Wie Pädophile lernen, keine Täter zu werden
Die Psychologin Monika Egli-Alge arbeitet seit Jahren mit Pädophilen und erklärt, wie eine Therapie aussehen kann.
Frau Egli-Alge, rund um den Fall Rupperswil wurde immer wieder über pädophile Neigungen gesprochen. Wie entsteht denn diese sexuelle Störung?
Man kann dies wissenschaftlich bisher nicht erklären. Klar ist, dass die Störung gegeben ist und lebenslänglich ziemlich stabil bestehen bleibt.
Gibt es denn den typischen Pädophilen?
Nein, die Gruppe der Betroffenen ist äusserst heterogen und zieht sich über alle Bildungsschichten, Altersklassen und Beschäftigungsgrade hinweg. Pädophile können sowohl homo- wie auch heterosexuelle Ausrichtungen haben. Es gibt auch durchaus Frauen, die eine solche Besonderheit entwickeln. Jedoch haben wir hierzu keine Zahlen.
Wie viele Männer mit pädophiler Neigung gibt es denn?
Dies ist nicht eindeutig, da sich viele gar nicht erst outen. International geht man aber davon aus, dass ein Prozent der Männer betroffen ist. Dies ist vergleichbar mit der Anzahl Betroffener bei Schizophrenie. Davon bewegt sich bei 25 bis 40 Prozent das sexuelle Verhalten im kriminellen Bereich.
Heute wurde für Thomas N. eine ambulante Therapie angeordnet. Was könnte ihn erwarten?
Ich kenne den Fall nur aus der Presse, aber wir analysieren normalerweise erstmals die sexuelle Entwicklung und, falls vorhanden, das begangene Delikt einer Person. So können wir besser festlegen, wo die Therapie ansetzen muss. Dabei stellen sich verschiedenste Fragen: «Wie sieht die Art der Pädophilie aus?», «Spricht die Person ausschliesslich auf Kinder an oder auch auf Jugendliche?», «Warum wurde das Delikt begangen?», «Welche Motive waren der Antrieb?» Es ist ein langer Weg, und wir kommen immer wieder auf diese Analyse zurück.
Wie geht es weiter?
Ein zweites Ziel ist es dann, dass der Betroffene seine sexuelle Ausrichtung akzeptiert. Dies ist oftmals äussert schwierig. Die Betroffenen müssen erst lernen zu akzeptieren, dass ihre Sexualität so ist, wie sie ist, ohne Heilungsmöglichkeiten. Bei ihnen dreht sich dann vieles um die Frage nach dem «Warum?», und wie sie damit weiterleben können.
Ein drittes Ziel ist das Risikomanagement. Wie kann ein solches aussehen?
Dazu gehört beispielsweise die Selbstkontrolle. Man muss sich analysieren und eine eigene Schutzbarriere bauen. Das kann beispielsweise bedeuten, dass man sich an der Kasse zum Hallenbad ein Eintrittsverbot erteilen lässt. Es gehört aber auch dazu, dass man merkt, wenn der Leidensdruck grösser wird und man erneut Hilfe suchen muss. Viele Betroffene kommen immer wieder zu uns.
Welche Rolle spielt die Nutzung von Bildern und Videos, auf denen Kinder zu sehen sind, in der Therapie?
Wir schauen in der Therapie keine Videos und Bilder an. Doch loten wir mit den betroffenen Pädophilen die Möglichkeiten aus, wie sie ihre Sexualität leben können, ohne sich straffällig zu machen. Masturbation an sich ist nicht verboten. Doch die Frage ist, welche Bilder die Fantasien auslösen sollen. So sprechen wir dann über Bilder, die nicht kinderpornografisch sind, wie beispielsweise Modekataloge oder Ferienplakate.
Können Pädophile denn wieder ein Sexualleben führen?
Wir erleben viele kreative Lebensentwürfe. Von Personen, die auf Sex verzichten und nur noch masturbieren, bis zu jenen, die mit Fantasien in Beziehungen arbeiten.
Haben Sie ein Beispiel?
