ausschalten könne, aber vor kommerzieller Werbung im Aussenraum könne man nicht einfach die Augen verschliessen. Luisoni und seine Mitstreiter wollen, dass die Genfer über die Rolle der Werbung in der Gesellschaft nachdenken und darüber, wie sie die Kontrolle über städtische Räume wieder erlangen können.
Hinter der Initiative stehen die Grünen, sie wird auch von der SP und den Linksaussen-Parteien unterstützt. Die Plakate sollen anstatt der kommerziellen Werbung künftig den lokalen und karitativen Organisationen sowie der Kultur zur Verfügung stehen. Auf weissen Plakatflächen soll sich zudem die Bevölkerung austoben können, wie das Anfang 2017 der Fall war, als sich wegen einer Konzessionsänderung viele Genfer Plakatwände in Kunstwerke verwandelten.
Werbebranche macht sich grosse Sorgen
Naturgemäss hält sich die Begeisterung in der Werbebranche für das Volksbegehren in engen Grenzen. Olivier Chabanel, der bei der APG/SGA für die Anzeigenumsätze in der französischsprachigen Schweiz zuständig ist, sagte Ende August Swissinfo.ch: «Wir machen uns grosse Sorgen wegen der Initiative, denn sie sendet ein gefährliches Signal aus.» Der Grafik- und Drucksektor mit den vielen Beschäftigten sei für die französischsprachige Schweiz sehr bedeutend. Ein anderer Branchenvertreter kritisierte, dass die Initiative ihr Ziel nicht erreichen würde, da nur 470 öffentliche Werbeflächen von insgesamt 3700 betroffen wären. Der Genfer Stadtpräsident und Bauchef Rémy Pagani (Linke Alternative) hat sich im Sommer gegen die Initiative ausgesprochen.

Der Dachverband der kommerziellen Kommunikation, KS/CS Kommunikation Schweiz, zeigt sich erstaunt über «derartige politische Aktivitäten», die die Werbung letztlich als etwas prinzipiell Negatives und Unerwünschtes darstellen würden. «Das geht weit über den verständlichen Ärger hinaus, den zum Beispiel aggressive Werbeanrufe auslösen», sagt Sprecher Thomas Meier. «Wie sonst sollen sich die Konsumentinnen und Konsumenten über neue Produkte informieren?»
Zudem wäre ein Werbeverbot für Plakatstellen auf privatem Grund folgenschwerer als ein Verbot auf öffentlichem Grund. In Genf seien zum Beispiel nur gerade 10 Prozent der Plakatstellen auf öffentlichem Grund. Zur Luzerner Interpellation sagt Meier: «Letztlich wird diese Interpellation darin münden, dass zumindest ein teilweises Verbot für Werbung auf privatem Grund angestrebt wird.» Das könne der Verband in keiner Weise unterstützen und zudem widerspreche es auch den Eigentumsrechten der jeweiligen Immobilienbesitzer und der Wirtschaftsfreiheit der Werbeauftraggeber.
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Alan Cassidy und Philipp Loser blicken zurück
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