Wie China zu alter Handelsgrösse zurückfinden will
Wo einst Stoffe auf Kamelen Richtung Westen schaukelten, rollen nun Güterwagen. China will die Globalisierung mitgestalten.

Wenn der Pekinger Himmel sich plötzlich in seinem brillantesten Blau zeigt, wenn tagelang viele Kilometer Autobahngeländer von Hand geschrubbt werden, wenn plötzlich übermannshohe psychedelische Blumenarrangements in der Stadt auftauchen und in den Gassen die Zahl der Nachbarschaftsaufpasser mit der roten Armbinde anschwillt – dann ist es mal wieder so weit: Die Kommunistische Partei Chinas (KP) plant einen wichtigen Kongress. Diesmal ist alles noch wichtiger als sonst. Auf einem Schemel in Pekings Oststadt sitzt ein Alter, der ein Hemd trägt mit der Aufschrift «Hauptstadt-Sicherheits-Freiwilliger» und mit dem Zeigefinger ab und zu einen Velofahrer vom Rad befiehlt. «Ein Gürtel, eine Strasse», sagt er ernst, nach dem Grund seines Tuns befragt. «Die Welt schaut auf uns.»
Infografik: Die Seidenstrasse gestern und heute

«Ein Gürtel, eine Strasse» – auf Englisch «One belt, one road» (Obor) – ist der etwas klobige Titel des Forums, zu dem China an diesem Wochenende einlädt. Wer will, darf auch «Neue Seidenstrasse» sagen. Ein Netz von Investitionen und Infrastrukturprojekten, das 65 Länder und fast 70 Prozent der Weltbevölkerung umfassen soll. Kernstück ist ein Wirtschaftsgürtel hinein nach Zentralasien und darüber hinaus. Ein gewaltiges Projekt, eine Idee, die Chinas Herrscher 2013 erstmals vorstellten. Seither entkommt kein Besucher ihren Werbeversuchen. Als der mit Obor noch nicht allzu vertraute bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) am Mittwoch bei Chinas Vizepremier Ma Kai zu Gast war, da eröffnete dieser dem verblüfften Seehofer, wie stolz er sein dürfe, sei doch die Stadt Nürnberg das neue Ende der Seidenstrasse. «Die Information war mir neu», entfuhr es Seehofer später. Den Duisburgern hat man übrigens auch schon gesagt, sie seien das Ende der Seidenstrasse. Und den Istanbulern. Und den Portugiesen.
Forum mit Doris Leuthard
China hat die Welt geladen, es kommen 28 Staats- und Regierungschefs, darunter Wladimir Putin (Russland), Recep Tayyip Erdogan (Türkei) oder Rodrigo Duterte (Philippinen), viele aus Zentral- und Südostasien. Und die Nordkoreaner. Es wird also tendenziell eine Versammlung autokratisch geneigter Führer sein. Aber nicht nur. Aus Burma zum Beispiel wird Aung San Suu Kyi anreisen. Und aus der Schweiz Bundespräsidentin Doris Leuthard.
Wenn die Regierungen der westlichen Welt beim Gipfel ansonsten eher durch Abwesenheit auffallen, hat das auch damit zu tun, dass aus dem ursprünglichen Versuch Chinas, mit Obor seine Überkapazitäten zu exportieren, längst ein sehr politisches Projekt geworden ist. Es ist der bislang ehrgeizigste Versuch Pekings, eine Globalisierung nach seinen Vorstellungen zu formen – und dies zu einer Zeit, in der die USA die globale Kooperation infrage stellen. Jeder chinesische Führer braucht ein grosses Vorzeigeprojekt. Das Obor-Forum nun ist für KP-Chef Xi Jinping so etwas wie seine internationale Krönungsmesse – nur wenige Monate vor dem wichtigen Parteikongress, bei dem Xi zu Hause die Macht neu ordnen und ausbauen möchte.
Das chinesische Wirtschaftsmodell ist an seine Grenzen gestossen, der Export wächst nicht mehr, die Binnennachfrage reicht bei weitem nicht aus, um die von der Führung angepeilten Wachstumsziele zu erreichen. Damit die Wirtschaftsleistung dennoch Jahr für Jahr um mindestens 6,5 Prozent steigt, investiert der Staat selbst und nimmt dabei eine hohe Verschuldung in Kauf. So ist zuletzt ein dichtes Schnellbahnnetz im Land entstanden, neue Flughäfen werden in Rekordzeit errichtet. Nicht alle diese Projekte sind sinnvoll. Brachte früher 1 geliehener Yuan eine Steigerung des Wirtschaftswachstums um 1 Yuan mit sich, sind es heute nur noch 0,4 Yuan. Von einem «abnehmenden Grenznutzen» sprechen Ökonomen: Die erste Brücke über den Fluss ist für die Wirtschaft einer Stadt sehr belebend, die zehnte allerdings ist nur für die Bauindustrie und ihre zuliefernden Staatskonzerne attraktiv.
Jede Woche starten fünf Züge in Zentralchina. Das Ziel: Duisburg.
Der Plan ist nun: Statt Brücken, Flugplätzen und Strassen in China zu bauen, soll in der Ferne betoniert werden. Finanziert mit Geld aus China. Bereits 2014 legte die Regierung in Peking einen Seidenstrassen-Fonds mit 40 Milliarden Dollar an. Geld soll aber auch von der Asian Infrastructure Investment Bank (AIIB) kommen. Die Entwicklungsbank war im Oktober 2014 unter chinesischer Führung ins Leben gerufen worden, auch Deutschland beteiligt sich daran. Ein dritter möglicher Geldgeber ist die New Development Bank der Brics-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika) mit Sitz in Shanghai. Bis zu 1600 Milliarden Dollar könnten bis 2027 in Infrastrukturprojekte fliessen.
China weckt Ängste
Gerade bei ärmeren asiatischen Staaten ist das Interesse gross. Und wenn die Investitionen helfen, Risikostaaten wie Pakistan zu stabilisieren, dann findet das auch anderswo Beifall. Aber noch ist die Stossrichtung vage, klingt vieles beliebig. Einiges steht nur auf dem Papier. Fragwürdige Projekte werden von Chinas Behörden, Provinzen und Unternehmen ziemlich willkürlich mit dem Label «Obor» versehen, weil sie sich davon politisches Wohlwollen versprechen. Jede Woche starten fünf voll beladene Züge in Zentralchina, das Ziel: Duisburg. Allerdings fahren vier dieser fünf Züge leer wieder zurück. Die Seidenstrasse ist bisher vor allem eine Einbahnstrasse.
Und nicht überall wird gejubelt. China weckt auch Ängste. In Sri Lanka zum Beispiel wurde unter dem Seidenstrassen-Label von einem chinesischen Konsortium ein Tiefseehafen ausgebaut. Um die Schulden abzutragen, übertrug die Regierung in Colombo der China Merchants Holdings 85 Prozent der Anteile und ein 99-jähriges Nutzungsrecht. Die Folge: Demonstrationen.
Auch in der EU beklagen manche jetzt schon eine ziemlich unverfrorene Einflussnahme durch China über Obor-Projekte. Ungarn zum Beispiel bekommt von Peking einen Hochgeschwindigkeitszug – und verhindert im Gegenzug nun bei praktisch jeder heiklen EU-Abstimmung zu China-Themen ein einheitliches Vorgehen der Union.
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