Sweet Home: Genuss und Erlebnis am BodenseeWillkommen im Schlaraffenland
Eine Reisegeschichte über Obst und Schnaps, Wein mitten im Wohnquartier und wilde Urfische.

Bei der Pressereise im Juli, zu der mich die Deutsche Zentrale für Tourismus für ein paar Tage in die Bodenseeregion eingeladen hat, habe ich einiges gesehen und erlebt, das mich zu neuen Ideen für den Blog inspirierte. Nach so langer Zeit, in der ich von zu Hause aus Geschichten kreierte, tat es gut, wegzugehen und neue Inspirationen zu finden. Die meisten meiner Pressereisen unternahm ich während meiner Zeit als Moderedaktorin. Diese waren ganz anders – mit Modeschauen, Champagner, schicken Hotels und anderen Journalistinnen.
Nun ging ich mitten in der Nacht fischen, degustierte frühmorgens Schnaps und lernte ganz unterschiedliche interessante Journalisten aus aller Welt kennen. So nehme ich Sie heute nochmals mit auf diesen kleinen Ausflug in eine Region, die eigentlich grad nebenan ist und die erst noch eine wunderschöne Panoramasicht auf die Schweiz und unsere Bergwelt bietet. Dieses Mal besuchen wir Kleinproduzenten, die Food und Erlebnis zusammenbringen.
Wenn Blumen Früchten helfen

Auf der deutschen Seite des Bodensees öffnen sich grosse Weiten und üppig bepflanzte Felder und Plantagen. Die Bodenseeregion ist die Speisekammer Deutschlands und produziert am meisten Obst und Gemüse. Nicht wenig davon in umweltschonender Weise. Für alle, die gerne essen und geniessen, ist eine Reise in diese Region wie ein Besuch im Schlaraffenland. Viele der Produzenten bieten nicht nur interessante Führungen durch ihre Betriebe an, sondern haben Hofläden, Ferienwohnungen, Restaurants und Erlebniswelten.
So auch der Obsthof Steffelin. Chistoph Steffelin und seine Frau Monika betreiben einen grossen Obsthof, haben einen hübschen Hofladen mit Café und vermieten eigene Ferienwohnungen. Beim Obstbau setzen sie auf Biodiversität. So wachsen zwischen den Äpfeln, Kirschen, Mirabellen und Quitten auch Blumen. Das sorgt für mehr Insekten, fördert die Artenvielfalt, hilft dem Naturschutz und schlussendlich dem angebauten Obst.
Gut Kirschen essen

Das Obst ist nicht nur für den Grosshandel, sondern wird auch im Hofladen verkauft. Bei unserem Besuch war gerade Kirschensaison. Wie viele Obstbauer in der Gegend brennen auch die Steffelins aus ihren Früchten eigene Brände und Liköre.
Süsser Flammkuchen

Zum Hofladen gehört ein Café und in diesem werden Frühstück, belegte Brote, Torten, Kuchen und «Dinnele» serviert. Dinnele sind schwäbische Flammkuchen, wobei die dünnen Fladenkuchen aus Brotteigresten entstehen. Diese werden ausgewallt, belegt und in der Resthitze des Holzofens gebacken. Klassische Toppings sind, wie bei der Elsässer Variante, Speck und Zwiebeln.
Mein Liebling war diese süsse Version mit Äpfeln. Dafür wird der Flammkuchenteig mit dünnen Apfelschnitzen belegt. Die Apfelschnitze werden mit Zucker und Zimt bestreut und der Flammkuchen knusprig gebacken. Zum Schluss kommt Puderzucker darüber.
Obst zum Trinken

Eines Morgens, es regnete ganz fürchterlich, fuhren wir im Bus zur Destillerie Senft. Sie ist ebenfalls ein Familienbetrieb, der von Herbert Senft, der als Kellermeister für den Markgrafen von Baden arbeitete, 1987 gegründet wurde. 2002 trat seine Tochter Silke dem Betrieb bei. Sie stellte uns einige ihrer vielen Brände vor, die wir degustieren konnten.
Ich habe dies in der gleichen Manier gemacht, wie ich mich als Primarschülerin durch den Blockflötenunterricht schmuggelte. Damals habe ich einfach nur die Finger über die Flöte tanzen lassen! Bei der Degustation setzte ich nur meine Nase ein und nicht den Gaumen. Ich finde, solche Brände duften gut und die Idee, dass in ihnen der Geist von herrlichen Früchten steckt, ist poetisch. Doch meiner Meinung nach, und da bekomme ich bestimmt gleich viele zurechtweisende Kommentare, ist Schnapstrinken für Frauen nicht so schick – schon gar nicht frühmorgens!
Mehr als Schnaps

