Weshalb dieses Foto Berset in Afrika zum Helden machte
Der Bundespräsident setzte sich in New York auf ein Trottoir und las seine Notizen durch. In Afrika wird er damit zum politischen Vorbild.
Während Bundespräsident Alain Berset (SP) letzte Woche in New York an der UNO-Vollversammlung teilnahm, setzte er sich in einer Pause kurz auf den Randstein eines Trottoirs vor dem UNO-Hauptquartier. Er vertiefte sich dort offenbar in seine Notizen und wurde prompt von einem Keystone-Fotografen dabei abgelichtet.
In der Schweiz sorgte das Foto bisher nicht für Aufsehen. Vielleicht, weil Bundesräte sich gerne volksnah geben und das Bild daher nicht überrascht. Auch die ehemalige BDP-Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf wurde schon auf dem Boden sitzend abgelichtet.
Vielleicht aber auch, weil solche Bilder hierzulande schnell als inszeniert gelten. Ein Vorwurf den sich auch CVP-Bundesrätin Doris Leuthard anhören musste, nachdem sie sich vor wenigen Wochen in einem Intercity auf der Treppe sitzend hatte ablichten lassen. Von einem SRF-Mitarbeiter. Auf dem Weg in die SRF-Arena.

Ein Pressesprecher von Bersets Innendepartement erklärt auf Anfrage, wie es zum Trottoirbild kam. Das Foto sei zufällig entstanden, als Berset nach dem Bloomberg-Panel über Migration einen kurzen Moment Zeit hatte, um sich auf das nächste Panel über nicht übertragbare Krankheiten vorzubereiten. «Er war viel drinnen und wollte rasch an einem ruhigen Ort etwas Luft schnappen», erklärt Pressesprecher Markus Binder. «Deshalb ging er nach draussen an den East River vor der UNO. Weil die Bank in der Sonne stand, setzte er sich auf den Randstein.»
Ein Fotograf der Schweizer Agentur Keystone sah die Szene und drückte ab. Der Keystone-Fotograf habe den Bundespräsidenten auf dieser Reise begleitet, um gewisse Auftritte festzuhalten, erklärt Binder die Anwesenheit des Fotografen.
Bild geht auf sozialen Medien viral
Während es in der Schweiz kaum Beachtung für den am Boden sitzenden Bundespräsidenten gab, schlug das Bild in Afrika hingegen hohe Wellen. Auf Facebook und Twitter verbreitete sich das Bild ebenso rasant, wie sich die Geschichte dazu änderte.
Vom Fakt, dass Berset auf dem Boden sitzend seine Notizen durchliest, wurde schnell die Geschichte des bescheidenen Schweizer Bundespräsidenten. Zudem wurden seine Führungsqualitäten hervorgehoben, welche sich in diesem Foto für einige Twitterer offenbaren. Das Bild zeige das Bild eines Mannes, der seinem Dienst verpflichtet sei, nicht seinem Status, schrieb eine Frau aus Kenia.
Ein Landsmann erinnerte sich beeindruckt, dass Berset bei seinem Kenia-Besuch im Juli sogar einen Tweet in Suaheli absetzte und nun erneut zeige, dass er seine staatsmännischen Pflichten verstehe.
Dann kippten die Beschreibungen des viralgehenden Fotos langsam von der Lobpreisung Bersets zum Bashing der eigenen Politiker. Kenianische Politiker würden erst gar keine Notizen haben, die sie durchlesen könnten, schreibt ein junger Kenianer auf Twitter.
Auf Facebook verglich ein Nutzer Berset mit dem ugandischen Präsidenten Museveni, der auf einer viel befahrenen Strasse den ganzen Verkehr aufgehalten haben soll, um in Ruhe ein Telefongespräch zu führen.
Aus den sozialen Medien gelangte das Bild auch an die Presse, welche die Story aufnahm und so für weitere Verbreitung sorgte.
Und dann zeigte sich, wie schnell aus einem Foto Fake News werden können. Ein erst vor kurzem in Nairobi aktiv gewordenes Twitter-Konto schrieb, dass die afrikanischen Präsidenten in Luxushotels gewohnt hätten und in riesigen Fahrzeugkolonnen zum UNO-Hauptquartier gekarrt wurden. Der Schweizer Bundespräsident habe stattdessen für sich und seine Delegation eine kleine Wohnung gemietet und dort selber gekocht. Er sei von dort zu Fuss zur UNO gegangen, ergänzte ein weiterer Twitterer aus Malawi.
Die afrikanischen Tweets entdeckt hat das Nachrichtenportal «Watson», welches den Wahrheitsgehalt der Behauptungen beim Innendepartement abklären liess. Der Mediensprecher liess ausrichten, dass die Darstellung falsch sei. Berset habe in einem Hotel gewohnt und auch dort oder bei Treffen mit anderen Regierungsvertretern gegessen.
Offenbar nicht erfunden war aber der spazierende Berset. Gemäss dem Mediensprecher ging der Bundespräsident auch mal zu Fuss vom UNO-Hauptsitz zurück zum Hotel.
Zu der viralen Verbreitung des Bilds in den sozialen Medien und seinem Heldenstatus in Afrika sagt der Bundespräsident übrigens: nichts. So richtet es EDI-Pressesprecher Binder auf Anfrage aus. Es gebe nichts dazu zu sagen.
Im Zug nach Philadelphia
Weitere Nahrung für sein Image als auf dem Boden gebliebener Politiker lieferte der Bundespräsident auf Twitter gleich selber. Er machte sich nämlich nicht etwa mit dem Flugzeug oder einer Limousine auf den 150 Kilometer langen Weg nach Philadelphia, sondern mit dem Zug, wie sein Beweisbild zeigt, für das er in den Kommentaren viel Lob erhält:
Mit Amtrak dauert die Fahrt von New York nach Philadelphia übrigens je nach Verbindung zwischen 70 und 90 Minuten. Mit dem Auto ist man je nach Verkehr zwei bis drei Stunden unterwegs, unter Umständen also doppelt so lange. Die reine Flugzeit wäre mit 40 Minuten zwar kürzer, von Manhattan aus muss aber ebenfalls mit rund einer Stunde Fahrzeit zum Flughafen JFK oder Newark gerechnet werden.
Nach Philadelphia reiste Berset übrigens für einen Vortrag. Zu einem Thema, das zu dem passt, was in Afrika mit seinem Foto passiert ist: Fake News.
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