Wie sich überlaufene Reiseziele wehren
Aussperren, lenken, kassieren: Zwölf Orte suchen die richtige Strategie, um den Massentourismus in verträgliche Bahnen zu lenken.

Die Welt ist reiselustiger geworden, manchmal genügt ein einziges Bild auf Instagram und ein Ort wird bei Touristen so beliebt, dass es ihm und vor allem seinen Bewohnern nicht mehr gut tut. Overtourism nennt man dieses Phänomen, das für die Betroffenen eine zwiespältige Angelegenheit ist, sind sie doch oft wirtschaftlich abhängig vom Tourismus. Dennoch versuchen sich immer mehr überlaufene Regionen zu wehren, den Andrang in geordnete Bahnen zu lenken – oder zumindest Geld mit ihrer Attraktivität zu verdienen: zwölf Beispiele aus aller Welt.
Venedig
Die ganze Stadt ein einziges Museum – und dafür wird künftig Eintritt fällig. Drei Euro sollen Tagesbesucher in Venedig bezahlen, so ein Beschluss vom Februar. Ab 2020 können es je nach Saison und Gedränge bis zu zehn Euro werden. Mit dem Geld will Bürgermeister Luigi Brugnaro Instandhaltung und Reinigung finanzieren. Vor allem die Kreuzfahrtpassagiere hat man wohl im Blick, die in grossen Gruppen durch enge Gassen drängen, aber, so die Klage von Souvenirshops und Restaurants, kaum Geld ausgeben.
Die lukrative Hochsaison scheint sich die Stadt allerdings entgehen zu lassen. Anstelle des zunächst genannten Starttermins 1. Mai ist nun vom 1. September die Rede. Touristen, die in Venedig übernachten, bezahlen bereits jetzt, wie an vielen anderen Urlaubsorten in aller Welt auch, eine Kurtaxe.
Berlin
Die Hauptstadt ist das beliebteste Städtereiseziel in Deutschland. 33 Millionen Übernachtungen stehen für das Jahr 2018 in der Statistik, seit 2003 hat sich die Zahl fast verdreifacht.
Bei den Berlinern weckt das zwiespältige Gefühle: War man früher stolz auf das Image als europäische Partyhauptstadt, soll das neue Tourismuskonzept stärker auf Qualität setzen, heisst übersetzt: lieber zahlungskräftige Kulturtouristen und Geschäftsreisende als feierfreudiges, aber chronisch klammes Jungvolk aus aller Welt. Bereits seit 2014 gilt ein Gesetz, das die Vermietung von Ferienwohnungen reglementiert, eine «Going local»-App soll Touristen in weniger bekannte Stadtteile locken. Gefeiert wird trotzdem immer noch in Kreuzberg – und nicht in Spandau.
Komodo
Die Attraktion von Komodo ist bis zu drei Meter lang, mehr als 70 Kilo schwer und eine beeindruckende Erscheinung mit grimmigem Blick: Komodowarane sind die grössten Echsen, die es auf der Erde gibt, die «letzten Drachen». 5000 von ihnen leben auf der indonesischen Insel, etwa 10'000 Besucher im Monat setzen deshalb meist als Tagestouristen von Flores oder Sumbawa über. Zu viele für ein fragiles Ökosystem?
2018 gab es Überlegungen, ihre Zahl zu halbieren. Allerdings sind die Warane auch eine gute Einnahmequelle. Pläne, den Eintritt in den Nationalpark von neun auf 440 Euro zu erhöhen, lagen schon auf dem Tisch. Momentan fährt man einen Schlingerkurs: Anfang April kündigte die Regierung in Jakarta an, die Insel 2020 für Touristen zu sperren. Wenige Tage später ruderte man zurück: Frühestens im Juli werde die Entscheidung fallen.
Boracay
Als Paradies auf Erden verkaufte sich die philippinische Insel Boracay: Palmen, weisser Sandstrand, türkisfarbenes Meer. 2,1 Millionen Besucher kamen im Jahr 2017, im Paradies sammelte sich irdischer Müll. Hotels leiteten Abwasser ungeklärt ins Meer, von einer «Güllegrube» sprach der philippinische Präsident Rodrigo Duterte. Er ordnete die Schliessung der Insel an, mitsamt der Hotels, Restaurants und Vergnügungsparks.