Superelegant finde ich hingegen diese Ginflaschen. Der Iris Dry Gin wurde in Kooperation mit der Landesgartenschau Überlingen im Juli 2020 entwickelt und in der Destillerie Senft gebrannt. Im Gegensatz zu vielen anderen Obstproduzenten, die auch brennen, produzieren die Senfts ihre Früchte ausschliesslich für die Destillerie. Und nur die besten, schönsten Früchte schaffen es in die Flasche.
Fisch am See

Am allerersten Abend, sozusagen gleich nach unserer Ankunft, erwartete uns dieses üppige Fischmahl direkt am Bodensee. Es kam vom Fischkönig und seiner Frau. Der Fischkönig ist der Berufsfischer Paul Lachenmeier, der ursprünglich aus Bayern stammt. Er erzählte uns mit charmantem bayrischem Akzent Geschichten über die Fische und das Fischen im Bodensee. Es waren wilde Geschichten von riesigen Welsen, von Fischern, die nicht mehr zurückkehrten, und von Kormoranen, die alle Fische fressen.
Sie klangen fast wie Schauermärchen, untermalt von dem dramatischen Szenario mit dem unruhigen See, der an diesem Abend voller Schwemmholz von den vielen Stürmen war, und den Wolken, die mit Regen drohten. Doch der Regen kam nicht, die vom Fischer und seiner Frau geräucherten und liebevoll zubereiteten Fische schmeckten vorzüglich und der fruchtige Müller Thurgau, auf dessen Etikette ein Felchen tanzte, besänftigte alles.
Felchen sind jedoch nicht die Helden in Lachenmeiers Geschichten. Sein Fisch ist die Brachse. Diese hat 128 Gräten, welche der Fischer von Hand einzeln herauszieht, um aus dem deswegen unbeliebten Urfisch Delikatessen zu kreieren. Die Felchen, die auf jeder Restaurantkarte zuoberst stehen, sind im Bodensee nämlich rar geworden. Deswegen gibt es immer weniger Fischer und die Felchen kommen häufig woanders her. Der Fischkönig Lachenmeier aber fischt alle Fische: Schleien, Karpfen, Zander, Aale und den Wels.
Wilde Urfischerei

Paul Lachenmeier bietet Fischtouren an. Ein Abenteuer, das man als Tourist inklusive Frühstück buchen kann. Für mich war klar, dass das nicht wirklich was für mich ist. Doch der Mann hatte Charisma und seine Abenteuer klangen spannend. So schloss ich mich meinen zwei Kolleginnen an: Geraldine, die für Luxemburg schreibt, und Rotem, die aus Israel nach Deutschland reiste.
Morgens um vier Uhr fuhren wir also mit dem Taxi an den See und stiegen in das kleine Boot. Unsere Sitze waren Plastikkisten, die sich später alle mit Fischen füllen sollten. Zuerst tuckerten wir durch eine Art Schilflandschaft, die mich an den Film Down by Law von Jim Jarmusch denken liess. Nur das zarte Rosa, das bald den Himmel färbte, sorgte für ein bisschen Glamour. Bald schon zog Paul Lachenmeier sein erstes Netz ein. Ein grösserer und zwei kleinere Fische waren dabei. Er schlug sie mit einem gezielten Schlag seines Holzstocks auf den Kopf tot.
Soweit so gut, dachte ich, überzeugt davon, dass das Fischereiabenteuer ganz glimpflich verlaufen und bald vorbei sein würde. Doch da waren noch mehr Netze und Reusen voller Aale! Die Plastikkisten füllten sich mit toten Fischen, wir drei Frauen rückten näher und sassen bald auf dem Boden. Und dann kam der Wels, ein grosser. Der Todeskampf des Fisches mit dem Fischer dauerte. Ich schaute auf das Wasser hinaus, entfloh in Gedanken dem Ringen des Welses und half, Äste aus den Netzen herauszuklauben. Das war etwas, das mir näher war – so etwas wie Kettfäden einziehen oder Garne aufrollen …
Die Frau des Fischers

