Wie Google Handynutzer stalkt
Firmen wie Google nutzen Handydaten immer aggressiver. Das zeigt ein morgendlicher Rundgang durch die Winterthurer Innenstadt.

Ein Stadtzürcher, der am Sonntagmorgen ungestört Zeitung lesen will, fährt beispielsweise nach Winterthur. Die Gefahr eines unerwünschten Small Talks verkleinert sich durch den Ortswechsel um ein Vielfaches. 15 Minuten Zugfahrt reichen zum Eintritt in die Anonymität, in eine Stadt, in der ich kaum Leute kenne.
Doch die vermeintliche Morgenruhe wird ständig gestört. Jemand folgt mir auf Schritt und Tritt, aufsässiger, als dies Freunde oder Bekannte je tun könnten: Sundar Pichai. Besser bekannt als Google-CEO. Sein Sprachrohr ist die App von Google Maps. Ich habe beim Installieren zugestimmt, dass Google aktiv auf meinen Standort zugreifen kann. Ein Fehler, wie sich nun herausstellen sollte.
Um 9.41 Uhr wird die morgendliche Ruhe durch Handy-Vibrieren ein erstes Mal gestört: «Wie hat Ihnen der Besuch im Restaurant Casinotheater gefallen? Bitte geben Sie eine Bewertung ab», meldet der Ortungsdienst von Google Maps. Eine Minute zuvor sass ich noch auf der bequemen Polsterbank, las die «SonntagsZeitung» und beobachtete, wie Casino-Besitzer Viktor Giacobbo seine Aktionäre zum morgendlichen Cüpli und zu Knabberstangen empfing. Ich verzichte auf eine Bewertung, auch wenn der Kaffee vorzüglich war.
Verwackelte Fotos, die niemand sehen will
Die Aufforderung zur Bewertung wird zumeist ohne Wissen der Restaurants durchgeführt. Esther Locher, Marketingleiterin beim Casinotheater, hört davon zum ersten Mal: «Wir haben bei Google keine Einstellung für bezahlte Push-Meldungen.» Das Casinotheater führe keine Zusammenarbeit mit Google für Werbezwecke. Entsprechend profitiert das Lokal auch nicht von den gesammelten Daten. «Wir gehen der Sache nach, damit die aktive Meldung deaktiviert wird», sagt Locher.
Weiter durch die Stadt. Ich schlendere kurz darauf durch die Steinberggasse, als mir ein Graffito auffällt, das ich mit meinem Handy fotografiere. Um 10.14 Uhr meldet der Google-Ortungsdienst: «Gib anderen Reisenden Anregungen. Lade deine Fotos aus Winterthur auf Google Maps hoch.» Das Foto ist ziemlich verwackelt. Ich beschliesse, dass mein Beitrag für den Winterthurer Tourismus kaum förderlich wäre, und verzichte aufs Hochladen.
Um 10.53 Uhr folgt der nächste Google-Maps-Push: «Vielen Dank für Ihren Besuch in der Pizzeria Don Camillo. Geben Sie eine Bewertung ab ...» Die Pizzas von Don Camillo sollen super sein – hat mir einst ein Bekannter erzählt. Ich selbst habe sie noch nie probiert. Auch heute Morgen nicht. Den Push erhalte ich trotzdem, weil ich mich wohl ein paar Minuten zu lang in der Fussgängerzone vor dem Lokal aufgehalten habe.
Der Hunger ist nun geweckt. Ich betrete die Grepery gleich um die Ecke und bestelle eine Crêpe namens «Markus»: Speck, Zwiebeln und Crème fraîche. Um 12.13 Uhr ist der Hunger gestillt, und Google sendet mir die nächste Nachricht: «Vielen Dank für Ihren Besuch in der Grepery ...» Nein!, denke ich leicht verärgert. Auch mein Handyfoto von der delikaten Teigspeise soll der Öffentlichkeit vorenthalten bleiben. Markus Mosimann, Inhaber der Grepery, sagt, dass keine Zusammenarbeit mit Google bestehe. «Mir ist aber aufgefallen, dass seit rund zwei Monaten bei Google viel mehr Bewertungen über uns eingehen.»
Leergefressener Akku
Ich beschliesse, das Handy auszuschalten. Das ist aber nicht mehr nötig. Die automatische GPS-Ortung hat meinen Akku bereits leergefressen. Ich fahre zurück nach Zürich – zum Smalltalken und Handyaufladen.
Google steht mit der Handy-Ortung nicht allein da. Immer mehr Privatfirmen nutzen die Daten für Marketingzwecke. Im vergangenen Dezember sorgte Valora für Aufsehen. Damals wurde bekannt, dass der Kioskbetreiber die Laufwege seiner Kunden aufzeichnet. Ungefragt und mithilfe der Signale, die von den Handys der Passanten ausgehen.
Das Vorgehen von Google wie auch jenes von Valora sind legal, solange der Benutzer die Datenabschöpfung verhindern kann. Dazu muss der Ortungsdienst in den Einstellungen deaktiviert werden, was gewisse Handynutzer bereits überfordert. Die Datenschützer verlangen mehr Transparenz: Wer Daten wolle, müsse aktiv die Erlaubnis der Nutzer einholen, sagte gestern der Eidgenössische Datenschützer Adrian Lobsiger in der SRF-Sendung «10 vor 10».
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