Super-Schwimmer Adam PeatyWill man ihm nach Einbruch der Dunkelheit begegnen?
Der Brite ist der Olympiasieger mit den krassesten Muskeln und einer der grimmigsten Kritiker des Doping-Versagens: Sünder gehören ins Gefängnis, sagt er.

Die 99,99 Prozent Dunkelheit waren plötzlich vorbei. Das Licht wurde angeschaltet – und Adam Peaty war bereit, sich in Szene zu setzen. Er schwang sich auf die Leine zwischen Bahn vier und Bahn fünf und verharrte dort so lange bewegungslos, dass man sich fragte: Geniesst er noch? Oder ist er schon zu einer Wachspuppe erstarrt? Ehe Adam Peaty, der Sohn eines Maurers aus Uttoxeter, aber abtransportiert und in London im Madame Tussauds ausgestellt werden konnte, bewegte er sich doch wieder. Spielte mit seinen Brustmuskeln, zog das Gesicht zur grimmigen Jubelgrimasse.
Wenn man bei den Olympischen Spielen in Tokio nur diesen einen Peaty-Moment mitbekam, etwa weil das Fernsehen dann weiterschaltete zu Badminton oder Slalomkanu, musste der flüchtige Eindruck sein: Was für ein Monster! Der kahl rasierte Schädel! Die Arme, tätowiert von den Schultern bis zu den Handgelenken! Peaty? Das muss so ein grobschlächtiger Kerl sein, dem man lieber nicht nach Einbruch der Dunkelheit begegnet.
Eine schwierige Zeit
Der Brustschwimmer Adam Peaty (26) hat sich dann aber wieder zurückverwandelt in den liebenswürdigen Familienvater, der er seit September ist – und in eine der reflektiertesten Persönlichkeiten, die diese Spiele zu bieten hatten. Wenn Peaty spricht, geht es zwar oft auch um ihn – was angemessen ist bei einem, der von den 20 besten je geschwommenen Zeiten über 100 Meter Brust alle 20 selbst beigesteuert hat, der den Weltrekord hält und der zum zweiten Mal nach 2016 Olympiasieger wurde.
Aber der Fokus ist bei ihm immer auch grösser. Was bedeutet ihm der Triumph? Peaty sass jetzt im Pressezelt hinter der Schwimmhalle und holte Luft: «Wir haben eine schwere Zeit hinter uns», sagte er, «die Welt hat eine schwere Zeit durchgemacht, in Grossbritannien war es sehr schwierig.» Dazu die Ungewissheit des Wettkämpfers, wann es wieder Wettkämpfe gibt. «Und dann werfen wir auch noch ein Neugeborenes in diesen Mix …» – sein Sohn George-Anderson kam mitten im Corona-Herbst auf die Welt.

Peaty sprach nun also über das Vaterwerden und -sein. «Manchmal bin ich aufgewacht und dachte: ‹Das ist hart, das ist wirklich hart.›» Alle zwei Stunden nachts aufstehen, Windeln wechseln, «jede Stunde füttern, meine Augen wurden schwerer und schwerer», und irgendwann dachte Peaty: «Ich müsste mal wieder in ein Flugzeug steigen und einfach irgendwo einen Wettkampf schwimmen.» Mit schönen Schmerzen und irrem Jubel am Ende.
Er hat also lange gewartet auf diesen Moment. «Die 99,99 Prozent, die man als Schwimmer in der Dunkelheit verbringt», ungesehen zwischen Trainingspool und Zuhause, «und in England war es besonders dunkel.» Diese 99,99 Prozent «sind für die 0,01 Prozent, die wir im Licht stehen». Wie in Tokio.
Vielleicht, hofft Adam Peaty, kann diese Geschichte die Leute ja motivieren? Vielleicht «lassen sie sich inspirieren, legen einen anderen Gang ein und sagen sich: Es gab genug Ausreden, genug Negatives, jetzt müssen wir mal unsere Einstellung umprogrammieren?» Natürlich war da eine Menge Pathos dabei. Aber sollte sich jetzt jemand inspirieren lassen wollen von Peaty: Dann hat er sich zumindest nicht den Falschen ausgesucht.
Ein faszinierender Gesprächspartner
Der «Guardian», der Peaty kurz vor den Spielen zum Interview getroffen hat, hat danach geschwärmt, worüber man sich mit ihm alles unterhalten könne: über Rassismus und Vorurteile zum Beispiel – seine Freundin, die Künstlerin Eiri Munro, ist nigerianischer Abstammung. Über Musik, «von Grime bis Klassik», über Zweifel und Schmerzen und das Anti-Doping-Versagen des Sports. «Und all das mit der klaren Intelligenz und Leichtigkeit, die normalerweise nicht mit einem olympischen Riesen in Verbindung gebracht wird.»
Womit man bei der Frage wäre, wie das zusammenpasst: dieses Image – und diese Muskeln, mit denen er die Grenzen seines Sports zertrümmert. Wären da nicht ein paar Zweifel angebracht?

Nun, viele im Schwimmen, die Peaty kennen, seit er mit 14 begann, seinen Körper Gramm für Gramm zur Maschine umzubauen, glauben ihm – selbst wenn sie sonst wenigen glauben. Dabei schadet sicher nicht, dass Peaty einer der lautesten und grimmigsten Doping-Kritiker der Szene ist. Die braucht es mehr denn je, bei den vergangenen Spielen haben viele schon wieder so getan, als sei das Testsystem von Corona bloss kurz geschüttelt worden und laufe jetzt wieder reibungslos.
Dabei laufe es «überhaupt nicht», sagte Peaty dem «Guardian», er sei sich «ziemlich sicher», dass es «während Covid viele Gelegenheiten gab, zu betrügen». Er selbst hatte in Grossbritannien «wahrscheinlich fünf Monate keinen Test, das ist lächerlich» – wie das gesamte System. «Wir geben Dopern einen Klaps aufs Handgelenk, und sie kommen wieder! Es ist peinlich.» Peaty plädiert für Gefängnisstrafen, wenn einer auffliegt.
Fast könnte man also den Eindruck haben, Peaty wolle nicht nur seinem Sohn ein fürsorglicher Vater sein, sondern auch seinem Sport, dem Schwimmen. Und wenn man ihn das fragte – ob ihm diese Rolle entspreche, der weise Papa des Schwimmens –, dann antwortete er, jetzt wieder ganz Leistungssportler: Ja, «solange die Leute nicht sagen, dass ich aber langsam geworden bin», so lange könne man das gerne so sagen.
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