Wildes Tier und tumber Tor
Alice Rohrwacher hat mit «Lazzaro felice» modernes Märchen gedreht. Und erzählt uns jetzt, woher die Idee kam.

Kurt Frühs «Hinter den sieben Gleisen» kennt Alice Rohrwacher nicht. «Sollte ich?», fragt die Regisseurin. Nun gut, ihr dritter Kinofilm spielt teilweise unter Obdachlosen an den Bahngeleisen einer grossen Stadt, wie Frühs Klassiker. Es gibt darin ausgebeutete Bauern wie in Filmen des italienischen Neorealismus. Im Zentrum steht ein Heiliger, wie bei Pier Paolo Pasolini. Und doch ist «Lazzaro felice» ein durch und durch eigenständiges Werk.
Die Idee zu ihrem modernen Märchen hatte Alice Rohrwacher (36) vor langer Zeit beim Lesen eines Zeitungsartikels. Er handelte von einer Marktgräfin, deren Güter so abgelegen waren, dass sie die Bauernschaft wie Sklaven hielt. «Das ging mir nicht aus dem Kopf. Mir schwebte ein sehr klassischer Film vor, dessen Erzählstruktur ich aber brechen wollte. Im Zentrum stand für mich stets die Frage, wie man zusammenleben soll. Und auch, wie es um unseren Zugang zur Realität steht.» Dann macht sie eine Pause und sagt lachend: «All das wollte ich in den Film stecken. Es ist viel zu viel, ich weiss es selber.»
Rohrwacher war eine von nur drei nominierten Regisseurinnen in Cannes
Nichts da, es funktioniert prächtig. Die italienische Regisseurin, die auch deutsche Wurzeln hat, beherrscht mittlerweile ihre eigenständige Art des Erzählens wunderbar. Wie im Vorgängerfilm «Le meraviglie» (2014) spielt ihre ältere Schwester Alba eine wichtige Rolle. Diesmal ist es aber eher ein Ensemblefilm, zusammengehalten von dem atypischen Heiligen Lazzaro. Dessen Darsteller Adriano Tardiolo hat die Regisseurin in einer Schule entdeckt: «Das war einfach, ich musste nur lange genug suchen. Viel komplizierter war es, einen Wolf aufzutreiben, der mitspielen konnte.»
Das dressierte Tier kam schliesslich aus Frankreich. Und Alice Rohrwacher vertrat Italien im Wettbewerb von Cannes – als eine von nur drei Frauen. «Bei uns in Italien gibt es viele Regisseurinnen, aber nur wenige Produzenten, die uns fördern wollen. Doch das Problem liegt tiefer. Kürzlich wollte ein Journalist tatsächlich von mir wissen, wie ich denn Regie führen könne, wenn ich meine Tage hätte.» Hat sie darauf geantwortet? «Ja, aber er hat es wohl nicht verstanden. Ich fragte ihn, wie er schreiben könne, wenn er seine Tage habe.»
Arthouse Movie Nägelihof 15.40 Uhr, 20.40 Uhr, So 12 Uhrwww.arthouse.ch
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