Wie Roboter die Textilproduktion aus Asien zurückholen
Adidas will ab diesem Jahr Laufschuhe auf den Markt bringen, die nur durch Roboter hergestellt werden. Das steht für einen Umbruch von historischem Ausmass.

Der Sportartikelgigant Adidas will in Deutschland ab dem laufenden Jahr Laufschuhe in Deutschland und den USA komplett durch Roboter herstellen lassen, rund eine Million Paare sollen durch diese Produktion pro Jahr auf den Markt kommen. Weil die Schuhe so besonders schnell gefertigt werden, spricht das Unternehmen in diesem Zusammenhang von «Speedfactorys». Ziel sei es, die Lieferzeiten der Schuhe, die sich jetzt noch über Monate erstrecken, «auf nur wenige Tage oder gar Stunden zu reduzieren», erklärte Adidas-Sprecherin Katja Schreiber der «Süddeutschen Zeitung».
Das Adidas-Beispiel hat eine Bedeutung, die weit über den nach Nike zweitgrössten Sportartikelhersteller hinausgeht. Es ist beispielhaft für die wirtschaftliche Entwicklung seit Anbeginn der industriellen Revolution. Mit der kompletten Herstellung von Schuhen durch Roboter ist die Textilbranche betroffen, die schon ganz am Anfang der industriellen Fertigung zu Beginn des 19. Jahrhunderts im Zentrum stand. Damals war es die Erfindung der Dampfmaschinen, die ganz neue Produktionsmöglichkeiten erstmals in Fabriken ermöglicht hat. Zuvor wurden Textilprodukte noch in Handarbeit und meist in Privathaushalten gefertigt.
Doch spätestens in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde die Textilproduktion durch eine weitere Entwicklung komplett umgewälzt: die Globalisierung. Die sich öffnenden Märkte in Fernost boten ein Riesenheer an billigen Arbeitskräften. Das galt vor allem für China. Um auf den Weltmärkten bei den Absatzpreisen noch mithalten zu können, waren die Hersteller von Textilprodukten gezwungen, ihre Ware in China fertigen zu lassen. In den reichen Ländern wurde die Textilindustrie fast komplett verdrängt. Was zurückblieb, waren die Planung, das Marketing, das Design und allenfalls noch die Produktion von teuren Spezialprodukten.
Die grösste Umwälzung kommt erst
Die weitere Umwälzung der Industrie hat sich dann erst in den ärmeren Ländern selbst abgespielt. Die immer grössere weltweite Nachfrage nach chinesischen Arbeitskräften liess auch da die Löhne steigen, wenn auch nicht auf ein Niveau, das mit westlichen Standards vergleichbar wäre. Aber doch genug stark, um noch ärmere Länder konkurrenzfähig zu machen, die deutlich tiefere Lohnniveaus kannten, wie etwa Vietnam oder afrikanische Nationen.
Das Roboter-Engagement von Adidas zeigt die nächste und vielleicht sogar grösste Umwälzung dieser Produktion weltweit an, wie Susanna Kölblin, eine Expertin der Textilbranche, in einem Artikel eindrücklich aufzeigt. Die technologische Entwicklung dürfte die Textilproduktion wieder zurück in die Industrieländer bringen, nicht aber die Jobs.
Das bedeutet zum einen, dass jetzt vor allem in den Schwellenländern massiv Jobs gefährdet sind. Erst Anfang Woche hat Jim Yong Kim, der Präsident der auf wirtschaftliche Entwicklung ausgerichteten Weltbank, an einer Konferenz erklärt, dass in den Entwicklungsländern durch die Automation bis zu zwei Drittel aller Jobs gefährdet seien. Ähnliche Dimensionen wurden schon zuvor geschätzt. Der Grund ist einfach, und er zeigt sich auch am Adidas-Beispiel. Der «komparative Vorteil» der Herstellung von Gütern in Schwellenländern lag darin, dass Arbeit, die relativ wenige Qualifikationen erfordert, in Schwellenländern deutlicher billiger ist. Die Herstellung durch Roboter ist aber noch kostengünstiger. Susanna Kölblin zitiert eine Schätzung, gemäss der sich die Kosten eines industriellen Roboters pro Stunde auf 5 Euro belaufen. Die Kosten eines Beschäftigten in China sind doppelt so hoch, in den Industrieländern sogar bis zu zehnmal so hoch.
Einfache Jobs werden überall verschwinden
Und die Kosten sind nicht der einzige Grund für diese Entwicklung. Roboter ermöglichen wie eingangs erwähnt auch deutlich kürzere Produktionswege und grössere Auswahlmöglichkeiten für die Kunden. In nicht allzu ferner Zeit dürfte es laut Herbert Hainer, bis im letzten Jahr Adidas-Chef, möglich sein, dass die Käufer sich ihren eigenen Schuh (oder andere Textilprodukte) am Bildschirm «schustern» können, der ihnen dann ein Roboter in relativ kurzer Zeit vor Ort herstellt.
Der Kostenvergleich gibt aber auch einen Hinweis darauf, wie sich die Beschäftigungsstruktur verändert. Hochqualifizierte Jobs, etwa zur Bedienung der Roboter, werden weiter gebraucht, auch wenn in einer deutlich kleineren Zahl als bisher. Und diese Entwicklung wird sich sowohl in den Schwellenländern als auch in den Industrieländern manifestieren. Denn wie Kölblin zeigt, tut zum Beispiel auch China alles, um in der durch Roboter gesteuerten Produktion mithalten zu können. Das Land installiert schon jetzt mehr industrielle Roboter als jedes andere Land der Welt.
Skeptiker merken an, dass die Produktion durch Roboter im Textilbereich noch einen kleinen Teil ausmacht. Das gilt auch für Adidas. Eine Million Paar Schuhe pro Jahr sind fast nichts im Vergleich zu den 300 Millionen Paaren, die das Unternehmen jedes Jahr auf den Markt bringt. Wahr ist auch, dass die Wertschöpfungsketten nicht so schnell komplett geändert werden können. Das war aber auch zu Beginn der industriellen Revolution der Fall. Und doch hat die technologische Entwicklung in wenigen Jahren die ganze Branche und die ganze Wirtschaft komplett verändert. Das wird auch diesmal nicht anders sein.
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