Wie Gott in Genua
Beppe Grillo mischt sich in die Lokalwahl seiner Heimatstadt ein – und beschert damit den Cinque Stelle einen heiklen Präzedenzfall.

Beppe Grillo ist ein feuriger Anhänger der direkten Demokratie, meistens jedenfalls. Sie ist ja auch eine tolle Sache – je direkter, desto besser. Grillos Bewegung Cinque Stelle, Italiens junge und erfolgreiche Protestpartei, wählt ihre Kandidaten für politische Ämter online aus. Sie hat dafür eine Plattform eingerichtet, die den bedeutungsschweren Namen Rousseau trägt. Da kann man sich auch einbringen, wenn man eine Idee für ein neues Gesetz hat oder wenn man das Programm der Partei um eine Novelle ergänzen möchte. Geht ganz einfach, mit schnellen Klicks am Computer. 140 000 Mitglieder haben sich da schon eingeschrieben.
Manchmal hat die direkte Demokratie, die in diesem Fall auch eine Basisdemokratie ist, aber auch ihre Tücken. Es kommt vor, dass die Wähler mit ihren Klicks nicht denjenigen Kandidaten küren, der dem Gründer und charismatischen Guru genehm ist. In Genua war das wieder so, ausgerechnet in Genua: Dort kommt Beppe Grillo her. Dort kennt er alle, dort kennen ihn alle. Genua ist sozusagen «Grillo-Land» und deshalb eine besonders symbolreiche Bühne für die Cinque Stelle.
Ist ein Facebook-Like schuld?
Als den lokalen Mitgliedern unlängst auf Rousseau eine Liste von Bewerbern für Genuas Bürgermeisterwahl vom Juni unterbreitet wurde, entschieden sie sich mehrheitlich für die Geografielehrerin Marika Cassimatis, eine schüchterne Dame mit eher linken Ansichten und Freunden. Grillo hätte lieber Luca Pirondini gehabt. Der ist Tenor an der Oper von Genua, dem Teatro Carlo Felice. Alle wussten um Grillos Präferenz, doch das brachte dem Sänger nicht viel. Vielleicht wählten manche gerade deshalb Cassimatis.
Grillo mochte das Resultat der «Comunarie», wie die Cinque Stelle ihre lokalen Urwahlen nennen, aber nicht anerkennen. Er annullierte sie kurzerhand und entzog der Lehrerin das Parteisymbol. In seinem Blog begründete er vage, Cassimatis habe gegen die Prinzipien der Bewegung verstossen und deren Image beschädigt. «Manche werden das nicht verstehen», schrieb er noch, «doch vertraut mir!» Er berief sich dabei auf seine Rolle als «Garant» der Bewegung, so etwas wie die höchste politische und moralische Instanz. Cassimatis vermutet, dass ihr ein Like bei Facebook zum Verhängnis wurde, der der Parteiführung missfiel.
Droht eine «Lawine von Verfahren»?
Sie bat Grillo um eine Unterredung, der wollte aber nicht reden. Unterdessen lief schon die Ersatzwahl, und zwar unter allen 140'000 Mitgliedern auf Rousseau, national also. Sie wurden gefragt, ob sie einverstanden seien, den Opernsänger ins Rennen zu schicken. Andernfalls, hiess es unheilvoll, würde man diesmal in Genua ganz auf eine Teilnahme an der Gemeindewahl verzichten. Der Tenor oder nichts. Die Basis sagte, wenig überraschend, Ja zu Pirondini. Da beschloss Cassimatis, ihren Rauswurf vor dem Zivilgericht anzufechten. Und die Richter gaben ihr nun recht. Die Statuten der Cinque Stelle, argumentierte das Gericht, erlaubten es Grillo nicht, die Urwahl zu annullieren. Garant hin oder her. So stehe es in den Parteiregeln. Seitdem herrscht Chaos. Cassimatis hält sich jetzt für die legitime und «wahre» Kandidatin der Cinque Stelle – siegreich «über Goliath», wie sie es nannte. Gemeint war damit wohl Grillo. Der wiederum liess ausrichten, die Fünf Sterne liessen sich nicht beeindrucken, Cassimatis sei definitiv out. Wahrscheinlich geht die Partei in Berufung.
Der Vorfall könnte zum heiklen Präzedenzfall werden und eine «Lawine von Verfahren» nach sich ziehen, wie es die Zeitung «La Repubblica» schreibt. Es ist nämlich nicht das erste Mal, dass Grillo eine ihm unliebsame Kandidatur verhinderte. Überhaupt hat es schnell Konsequenzen, wenn der Chef an der Linientreue des Personals zweifelt, mit mehr oder weniger stichhaltigen Gründen. In den vergangenen zwei Jahren wurden 38 Parlamentarier aus der Partei ausgeschlossen. Etliche wundern sich bis heute, was ihnen wohl so viel Ungnade eingetragen haben könnte.
Mit 17 Klicks zur Kandidatur
Hinterfragt wird der gesamte Mechanismus bei der Bestimmung der Kandidaten der Cinque Stelle. Oftmals können sich Politiker ohne jede Erfahrung und dank weniger Klicks auf der Plattform Rousseau um den obersten Verwaltungsposten einer Stadt bewerben. Und da die Cinque Stelle sich in diesen Zeiten des grossen Politikverdrusses überall reichlich Chancen ausrechnen können, die Wahlen zu gewinnen, ist dieser interne Prozess keine Bagatelle.
Im norditalienischen Monza, einer Stadt mit 120 000 Einwohnern, reichten der Jungpolitikerin Doride Falduto 20 Stimmen zur Spitzenkandidatur. Als das Land darüber lachte, zog sie sich zurück. An ihrer Stelle tritt nun der Zweitplatzierte an, Danilo Sindoni, der hatte 17 Stimmen gewonnen. Zur Erinnerung: Virginia Raggi, die Bürgermeisterin von Rom, 3,5 Millionen Einwohner, hatte die «Comunarie» mit 1764 Klicks gewonnen.
In Genua kann es nun sein, dass am Ende zwei Listen der Cinque Stelle an der Wahl teilnehmen werden. Eine mit dem Parteisymbol und eine ohne. Oder beide ohne. Vielleicht zieht sich der Tenor auch zurück. Oder die Lehrerin. Sicher scheint nur zu sein, dass die Fünf Sterne nach dieser Grosskonfusion die Lokalwahl in «Grillo-Land» verlieren werden.
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