Am Ufer empfing uns Angela Katterloher, die Frau des Fischers. Sie betreibt das Restaurant und den Laden. Beide strahlten, denn der Fang war erfolgreich und ebenso das Wetter! Ferienstimmung kam auf und bald schon meldeten sich erste Gäste an.
Willkommen in der Besenbeiz

Natürlich gehört auch der Wein zum Schlaraffenland Bodensee. Auf unserem Programm stand ein Besuch auf dem Weingut von Teresa Deufel. Wir fragten uns, ob sich der Busfahrer wohl verirrt hatte, denn er parkte mitten in einem Wohnquartier. Doch schon bald landeten wir in einem idyllischen Garten, in dem auch schon ein Tisch mit Blumen und Wein zum Degustieren stand. Durch die Degustation führte uns Svenja Freitag, die zeitweise auf dem Hof arbeitet. Teresa Deufel hat gerade ihr drittes Kind bekommen; im Garten hing die Oma Babywäsche auf. Nicht das typische Weingut also! Auch zu diesem Betrieb gehört mehr. Da, wo wir tranken, wurde am Abend das Rädle erstmals nach der Covid bedingten Schliessung eröffnet. Ein Rädle, das ist eine Besenbeiz, ein sogenannter Hofausschank, der nur wenige Wochen im Sommer offen ist.
Weine, die summen

Für uns ging es weiter zum Weinberg, wo uns Svenja Freitag vieles über die Weine erzählte. Der Weinberg, ein Teil von insgesamt drei Hektar Anbauflächen, liegt zwischen dem Hof und dem See, in Lindau Schachen. Wein wird schon lange am Bodensee angebaut. Besonders die Region Lindau, die zwischen dem See und den Alpen liegt, eignet sich gut als Weingebiet. Doch offenbar verschwanden die Weingüter nach und nach, bis Teresas Vater und ihr Onkel, beide Obstbauern, sich 1975 entschlossen, Wein zu produzieren. 2009 hat Teresa Deufel das Gut übernommen, ist auf die biologische Produktion umgestiegen und macht nun ihre eigenen Teresa-Deufel-Weine.
Der Erste, den wir probierten, hiess «Summer». Was sich wie das schweizerdeutsche Wort für Sommer liest, bezieht sich aber auch auf das sommerliche Summen der Bienen. Es handelt sich um einen weissen «Terrassenwein», der unkomplizierten leichten und frischen Sommergenuss bietet. So unkompliziert wie der Wein ist das Weinmachen indes nicht. Svenja erzählte uns, dass der Weinberg manchmal wegen der Kälte geheizt werden müsse.
Die Winzerin

Ebenfalls auf unserem Degustationsprogramm stand ein feiner Cuvée Rosée, den Teresa (im Bild oben) selbst mit «Erdbeere küsst Vanille, küsst Caramel» beschreibt und der eine angenehme Fruchtigkeit mit Eleganz verbindet.
Es herrschte eine entspannte, persönliche Stimmung auf dem Hof. Der Tisch war nun liebevoll mit Charcuterie, Käse, Brot und rohem Gemüse gedeckt. Überall blühten Blumen, im Schatten der Bäume warteten Korbstühle, zwischen den weiss gestrichenen Holzgartenzäunen und den pflanzenumrankten Hausmauern standen Fahrräder im Ständer und vor den Fenstern blühten Blumen aus Kistchen. Man wäre am liebsten gleich geblieben. Das kann man auch, wenn man will, denn Teresas Cousin vermietet in den Wohnhäusern, die zum Weingut gehören, Ferienwohnungen.

Mir kam bei diesem Besuch eine englische Sitcomserie aus den Siebzigerjahren in den Sinn, für die ich schon immer eine Schwäche hatte. Sie heisst «The Good Life» und zeigt, wie ein Paar mit Namen Good sich vom Berufsalltag in der Werbebranche verabschiedet und auf Selbstversorgung umsteigt. Die Sitcom ist übrigens im gleichen Jahr entstanden, in dem sich Teresas Vater und Onkel für den Weinbau entschieden haben. Damals wurden eben viele hoffnungsvolle Ideen in die Tat umgesetzt, von denen zum Glück einige immer noch Früchte tragen.
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