Wie die Balten die Rosskur der Griechen überstanden
Immer neue Sparauflagen: In Lettland, Litauen und Estland hat man wenig Verständnis für die Proteste der Griechen. Die Balten mussten tiefe Einschnitte erdulden – und sehen jetzt Licht am Horizont.

Lettland, Litauen und Estland sind Beispiele dafür, wie Staaten eine Wirtschaftskrise mit Hilfe von einschneidenden Sparmassnahmen überwinden können. Die drei baltischen Länder durchlitten während der weltweiten Finanzkrise europaweit die tiefste Rezession, und ihre Bürger mussten die bitteren Pillen schlucken, die nun auch den Griechen verabreicht werden sollen.
Renten, Sozialleistungen und die Gehälter im öffentlichen Dienst wurden gekürzt, die Steuern erhöht. In Lettland, das kurz vor der Zahlungsunfähigkeit stand, wurden tausende Beschäftigte im öffentlichen Dienst entlassen, Schulen und Krankenhäuser geschlossen. Die Rosskur war schmerzhaft, aber sie wirkte. Die drei ehemaligen Sowjetrepubliken sind auf dem Weg der wirtschaftlichen Erholung, und die lettische Regierung, die für die drastischen Einschnitte verantwortlich war, wurde im vergangenen Jahr sogar wiedergewählt.
Verwunderung über Griechen
«Lettland hält viele Lektionen für Griechenland bereit, aber sie kommen alle zu spät», sagt Morten Hansen, Leiter der wirtschaftlichen Fakultät der Stockholm School of Economics (SSE) in Riga. Als wichtigsten Punkt nennt er die schnelle Umsetzung von Sparmassnahmen, bevor die Unterstützung dafür in der Bevölkerung schwindet. «Man kann diese Unterstützung für einige Zeit bekommen, aber nicht für drei, vier Jahre», sagt Hansen. «Jetzt fangen die Leute (in Lettland) an, unzufriedener zu werden, aber das Schlimmste ist jetzt vorbei.»
In den baltischen Staaten, die jahrzehntelang unter sowjetischer Herrschaft standen, reagieren viele Bürger mit Verwunderung auf die Massenproteste in Griechenland. Im Baltikum blieben gewaltsame Proteste aus, mit Ausnahme einiger Zusammenstösse 2009 in den Hauptstädten von Lettland und Litauen, Riga und Vilnius. «Für mich liegt das an kulturellen Unterschieden, wir sehen die Welt einfach unterschiedlich», sagt Marge Tubalkain-Trell aus Estland, die damals ihren Arbeitsplatz verlor und wegen der Einsparungen Schwierigkeiten hatte, die medizinische Behandlung zu bekommen, die sie benötigte. «Wir sind nicht glücklich über die Kürzungen, besonders diejenigen, die direkt darunter leiden, aber wir verstehen, warum wir das tun müssen.»
Auffallende Parallelen
Deimante Doksaite aus Litauen stimmt dem zu. «Die Griechen sind verwöhnt. Stillzuhalten hat uns geholfen, die Krise zu bewältigen», sagt Doksaite, die damals ihren Job als Pressereferentin verlor.
Dabei gibt es auffallende Parallelen zwischen Lettland 2009 und der aktuellen Lage in Griechenland. Damals näherte sich Lettland mit mehr als 300 Prozent fällig werdenden Auslandsschulden als Reserven der Zahlungsunfähigkeit. Viele erwarteten eine Abkehr von der Bindung seiner Währung, dem Lats, an den Euro. Nach Angaben des Internationalen Währungsfonds (IWF) wurde Lettland weltweit am heftigsten von der Wirtschaftskrise getroffen. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) ging um rund 25 Prozent zurück, die Arbeitslosenquote erreichte fast 23 Prozent, die ausländischen Investitionen tendierten gegen Null.
Kürzungen beim Sozialen und den Löhnen
Um die Bedingungen für ein Rettungspaket von IWF, EU und den skandinavischen Staaten in Höhe von 7,5 Milliarden Euro zu erfüllen, kürzte die Regierung die Sozialprogramme drastisch. Drei Viertel aller Arbeitnehmer mussten Lohn- und Gehaltskürzungen hinnehmen, während die Regierung über eine «interne Abwertung» die Bindung an den Euro aufrecht erhielt.
Inzwischen deuten die Indikatoren nach oben. Das BIP stieg im ersten Quartal im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 3,5 Prozent, die Arbeitslosigkeit sank auf etwa 14 Prozent. Das Haushaltsdefizit ging von 9,6 Prozent 2009 auf 7,6 Prozent im vergangenen Jahr zurück. In diesem Jahr erwartet die Regierung in Riga ein Minus von 4,2 Prozent. In Griechenland lag das Defizit 2010 bei 10,5 Prozent.
Kaum Widerstand von Gewerkschaften
Laut Karlis Bukovskis vom Lettischen Institut für internationale Angelegenheiten könnte Griechenland aus dem Krisenmanagement einiges lernen: Die Sparmassnahmen müssten ein festes Ziel haben, es müsse klar sein, dass Kürzungen vorübergehender Natur sind, die Bürokratie müsse zurückgefahren und die Steuerbasis verbreitert werden. Einen wesentlichen Unterschied gibt es aber: Anders als in Griechenland gab es in Lettland kaum Gegenwind von den dort bedeutend schwächeren Gewerkschaften.
Und auch die baltische Erfolgsgeschichte hat Schönheitsfehler. Alle drei Staaten verzeichneten eine Abwanderung gut ausgebildeter Kräfte, die Griechenland bislang nicht traf. In allen drei Staaten schrumpft daher die Bevölkerungszahl, was noch zu wirtschaftlicher Stagnation führen könnte. Und es gibt durchaus auch Dissens: Die Lettin Dita Gaugere etwa, die häufig in Griechenland unterwegs ist, sagt, die Balten seien einfach zu geduldig. «Die Griechen kennen ihre Rechte besser als wir. Wir folgen wie die Schafe, wir vertrauen einfach unseren politischen Führern.»
Talis Archdeacon/ AP
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