Sechs Monate lang wurde aufgeräumt, seit Oktober sind die Strände wieder geöffnet – Partys am Strand allerdings sind nun verboten. Nach wie vor geschlossen ist ein anderer asiatischer Traumstrand: Seit Juni 2018 dürfen Thailandurlauber die Maya Bay auf Kho Phi Phi, Kulisse für den Hollywood-Film «The Beach», nicht mehr betreten. Die schwer geschädigten Korallenriffe sollen sich dadurch erholen.
Hallstatt
779 Einwohner, eine Million Besucher – das Dorf im Salzkammergut, nicht weit von Salzburg, ist besonders bei Busreisenden aus Asien beliebt, erst recht, seit es 2012 in China nachgebaut wurde. Einmal die Hauptstrasse rauf und runter, ein paar Selfies mit den pastellfarbenen Häusern, dem Hallstätter See, den umliegenden Bergen, so sieht ein typischer Hallstatt-Besuch aus.
Belastend ist vor allem der nicht endende Strom an Bussen. Ihre Zahl soll nun deutlich reduziert werden: Veranstalter müssen, wie im nahe gelegenen Salzburg bereits üblich, vorab ein Zugangsticket buchen, das für ein bestimmtes Zeitfenster und eine Mindestdauer von zweieinhalb Stunden gültig ist. Auch die Gebühren sollen von jetzt 40 Euro auf einen noch nicht festgelegten Betrag angehoben werden. Salzburg verlangt 24 Euro. Dort denkt man nun auch über eine Erhöhung nach.
Dubrovnik
Gerade einmal 400 mal 300 Meter misst die Altstadt von Dubrovnik. Enge Gassen wie aus einer anderen Zeit, vielleicht sogar aus einer anderen Welt: Dubrovnik war Drehort der Fantasy-Serie «Game of Thrones». Seitdem drängen neben den Kreuzfahrtpassagieren – die kroatische Küstenstadt ist Pflichtprogramm der meisten Mittelmeer-Routen – auch Filmtouristen zu Tausenden durch die Tore der mittelalterlichen Stadtmauer.
Aussperren will man die Touristen trotzdem nicht, aber den Andrang in Bahnen lenken. Nur noch zwei Kreuzfahrtschiffe sollen pro Tag anlegen dürfen, früher waren es bis zu zehn. Wer nicht nur andere Menschen, sondern auch die Stadt sehen möchte, bekommt mit der Website dubrovnik-visitors.hr ein hilfreiches Instrument an die Hand: Sie liefert Prognosen, wann wie viele Besucher zu erwarten sind.
Galizien
Steil ragen Felswände in die Höhe, Wasser und Wind haben Bögen, Fenster und Tore geformt, als seien die Steine die Wände einer gotischen Kirche. Playa de las Catedrales, auf Galizisch Praia as Catedrais, heisst der Strand an der spanischen Nordküste, nur bei Ebbe kommt der helle Sand zwischen den Schieferfelsen zum Vorschein.
Ein spontaner Besuch ist im Sommer jedoch nicht nur wegen der Gezeiten schwierig. Von Juli bis September sowie zu Ostern muss der Platz am Strand vorab online gebucht werden. Früher kamen bis zu 20'000 Menschen am Tag, jetzt sind maximal an die 5000 Besucher erlaubt. Tröstlich für alle, die keinen Platz mehr bekommen haben: In der Nachbarschaft gibt es noch mehr Strände.
Cinque Terre
Fünf malerische Orte kleben an der ligurischen Steilküste, bunte Häuser ziehen sich die Hänge hinauf. Schmale Wanderwege verbinden die Dörfer der Cinque-Terre-Region an der italienischen Riviera – in der Hauptsaison herrscht dort gern auch mal Fussgänger-Stau.
Das liegt nicht nur am grossen Andrang, sondern manchmal auch an der falschen Ausrüstung: Immer wieder müssen überforderte Flip-Flop-Träger mit dem Hubschrauber ausgeflogen werden. Wer in dem Nationalpark mit Badeschlappen erwischt wird, soll deshalb künftig zwischen 50 und 2500 Euro Strafe zahlen, kündigte der Parkdirektor an. Man wolle allerdings nicht gleich kassieren. Zunächst sollen die Touristen über eine angemessene Wanderausrüstung aufgeklärt werden.