Lassen Sie mich eine Bewältigungsstrategie schildern: Ein Betroffener steht klar auf vorpubertäre Mädchen. Gleichzeitig ist er seit zehn Jahren mit einer Frau verheiratet, die nichts von seiner Ausrichtung weiss. Doch nun gibt es Regionen am Körper seiner Frau, die ihn antörnen und an ihr Mädchenhaftes erinnern – beispielsweise die Arme und der Rücken. Während der physischen Intimität streichelt der Mann nun genau diese Stellen und fördert so seine Erregungskurve, ohne dass er an kleine Mädchen denkt. Jedoch kann er so keinen Orgasmus auslösen. So greift er in diesem Moment auf die Fantasie an ein Mädchen zurück.
Kommt es denn Ihrerseits zu Anzeigen?
Wird beispielsweise zu Kinderpornografie masturbiert, dann nehmen wir klar Haltung an und teilen den Personen mit, sie sollen damit aufhören, ohne dass wir Anzeige erstatten. Besteht aber die Gefahr eines Übergriffs, dann behalten wir uns vor, Strafanzeige zu machen.
Gibt es auch Fälle, in denen Sie die chemische Kastration empfehlen?
Wir hatten bisher nur im Gefängnissetting damit zu tun. Die Betroffenen waren häufig Personen mit geistigen Behinderungen, bei denen andere Kontrollinstanzen nicht mehr möglich waren. Das Problem bei der chemischen Kastration ist, dass die Fantasien trotz Medikamenten bleiben und sich der Trieb somit nicht ganz unterdrücken lässt.
Ab wann gilt jemand denn als therapiert?
Wie lange eine Therapie dauert, ist äusserst individuell und kann bis zu fünf Jahre oder länger dauern. Eine Person, die freiwillig in die Therapie kommt, kann ich mit gutem Gewissen entlassen, wenn ich weiss, dass sie ein funktionierendes Risikomanagement hat, das im Alltag erprobt wurde; dass sie Notfallszenarien kennt und ihr Leben auf einem stabilen Fundament gebaut ist.
Und im Gefängnis?
Da sind wir als Therapeuten ein Puzzlestein eines Teams, das gemeinsam über die Risikofaktoren berät. Wenn wir sehen, dass ein Therapieprozess gut läuft, lassen wir oft zusätzlich noch extern eine Risikobeurteilung vornehmen, da unsere Neutralität nicht mehr gegeben ist.
Haben Sie Personen erlebt, die nicht therapiert werden konnten?
Das gab es vereinzelt. Es waren dies Situationen, wo die Personen eine äusserst problematische und rigide Einstellung hatten, die keinen Spielraum für Veränderung liess.
Können Sie dies erklären?
Wenn jemand beispielsweise darauf beharrt, dass Kinder Sex mit Erwachsenen brauchen, und er diese Aussage immer wieder durchscheinen lässt. Dann sehen wir keinen Mehrwert mehr in einer Therapie, denn wir können keine Ideologien therapieren.
Ist die Rückfallgefahr bei einem Täter höher, der sich schon einmal an einem Kind vergriffen hat?
Leider ja. Bis eine Person die Schwelle überschreitet und einem Kind Schaden zufügt, braucht es normalerweise viel. Ein Wiederholungstäter hat diesen Schritt bereits zuvor getätigt und wird die Schwelle bei einem nächsten Mal vielleicht leichter missachten. Deshalb setzen wir bei Wiederholungstätern eine stärkere Lupe ein.
Haben Sie sich bei einer Diagnose eines Pädophilen denn schon mal geirrt?
Vielleicht schon, denn wir haben es mit Menschen zu tun, und da gibt es niemals eine hundertprozentige Sicherheit. Jedoch folgen wir bei kritischer Beurteilung und Gutachten dem Grundsatz: «Im Zweifelsfall für die Gesellschaft.»
Aus Rücksichtnahme auf die Opfer und ihre Angehörigen in diesem Fall hat sich die Redaktion dazu entschlossen, unter diesem Artikel keine Kommentare zuzulassen. Wir bitten um Ihr Verständnis.
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