Internationaler Luftverkehr Wieso Chinas Abkürzung über Russland für Ärger sorgt
Chinesische Fluggesellschaften nutzen weiter russischen Luftraum und sparen sich auf Langstrecken bis zu zwei Stunden. Westliche Konkurrenten klagen über Wettbewerbsverzerrung.

In den vielen Meldungen, die das Verhältnis der USA und Chinas beschreiben, ist folgende Nachricht in den vergangenen Tagen ein wenig untergegangen: Die amerikanische Regierung erlaubt künftig wöchentlich zwölf Flüge chinesischer Airlines in die USA, bisher waren es nur acht. Die Entscheidung folgt auf den Beschluss Chinas, auch den amerikanischen Airlines künftig zwölf Landungen in China zu gewähren, wie das bei Luftverkehrsabkommen zwischen zwei Ländern eben so üblich ist.
Damit wäre umschrieben, wie es derzeit um die Rückkehr Chinas in den internationalen Luftverkehr bestellt ist: nämlich aktuell noch ziemlich schlecht. Denn zwölf sind nicht sehr viele. An der Art und Weise, wie China in den internationalen Luftverkehr integriert werden soll, entzündet sich gerade ein neuer Konflikt. Weil sich China nicht an den Sanktionen gegen Russland beteiligt, die der Westen nach dem Überfall auf die Ukraine beschlossen hat, nutzen die chinesischen Fluggesellschaften weiter russischen Luftraum.
Westliche Fluggesellschaften müssen einen grossen Umweg fliegen
Dadurch haben sie sowohl auf Flügen nach Nordamerika als auch nach Europa einen grossen Wettbewerbsvorteil gegenüber den internationalen Konkurrenten, denn ihre Jets brauchen für die gleichen Strecken locker zwei Stunden weniger. Sie müssen keine südlichen Umwege fliegen, um russisches Staatsgebiet zu vermeiden.
Dem Vernehmen nach wollte das amerikanische Verkehrsministerium ursprünglich die zusätzlichen Verkehrsrechte an die Bedingung knüpfen, dass auch chinesische Airlines russisches Territorium künftig meiden. Darauf hatten Vertreter der US-Fluglinien, unter anderem American-Airlines-Chef Robert Isom, öffentlich gedrängt, um gleiche Wettbewerbsbedingungen für alle zu erreichen.
Verkehrsrechte aber bekommt man – oder eben nicht. Sie können nicht an eine bestimmte Route geknüpft sein. Auch Air France-KLM forderte, dass die Vorteile der chinesischen Airlines irgendwie ausgeglichen werden müssten, wenn sie wieder mehr nach Frankreich fliegen sollten.
Wie es mit China und der Fliegerei weitergeht, ist für alle Beteiligten von enormer Bedeutung. Für Airbus und Boeing ist China zumindest in der Theorie das Land der unbegrenzten Möglichkeiten – 2030 soll der chinesische Inlandmarkt grösser sein als der amerikanische, und das soll etwas heissen. Europäische Flughafenmanager sehnen chinesische Passagiere ebenso sehr zurück wie Tourismusbehörden und Einzelhandelsverbände – schliesslich geben sie auf ihren Reisen bekanntlich enorm viel Geld aus für Luxusgüter.
Auch für die Fluggesellschaften ist China in normalen Zeiten ein lukratives Geschäft, denn neben den Touristen kommen üblicherweise ziemlich viele Geschäftsreisende, die bevorzugt die teuren Tickets in der Business Class buchen, nach Europa und in die USA. Aber derzeit ist nichts normal. Nach Analysen der HSBC-Bank war die Nachfrage im internationalen Luftverkehr von und nach China im März dreimal so hoch wie ein Jahr zuvor, war damit aber immer noch nur bei einem Drittel des Niveaus von 2019.
Am Himmel wird es eng
Was die Erholung angehe, sei dies gerade erst der Anfang. Das gilt besonders für die USA: Bis Ende April lag der Rückgang im Verkehr zwischen den beiden Ländern laut TD Cowen Equity Research bei 89 Prozent, im Luftverkehr zwischen Deutschland und China bei 49 Prozent. Die Diskrepanz sieht man auch bei den Verkehrsrechten: Vor der Corona-Pandemie durften chinesische Fluglinien 150 wöchentliche Flüge in die USA durchführen und immerhin 120 nach Frankreich.
Deutschland war bei der Vergabe restriktiver und liess nur 55 sogenannte Frequenzen zu. Derzeit fliegen chinesische Fluglinien wöchentlich siebzehnmal nach Deutschland, im Sommer werden es 30 Flüge sein, im kommenden Winter dann 55. Lufthansa hat sich nicht öffentlich gegen die Ausweitung positioniert, obwohl auch sie die Umwege fliegen muss – nach Peking und Shanghai macht das zwischen einer und zwei Stunden aus. Crews und Flugzeuge sind damit länger verplant, mehr Treibstoff ist nötig.
Ein weiteres Problem: Solange China praktisch nicht am internationalen Luftverkehr teilnahm, war auf den südlichen Routen genügend Platz für alle. Jetzt, da sich die Lage langsam normalisiert, sind Kapazitätsengpässe im Luftraum für den Sommer vorprogrammiert, denn neben den üblichen Verbindungen zwischen Europa und Südostasien sowie der Golfregion kommen nun auch noch die Flüge der Airlines hinzu, die Umwege nach China fliegen müssen. «Das wird sicher ein Problem werden», sagt Nick Careen, der bei der IATA den Bereich Flugbetrieb und Sicherheit leitet. Selbst wenn «nur» die optimalen Flughöhen nicht genutzt werden könnten, bedeute dies höheren Spritverbrauch.
China hatte während der Pandemie die weltweit wohl restriktivsten Reisebeschränkungen erlassen. Immer wieder brachten die lokalen Lockdowns seit 2020 auch Stopps für Inlandflüge – die Airlines mussten von einem Tag auf den anderen immer wieder nahezu ihr gesamtes Programm streichen. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, waren alle Flugverbindungen ins Ausland gekappt. Wer doch ins Land kam, musste wochenlang in vom Staat bestimmte Hotels in Quarantäne, und das tat sich wirklich nur an, wer gar nicht anders konnte.
Immer wieder hofften die Airlines, allen voran der Branchenverband International Air Transport Association (IATA), dass China doch endlich öffnen möge, nur um immer wieder enttäuscht zu werden. Doch als die Regierung Anfang des Jahres eine Kehrtwende in der Corona-Politik beschloss, hob sie von jetzt auf gleich auch die Reisebeschränkungen auf.
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