Wie ein Mann aus Moçambique in der DDR den Tod fand
Krimi der Woche: Der historische Fall, den Max Annas in «Morduntersuchungskommission» schildert, könnte auch ein aktueller sein.

Der erste Satz
«Und ich sag dir …» Otto drehte sich zur Seite und wartete darauf, dass Bodo den Satz vollendete.
Das Buch
Oktober 1983. An einem Bahnbord zwischen Jena und Rudolstadt wird eine Leiche gefunden: ein «Vertragsarbeiter» aus der «sozialistischen Bruderrepublik» Moçambique. Die Morduntersuchungskommission, kurz MUK, aus Gera nimmt die Ermittlungen auf. Schnell ist klar, dass der Schwarze nicht Opfer eines Unfalls ist. Die Verletzungen deuten auf ein brutales Verbrechen hin.
Max Annas stellt in «Morduntersuchungskommission» einen tatsächlichen Fall aus der DDR der 1980er-Jahre in den Mittelpunkt. Arbeiter aus Afrika lebten da in abgesonderten Quartieren und wurden, ähnlich wie heute mancherorts in Europa, von vielen Eingeborenen geächtet oder gar bekämpft. Aber was nicht sein darf, wird gerne unter den Teppich gekehrt. «Wie sieht das denn aus, wenn einem von denen hier so etwas geschieht?», heisst es. Und so wird von oben verfügt, dass in dem Fall nicht weiter ermittelt wird.
Oberleutnant Otto Castorp, ein an sich systemtreuer Beamter mit Familie in Gera und Geliebter in Jena, dessen Bruder bei der Staatssicherheit arbeitet, versteht den Entscheid der Führung nicht. Er ermittelt selbst weiter – inoffiziell. Und stösst dabei auf eine Gruppe von Neonazis mit Verbindungen in die Bundesrepublik.
«Wer zeigte sich schon so, wie er wirklich war?»
Krimiautor Annas war früher Journalist und pflegte in den Achtzigern vom Westen aus Beziehungen in der DDR. Später lebte er in Südafrika, und in den letzten fünf Jahren hat er sich mit fünf Romanen in die erste Reihe der deutschen Krimiautoren geschrieben. An den nüchtern beobachtenden Stil seiner eindrücklichen Südafrika-Romane «Die Farm» und «Die Mauer» erinnert auch «Morduntersuchungskommission». Annas braucht keine der gängigen Krimi-Tricks – etwa abstruse Wendungen –, um seine Story packend zu halten. Fast dokumentarisch rollt er die Geschichte auf. Nachvollziehbar schildert er den Alltag in dem Land, in dem Abschnittsbevollmächtigte, kurz ABV, darauf achten, dass niemand über die Stränge schlägt. Mit feinen Zwischentönen macht er das soziale und politische Klima im kommunistischen Land spürbar. Fast alle sind vorsichtig bei Äusserungen, die als irgendwie kritisch ausgelegt werden könnten: «Wer zeigte sich schon so, wie er wirklich war?»
Wie die vorherigen Romane von Annas ist «Morduntersuchungskommission» politisch, ohne dabei aber explizit und damit plump zu werden. Einsichten ergeben sich aus der Handlung. Und diese ist gar nicht so historisch, wie man gerne meinen möchte. Als Leser hofft man indes, Oberleutnant Castorp von der MUK in Gera wird wegen seiner Sololäufe nicht abgesetzt, denn das Buch ist als Auftakt einer Serie angekündigt.
Die Wertung
Der Autor
Max Annas, geboren 1963 in Köln, war Musikjournalist, Sachbuchautor und Dokumentarfilmer. Er veröffentlichte Bücher zu Popkultur, Politik und Sport. Längere Zeit lebte er in Südafrika, wo er für die University of Fort Hare in East London an einem Forschungsprojekt über südafrikanischen Jazz arbeitete. In Südafrika spielen auch seine beiden brillant konzipierten Romane «Die Farm» (2014) und «Die Mauer» (2016), deren Handlung sich auf eine Nacht beziehungsweise einen Tag konzentriert. Wie in diesen Werken setzt sich Annas auch in den in Deutschland angesiedelten Romanen «Illegal» (2017) und «Finsterwalde» (2018) mit Rassismus auseinander. Sein neuer Roman «Morduntersuchungskommission» ist als Beginn einer Serie von historischen Krimis, die in der DDR spielen, angekündigt.

Alle weiteren Besprechungen finden Sie in der Collection «Krimi der Woche».
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