Barcelona
Touristen sind die wichtigste Einnahmequelle der Stadt – und, so eine Umfrage aus dem Jahr 2017, für die Mehrheit der Bewohner zugleich ihr Hauptproblem. Der Ärger über die Menschenmassen nicht nur auf den Ramblas und über Airbnb-Quartiere, die den Mietmarkt aus dem Gleichgewicht bringen, ist gross – der Zorn brach sich Bahn in Aufsehen erregenden Aktionen: einer Menschenkette am Strand, aber auch Messerattacken auf die Reifen von Mietwagen.
Oberbürgermeisterin Ada Colau gewann die Wahl mit dem Slogan «Die Stadt den Bürgern zurückgeben». Und schritt zur Tat: Sie annullierte die Genehmigungen für 30 Hotelprojekte, Privatvermieter brauchen eine Lizenz, Airbnb musste 600'000 Euro Konventionalstrafe zahlen. Eine hohe Dunkelziffer an illegalen Quartieren gibt es jedoch nach wie vor, vermuten Beobachter: Es fehlen Kontrolleure.
Mallorca
Der Strandabschnitt Balneario 6 in Palma de Mallorca, besser bekannt als Ballermann, ist – je nach Sichtweise – Partyhimmel oder Saufhölle. Mit einer Reihe von Benimmregeln geht die Stadtverwaltung schon seit Jahren gegen Alkohol-Exzesse an, zum Schutz der Anwohner und wohl auch mit Blick auf das Image der Ferieninsel, die der Sauf-Gäste ein wenig überdrüssig geworden ist.
Jetzt wurden die Vorschriften verschärft: An der legendären Schinkenstrasse darf seit dem 1. April nur noch im Lokal getrunken werden. Entlang der gesamten Playa de Palma gilt ein Werbeverbot für Alkohol, die «Happy Hour» ist untersagt. Strafen von bis zu 3000 Euro können verhängt werden – man werde «mit Augenmass vorgehen», erklärte ein Sprecher der Stadt.
Das Alkoholverbot richtet sich vor allem gegen eine ganz bestimmte Touristengruppe, doch mit weiteren Massnahmen senden Insel-Politiker das Signal, dass der Massentourismus Natur, Landschaft und Sozialstruktur nicht weiter zerstören darf: Seit 2016 zahlen Besucher eine Nachhaltigkeitsabgabe, die in Umweltprojekte fliesst. Und seit 2018 ist in der Hauptstadt Palma die Vermietung von Privatwohnungen an Touristen nicht mehr erlaubt.
Amsterdam
Bierbikes sind schon verboten, ebenso Alkohol auf der Strasse, Wildpinkeln und lautes Grölen – und ab 2020 auch Gruppenführungen durchs Rotlichtviertel. Die Strafen kassieren Ordnungshüter an Ort und Stelle per Kartenlesegerät. Amsterdam reagiert rigide auf die Respektlosigkeiten des Massentourismus.
Ein bisschen erziehen und vor allem besser verteilen will man die Touristen. Deshalb wurde aus dem Strand der Stadt Zandvoort der «Amsterdam Beach», Kastell Muiderslot, ein mittelalterliches Schloss 15 Kilometer südöstlich der Stadt, heisst nun «Amsterdam Castle». Und der besonders Selfie-taugliche «I amsterdam»-Schriftzug, der Slogan der Kampagne, die den Run auf Amsterdam in Bewegung setzte, steht nicht mehr vor dem Rijksmuseum, sondern wandert durch die ganze Stadt.
Island
Der Name der Schlucht klingt so verwunschen, wie sie aussieht: Fjaðrárgljúfur heisst der rund zwei Kilometer lange Canyon im Süden von Island. Moos und Flechten hüllen die Felsen in einen grünen Pelz, für Touristen ein attraktives und fotogenes Ziel. 2015 liess sich Popstar Justin Bieber dort für das Video für seinen Song «I'll Show You» in Szene setzen.
Seit seinem Tanz über die grünen Felsen verdoppelte sich die Zahl der Besucher in der Schlucht auf fast 300'000 im Jahr. Solange sie auf den Wegen bleiben, ist das für das Ökosystem gerade noch verkraftbar. Im Frühjahr allerdings, wenn der Schnee taut, aber das Wasser noch nicht abfliesst, wenn die Schuhe tief im Matsch versinken, dann zerstören die Besucher das Grün abseits der Wege – die Schlucht wurde deshalb bis 1. Juni geschlossen.
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