Weshalb die Briten gute Deutsche sein wollen
Grossbritannien setzt seit Jahrzehnten wirtschaftlich vor allem auf Finanzdienstleistungen - und ist damit in der Krise baden gegangen. Jetzt will das Land zurück zu altem industriellem Glanz.

Die Briten haben die Dampfmaschine erfunden und den Dosenöffner, die Sonnenbrille und Präzisionsbohrer - das war im 18. und 19. Jahrhundert. Der Erfindergeist schien lange verflogen, vielmehr prägten Schlagzeilen über raffgierige und windige Banker das Bild Grossbritanniens.
Der Hang zum Buchgeld führte das einst stolze Land in seine vielleicht schwerste Krise. Fünf Jahre nach dem Ausbruch der Finanzkrise ist Grossbritannien, die drittgrösste Volkswirtschaft in der EU, wieder auf dem aufsteigenden Ast. Das Land besinnt sich dabei auch auf seine industriellen Wurzeln - und folgt deutschen Vorbildern.
«Wir versuchen, gute Deutsche zu sein»
«Wir versuchen, gute Deutsche zu sein», sagt Wirtschaftsminister Vince Cable mit einer Mischung aus Ernsthaftigkeit und Augenzwinkern im Interview mit der Nachrichtenagentur dpa. Grossbritannien will seine Wirtschaft besser ausbalancieren, wieder mehr industrielle Produktion ins Land holen.
Mehr als 70 Prozent der Wirtschaftsleistung auf der Insel werden derzeit vom Dienstleistungssektor generiert, nur elf Prozent vom produzierenden Gewerbe. In Deutschland liegt dieser Anteil mit 20 Prozent fast doppelt so hoch.
Mühsamer Weg zurück
Die De-Industrialisierung der 1980er und 1990er Jahre, begonnen unter dem Diktat der «Eisernen Lady» Margaret Thatcher, hat es möglich gemacht. Der den Liberaldemokraten angehörende Cable nennt das «einen furchtbaren strategischen Fehler».
«Die Politiker in dieser Zeit waren besessen von Banken und Finanzdienstleistungen und glaubten, das Land könnte von der Londoner City leben», sagte der 70-Jährige, dessen Partei als Juniorpartner mit den Konservativen von Premierminister David Cameron eine Koalition bildet.
Umso mühsamer ist der Weg zurück zur Industrienation. Grossbritannien hat Jahre des Leidens hinter sich. Das Land ist hoch verschuldet, unter anderem weil es in der Finanzkrise riesige Banken wie die Royal Bank of Scotland mit Milliardenspritzen vor dem Untergang bewahren musste.
Die Wirtschaftsstruktur ist doppelt einseitig. Die britische Wirtschaft setzte bisher auf Dienstleistungen und auf den Grossraum London, ganze Regionen etwa im Norden Englands gelten als bettelarm.
Umschwung zeichnet sich ab
Nach Jahren des Darbens ist Grossbritannien jetzt plötzlich wieder da. Knapp zwei Prozent wird die Volkswirtschaft in diesem Jahr wachsen, im nächsten Jahr sollen es sogar 2,4 Prozent werden, vom «Wachstumsmotor» in Europa ist sogar schon die Rede. «Wir sind auf dem richtigen Weg, aber noch nicht über den Berg», sagt Finanzminister George Osborne etwas vorsichtiger.
Zu der günstigen Entwicklung hat eine Erholung der Londoner City beigetragen. Aber auch mehr und mehr wieder das produzierende Gewerbe - auch wenn dort noch immenser Aufholbedarf herrscht. Grossbritannien exportierte 2012 mehr in die Republik Irland als in die BRIC-Staaten Brasilien, Russland, Indien und China zusammen. Das Aussenhandelsdefizit erreichte im vergangenen Jahr mit 59,2 Milliarden Pfund ein Rekordhoch.
Wiederauferstehung der Autoindustrie
Doch die Zeichen stehen auf Umschwung. Zum Beispiel in der Autoindustrie: Die britischen Autofabriken waren in den 1990er Jahren völlig heruntergewirtschaftet - veraltet und unproduktiv. Die Absätze der Fahrzeuge dementsprechend. Die Briten holten sich fremdes Know-How und Geld ins Land - und schafften die Wiederauferstehung.
Insgesamt acht Milliarden Pfund, sagt Wirtschaftsminister Vince Cable, fliessen in den kommenden Jahren in die britische Autoindustrie. Vor allem der Absatz der Luxusfahrzeuge made in Britain, etwa Jaguar, Rolls Royce oder der VW-Tochter Bentley, boomt. Abnehmer in den USA, zunehmend aber auch in China und Russland setzten auf die teuren Qualitätsprodukte aus Old England.
Fehlender Nachwuchs
Eines der grössten Probleme ist für die britischen Industriebetriebe, Nachwuchs zu generieren. «Wir sind verzweifelt auf der Suche», sagt Wirtschaftsminister Cable. Vor allem bei Ingenieuren fehle es an allen Ecken und Enden. In vielen Fällen wird nun die duale Berufsausbildung ausprobiert, wie sie etwa in der Schweiz und in Deutschland praktiziert wird.
SDA
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